Vom berauschenden Tanz der Gefühle
Jubelstürme bei den Bregenzer Meisterkonzerten
Auf das traditionelle Meisterkonzert mit den Wiener Symphonikern haben sich Musikbegeisterte schon lange gefreut. Mit Spannung wurde die Vorarlberg-Aufführung des neuen Cellokonzertes von Marcus Nigsch mit dem Solisten Kian Soltani erwartet. Das Auftragswerk zum 125. Geburtstag der Wiener Symphoniker begeisterte die Zuhörenden dermaßen, dass es viele nicht mehr auf den Sitzen hielt. Mit Standing Ovations wurden der Solist, der Komponist und die Musiker:innen gefeiert. Dieses Konzert der Superlative wird noch lange in Erinnerung bleiben. Neben der fulminanten neuen Komposition und der beispiellosen Spielart des Solisten zog auch der erst 29-jährige Dirigent und Jazzpianist Patrick Hahn die Konzertbesucher:innen im Bregenzer Festspielhaus in seinen Bann. Dessen musikalische Gestaltungsfreude übertrug sich ganz unmittelbar auf die Orchestermusiker:innen. Die Wiener Symphoniker spielten mit quirliger Aussage, markanten Phrasierungen und viel Kommunikation untereinander.
Es ist immer ein besonderes Ereignis, wenn im Konzert ein in unserer Zeit entstandenes Werk zu hören ist. Musik von heute spiegelt unsere Gegenwart wider und hat eine aktuelle Aussagekraft. Der Vorarlberger Marcus Nigsch hat ein sensibles Gespür für gesellschaftliche Entwicklungen. Seine musikalischen Gestalten fasst er in einprägsame Charaktere und überträgt Kommunikationsmuster, Dialoge, Machtverhältnisse, das Spiel von einem zum anderen, von einem gegen die anderen und umgekehrt in spontan verständliche, musikalische Wirkzusammenhänge.
„Versus“ nennt er das Cellokonzert, das in enger Abstimmung und Zusammenarbeit mit Kian Soltani entstanden ist. Der Titel des dreiteiligen Werkes brachte die musikalischen Ausdrucksgehalte zur Geltung. Im ersten Teil war der Solist ganz bei sich, spielte eine poesievolle Melodie und weckte eine große Erwartungshaltung. So ging das Cello mit einem marschähnlichen Impetus voran. Zuerst folgte das Orchester, bis es mit markanten Schlägen auf sich aufmerksam machte. Allmählich baute sich eine stets größer werdende innere Spannung auf, denn die Reaktionen des Orchesters auf die Motive des Solisten wirkten unberechenbar. Immer drängender stellte sich die Frage, wie die Orchestermusiker:innen auf die Themen und Motivgestalten des Solocellos reagieren werden. Auf der einen Seite wurden einnehmende Dialoge, beispielsweise mit dem Klarinettisten, entfaltet. Doch unvermittelt zerschlugen die meist perkussiven und vom tiefen Blech ausgehenden Attacken des Orchesters eine aufkeimende Idylle.
Das große Ganze
Entspannung bot der Mittelteil, in dem das Solocello und das Orchester Kantilenen ausbreiteten. Die Solostimme wurde vom orchestralen Klanggrund getragen und entfaltete in höchsten Flageolettlagen irisierende Klangbilder. Nach einem etwas (zu) lange dauernden Geben und Nehmen spreizte sich der Orchesterklang auf und führte in einen rhythmisch markant gesetzten Abschnitt. Hier wurden die Energien gebündelt und Machtverhältnisse ausgelotet. Kraftvolle Rhythmen wurden geschichtet und perkussive Passagen des Cellos zeigten das Instrument von seiner robusten Seite. Schließlich spannten Reminiszenzen an den ersten Teil den Bogen und die Musiker:innen entwickelten weitläufige rhythmische Felder. Viel ließe sich noch über die musikalisch-motivischen Zusammenhänge, die Nähe zur Filmmusik, Schnitte, Ein- und Überblendungen erzählen. Die „Rollen“ der themenführenden Stimmgruppen, der Austausch zwischen den Orchesterstimmen und die Kommunikation mit dem Solocello sowie Größenverhältnisse des Einzelnen im Vergleich zur Wirkmacht von vielen kamen höchst eindrucksvoll zur Geltung und regten zum Weiterdenken an.
Der Solopart
Den Solopart hat Marcus Nigsch ganz auf die individuellen Spezialitäten des weltweit gefeierten Kian Soltani zugeschnitten. Spieltechnisch konnte der Komponist aus dem Vollen schöpfen und tat dies auch. Wunderbar klar spielte der Kian Soltani sämtliche Abschnitte aus, modellierte Passagen in Mehrfachgriffen, führte die Motive in höchste Lagen, schattierte die Töne mit einer faszinierenden Bogenführung ab, kristallisierte farbenreiche Tonqualitäten heraus, entfaltete die Wechseltonmelodien über die Saiten hinweg und erfüllte sein exquisites Cello, „London ex Boccherini“, mit Leben. Das vielschichtig angelegte Werk wird noch lange nachklingen und an seinen herausragenden Interpreten gebunden sein.
Russische Symphonik, ein faszinierender Dirigent und ein Geburtstagsgeschenk
Den Rahmen für das Cellokonzert bildeten russische Kompositionen. Zuerst erklang die zwar rasend lebhafte, aber auch etwas polternd dargebotene Ouvertüre zur Oper „Ruslan und Ludmilla“ von Michail Iwanowitsch Glinka. Sodann interpretierten die Wiener Symphoniker die 5. Symphonie von Peter I. Tschaikowsky. Die wesensbestimmenden Hauptthemen stellte das Orchester vielgestaltig dar. Sehr präsent agierten die hervorragend aufeinander reagierenden Stimmgruppen, und Aufmerksamkeit lenkten wunderbar zelebrierte Soli auf sich. Das gesamte Werk formte das Orchester emotional und kristallisierte die musikalische Quintessenz heraus. Eindrücklich und dynamisch nuanciert kam die dem Werk innewohnende Ambivalenz zum Ausdruck.
Patrick Hahn war ganz bei den Musiker:innen, er dirigierte elegant und mit genauer Diktion. Seine vollkommen natürliche Ausstrahlung und die auf das Wesentliche beschränkte Gestik, verbunden mit einer tänzerisch eleganten Körperspannung, verströmte eine mitreißende Wirkung.
Zum 125. Geburtstag gratulierte die Stadt Bregenz den Wiener Symphonikern mit einer Lithografie von Tone Fink. Bei dieser Gelegenheit dankten Michael Ritsch und Michael Rauth für die langjährige Freundschaft. Im nächsten Jahr gastiert das Orchester bereits zum 80. Mal als Festspielorchester in Bregenz und Jan Nast, der Intendant der Wiener Symphoniker, lud humorvoll zum Tag der Symphoniker im kommenden Sommer ein.
Obligatorisch sind die Zugaben der Wiener Symphoniker bei den Bregenzer Meisterkonzerten. Mit einem Marsch und einer Polka von Johann Strauss, dessen 200. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird, dankte das Orchester für den stürmischen Applaus.
https://www.bregenzermeisterkonzerte.at/
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