"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Ingrid Bertel · 30. Nov 2021 ·

Würden Sie Ihre Fenster mit Shampoo putzen?

Ebensee ist ein Salzburger Dorf am Traunsee, vielleicht ein bisschen verschlafen. 8000 Einwohner, idyllische Landschaft. Hier machte sich ein Trio auf zu einem bemerkenswerten Kunstprojekt: „hackle sauber“. Die drei gingen von Haus zu Haus und fragten, ob sie putzen dürfen. In Smoking oder Dirndl, Nonnentracht oder dem weißen Wissenschaftlerkittel putzten sie 28 Haushalte, führten Interviews mit den Eigentümer:innen und recherchierten so ziemlich alles rund um das Thema Reinigung. Daraus entstand nun „putzen – eine Kulturtechnik“ - ein Buch mit superb inszenierten Fotos von Ulrike Köb und Daisuke Akita sowie Essays voller überraschender Recherche-Ergebnisse von Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter.

 Seit ein paar Tagen ist der Katalog der Menschenrechte um einen Artikel reicher: das Recht auf saubere Umwelt. Wobei das Wort „sauber“ verräterisch ist. Denn die Natur selbst kennt weder Schmutz noch Abfall, beides produziert nur der Mensch. Und er produziert es in großen Mengen beim Saubermachen.
Ein Reiskorn auf dem Teller ist Essen. Ein Reiskorn auf dem Fußboden ist Abfall. Solchen „Abfall“ speist die Natur in ihren Kreislauf ein. Aber was ist mit den Nanopartikeln von Bratpfannen, Aufbewahrungsboxen, Schneidbrettern oder Babyflaschen, Kühlschränken, Waschmaschinen, Wandanstrichen, Sportbekleidung, Pflastern oder Kosmetika? Was ist mit den Rückständen der Titanoxydbeschichtungen, die dafür sorgen, dass unsere Gläser selbstreinigend sind? Was ist mit den Binde- und Lösungsmitteln aus Kunststoffen? Was mit den hochwirksamen Chemikalien aus Bad- und Küchenreinigern, die unsere Innenräume zwar keimfrei machen, aber die Atemluft belasten, das Grundwasser verschmutzen und natürliche Lebensräume zerstören?

Würden Sie sich über einen Staubsauger als Weihnachtsgeschenk freuen?

Putzen ist eine Kulturtechnik, betonen Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter. „Sauberkeit und Hygiene werden mit Gesundheit, Lebenserwartung und Hochkultur in Zusammenhang gebracht.“ Ein schmuddeliges Krankenhaus wäre zum Fürchten, ein schmuddeliger Haushalt ist für eine Frau gesellschaftlich brisant. „Männer hingegen können Singlewohnungen völlig sanktionslos einsauen. Türme schmutzigen Geschirrs, schmuddelige Bettwäsche oder ein seit Monaten ungeputztes Klo lösen zwar einen gewissen Ekel aus, werten den Mann gesellschaftlich aber nicht grundsätzlich ab.“ Dabei gibt es mittlerweile Putzutensilien, die für Männer designt wurden und ihre Teilhabe am Reinigen der eigenen vier Wände erhöhen sollen. Der Dyson-Staubsauger zum Beispiel, 1991 von James Dyson designt, machte das langweiligste Haushaltsgerät überhaupt zu einem Lifestyle-Produkt. Der transparente Schmutztank, ein futuristisch anmutendes Motorendesign und der Sound, der an einen Akkuschrauber erinnert, zielten auf männliche Kundschaft ab.

Hat Ihr Badreiniger einen Revolvergriff?

Diesen Anspruch hat „Meister Proper“ nie gestellt, und das, obwohl das Mittel ursprünglich zum Reinigen der rußigen und fettigen Schiffsbäuche entwickelt wurde. „Meister Proper“ ist der erste (und einer der erfolgreichsten) Allzweckreiniger und verfügte von Anfang an über ein geradezu magisches Image, verkörpert in einem muskulösen Mann mit Glatze und Ohrring. „Das Unternehmen meint zwar, einen Matrosen zu portraitieren, doch ähnelt der starke Kerl auch dem Flaschengeist Dschinn aus „Tausend und einer Nacht“. Der Geist aus der Flasche soll also das Putzen erledigen, ebenso wie die nachkommenden Bad- und WC-Reiniger. „Die Zerstäuber von Sprühflaschen werden ähnlich wie der Abzug einer Waffe betätigt und verteilen Reinigungssubstanzen als feinste Sprühnebel.“ Das verhasste Scheuern soll so durch ein gechilltes Wegwischen ersetzt werden.
Saubermachen ist der Motor einer ganzen Wirtschaftsbranche. Gleichzeitig ist es keine angesehene Tätigkeit. Es findet hinter verschlossenen Türen statt, auch außerhalb der eigenen vier Wände: Büros, U-Bahnen, Krankenhäuser werden meist über Nacht, quasi „heimlich“ sauber gemacht, und für die Reinigungskräfte gibt es oft keine ordentlichen Dienstverhältnisse. „Illegal sauber zu machen, ist eine Arbeit für Menschen ohne Wahl“, schreiben Stummerer/Hablesreiter und zitieren den Soziologen Harald Welzer: „Die, die Müll produzieren, genießen merkwürdigerweise höheres gesellschaftliches Ansehen, als die, die ihn wegbringen.“

Schämen Sie sich, eine Putzfrau zu beschäftigen?

Den Schmutz anderer Menschen zu entfernen, gilt als eine Form der sozialen Erniedrigung. Die Hausfrau darf fast noch dankbar sein, wenn ihre Arbeit gar nicht als Arbeit wahrgenommen wird. Sowieso bekommt sie dafür weder Geld noch Anerkennung. Hausarbeit wird als nicht-produktive Arbeit im ökonomischen Sinn nicht in das Bruttosozialprodukt eingerechnet. „1995 errechnete ein Team der Vereinten Nationen den Gesamtwert der unbezahlten Frauenarbeit und kam auf elf Milliarden Dollar, was damals einem Drittel der wirtschaftlichen Aktivität weltweit entsprach. Würde man nicht-produktive Arbeit wie Bank- und Finanzgeschäfte herausrechnen, wäre dieser Anteil sogar noch deutlich höher.“
Offiziell entlohnte Hausarbeit wäre aber beispielsweise durch die Lohnarbeit des Ehemanns gar nicht finanzierbar. Da das System der Lohnarbeit ohne unbezahlte Hausarbeit nicht funktionieren würde, wird diese in Form von Prämien, Steuervergünstigungen, Pensionssystemen etc. vom Staat gefördert. Solche „Zuckerl“ werden, wie Stummerer/Hablesreiter feststellen „als Sozialmaßnahmen gesehen, das heißt als Geld, welches die Betroffenen quasi aus reinem Wohlwollen heraus und nicht in Abgeltung einer zuvor erbrachten Leistung erhalten.“ Wär’s da nicht an der Zeit, das Bruttosozialprodukt einmal sauber zu berechnen?

 

Sonja Stummerer, Martin Hablesreiter: putzen – eine Kulturtechnik. Verlag Böhlau, Wien 2021, 216 Seiten, Hardcover, ISBN: 978-3-205-21242-3, € 27,99