Von der Macht der Ohnmacht
Karl Markovics und Pro Brass gingen bei Dornbirn Klassik eine gute Verbindung ein
Bei Dornbirn Klassik bot sich die einmalige Gelegenheit, Musik von Werner Pirchner mit dem Blechbläserensemble Pro Brass zu erleben. Dazu rezitierte Karl Markovics Ausschnitte aus dem Mammutwerk „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus. Die Kombination der emotional aufgeladenen Texte mit der doppelbödigen Musik überhöhte die oft bissig satirischen Inhalte. Herausragend interpretierte das Blechbläserensemble die unterschiedlichen Werke. Karl Markovics gab als Schauspieler und Rezitator in der Haut des ungehaltenen Karl Kraus alles und zog die Zuhörenden in seinen Bann. Der rasche und stark dialektal gefärbte Sprachfluss forderte enorm viel Konzentration ein.
„Die letzten Tage der Menschheit“ beinhaltet 220 Szenen und hat keine fortlaufende Handlung. Mit messerscharfer Rhetorik prangerte Karl Kraus die Naivität und Gedankenlosigkeit der Bürger:innen und den skrupellosen Machtmissbrauch der Kriegstreiber vor dem Ersten Weltkrieg an. Karl Markovics hat für die „musiktheatralische Lesung“ mit Pro Brass etwa 25 Szenen extrahiert. Darin treten unter anderem ein Graf, ein Baron, junge Burschen, ein Optimist und ein Nörgler, ein Hauptmann und Generäle sowie Journalisten, ein Mesner und ein Superintendent, Geschäftsreisende und andere auf. Für all diese Protagonisten fand Karl Markovics die unterschiedlichsten Dialekte, Sprechweisen und charakterisierende Tonfälle. Zuerst führten die Textinhalte in die aufgeheizte Stimmung und die verblendeten Zukunftshoffnungen vor dem Ersten Weltkrieg und später in die Schützengräben, Lazarette und das Elend nach dem Krieg.
Der Rezitator als Schauspieler
Karl Markovics vergegenwärtigte die Person des Karl Kraus mit seiner Körpersprache und Mimik. Sämtliche Szenen belebte er überwältigend professionell und ausdrucksstark. Weshalb er jedoch für die meisten Szenen einen derart rasanten Sprachduktus wählte, erschloss sich mir nicht. Zwar wurde damit die Dringlichkeit, die nervöse Aufgeregtheit der Protagonisten unterstrichen, an das Publikum stellte die Diktion jedoch teilweise große Herausforderungen, die in der Fülle fast erdrückend wirkten.
Die Inhalte waren keine leichte Kost, und in nicht wenigen Passagen blieb das Lachen regelrecht im Hals stecken, als etwa der Graf als mitreißender Hassredner die Leute aufhetzte oder im Gespräch der vier jungen Burschen die Verblendung der Kriegsbegeisterten deutlich gemacht wurde. Auch die Textpassage des Nörglers: „Ich beneide den Tod nicht darum, dass er sich jetzt von so vielen armen Teufeln ins Auge blicken lassen muss“, wirkte nach. Brillant gestaltete Karl Markovics das Lied des Reporters Hirsch aus dem Bürozimmer und die Szene des besoffenen Oberstleutnant Maderer von Mullatschak. Aufhorchen ließen die Worte des Superintendenten Falke: „Das Töten ist in diesem Falle keine Sünde, sondern Dienst am Vaterlande, eine christliche Pflicht, ja ein Gottesdienst!“ Am eindrücklichsten war die Szene im Militärspital, wo Verletzte, Invalide und Sterbende in die Art der Ehrenbezeugungen und des Salutierens eingewiesen wurden. Zum Schluss steigerte sich Karl Markovics in Karl Kraus‘ Worteskapaden hinein und stellte damit die in den Abgrund führende Spirale eindringlich dar.
Musik mit viel Aussagekraft
Zwischen die intensiv dargebotenen Rezitationspassagen lagerte das Blechbläserensemble Pro Brass Kompositionen von Werner Pirchner ein. Es war ein besonderes Vergnügen, Werner Pirchner in einer Art Porträtkonzert zu erleben. In der Zusammenschau so berühmter Werke wie „Firewater-Music“, „Do you know emperor Joe“, der Kammer-Symphonie „Soirèe Tyrolienne“, der „Kleinen Messe um C“ sowie dem Werk „Wem gehört der Mensch?“ und weiterer wurden mannigfaltige Einblicke in die originelle Klangwelt des viel zu früh verstorbenen Komponisten geboten.
Die Musiker gestalteten sämtliche Kompositionen mit einem ausgezeichneten Gespür für die Klangbalance. Den Personalstil des Werner Pirchner, der mit Idiomen und verfremdeten Zitaten spielte, Rhythmen übereinanderschichtete und in „Schieflage“ versetzte, eine brüchige Atmosphäre zwischen naturhaften Klängen und der Volksmusik zum Ausdruck brachte sowie abrupte und überraschende Wendungen einbaute, stellte das Ensemble mitreißend dar. Sich reibende Intervalle und Klangflächen, die erzählerische Bilder evozierten, führte die Szenen aus den „Letzten Tagen der Menschheit“ in Sinnzusammenhänge, die eine zusätzliche Erlebnisebene öffneten.
Zwischendurch boten die musikalischen Beiträge auch Gelegenheit zur Entspannung, wenn die Textinhalte gar zu grauenhaft wurden. Die doppelbödige Ironie der Musik trat teilweise in spannende Dialoge mit den Textinhalten. Besonders gut gelangen dies beispielsweise in den Ausschnitten aus „Do you know Emperor Joe“. In Erinnerung blieb auch das Gegensatzpaar, das der 2. Satz „Prima Vista Pazifista“ mit der zuvor erregt vorgetragenen Szene aus der Viktualienhandlung bildete.
Erschöpft und bereichert applaudierte das Publikum im bis auf den letzten Platz besetzten Kulturhaus für das außergewöhnliche Abonnementkonzert, das noch lange nachwirken wird.
https://aktuell.dornbirn.at/presseaussendung/2024-05-29-dornbirn-klassik-2024-2025-mit-rolando-villazon-und-karl-markovics
https://www.probrass.at/