Josefine Lindstrand: For the Dreamers
Während die Band im direkt an die Atlantikküste gebauten Ocean Sound Studio im Westen Norwegens das fünfte Lindstrand-Album einspielt, lenkt der Kameramann den Blick immer wieder durch die riesigen Fenster auf das dunkelblau wogende Meer, die mit weißer Gischt anbrandenden Wellen, die schneebedeckten Berge, über denen sich weiße Schönwetterwolken türmen, und auf den durch die klirrende Kälte brechenden, strahlenden Sonnenschein. So perfekt wie dieses im Internet zu findende Kurzvideo die traumhafte Idealvorstellung von einer wunderschönen nordischen Küstenlandschaft visuell einfängt, gelingt der in Stockholm lebenden Sängerin auch die akustische Umsetzung dieser skandinavischen Traumwelten.
Eiseskälte, Melancholisches, Magisches und Herzerwärmendes ziehen sich durch die acht neuen, von ihr komponierten, getexteten und gleichermaßen geschmacksicher wie effektvoll arrangierten Songs. „For the Dreamers“ ist ein Titel, den man durchaus wörtlich nehmen darf. Wie schon beim vor zwei Jahren erschienenen Album „Mirages by the Lake“ sorgen wieder Jonas Östholm am Flügel, Kontrabassist Pär-Ola Landin, Drummer Fredrik Myhr und Trompeter Gunnar Halle für die gleichermaßen perfekte wie stimmungsvolle Realisierung von Lindstrands unverwechselbarem Mix aus Nordic Jazz, verträumtem Pop und eigenwilligem Singer-Songwriting. Dieser wird noch durch den neu dazugekommenen Thomas Backman auf Altsax, Flöte, Klarinette und Bassklarinette um zusätzliche Klangfarben erweitert. Gleich beim sanften, schließlich einen trancigen Groove entwickelnden Opener „Isagel“ werden kurz einmal Erinnerungen an Kate Bush oder Björk wach, Josefine Lindstrands glasklare Stimme ist aber längst unverwechselbar und harmoniert besonders schön mit Gunnar Halles ausdrucksstarkem Trompeten-Sound. Mit „Up!“ beschreibt Lindstrand, wie es sich mit Phantasie und Kreativität aus dem Alltagsleben ausbrechen lässt, um die abenteuerliche Reise durch die Gedankenwelt eines Träumers anzutreten. Auf „In my Craft or Sullen Art“ schaut kein Geringerer als Marius Neset mit seinem Tenorsax vorbei, und „Nobia“ ist eine verträumte, mit nonverbal gehauchten Vocals durchzogene und von der Bassklarinette aufgebrochene Piano-Ballade. „Flame and Shadow“ klingt mit seinem präparierten Piano und den rhythmischen Breaks wie aus einem schrägen Musical entflohen, und „Lead me home“ verblüfft mit Minimal Music-artigen Momenten. Das siebenminütige, aufgewühlte, mehrfach die Stimmung wechselnde „Utopia“ ist der klangliche und rhythmische Unruhe-Herd des über weite Strecken beschaulichen Albums, das in den zumeist luftigen Arrangements bei aller Schönheit aber auch genügend Extravagantes bereithält, um die Aufmerksamkeit wachzuhalten. „For the Dreamers“ – Closer und Titelstück des Albums zugleich – wirkt schließlich wie die akustische Umsetzung einer Collage aus durch den Bewusstseinsstrom mäandernden Stimmungen und Träumen. Wer hat zuhause schon einen Ausblick wie das Ocean Sound Studio im sagenumwobenen Giske, aber die Musik lässt ohnehin die passenden Bilder dazu im Kopf entstehen.
(O-Tone)
Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR Dezember 2024/Jänner 2025 erschienen.