Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Ingrid Bertel · 25. Feb 2023 · Theater

Tränen im Whiskeyglas

Nichts als Jubel gibt es für Augustin Jaggs Inszenierung des Ehedramas „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“:

Kaum ein Konversationsstück wird so oft gespielt wie Edward Albees furioses
Ehedrama „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“. Martin Kusej feierte damit 2019
seinen Einstand als Direktor des Burgtheaters, und die Filmversion mit Liz
Taylor und Richard Burton ist sowieso ein Klassiker. Da sind die Ansprüche hoch
– aber Augustin Jagg wird ihnen mit seinem vierköpfigen Ensemble spielend
gerecht.
„Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ – das ist Marthas Partygag, damit kommt
sie immer gut an. Weil man sich auf Universitätscampus bewegt, hat sie den
bösen Wolf aus dem Kinderlied gegen die elegante Dichterin ausgewechselt.
George hat ein bisschen geschmunzelt, die anderen auf der Party fanden es
dermaßen witzig, dass Martha beschlossen hat, mit ihnen zu Hause weiterzufeiern.
Sehr zum Missbehagen von George.

Fun and Games

Der Whiskey fließt in Strömen, der Wodka auch, und naturgemäß eskaliert die
Situation. Wer sich auf eine Beziehung einlässt, baut auf Vertrauen. Der andere
wird das, was er von den eigenen Schwächen weiß, schon verzeihlich finden.
Zwischen Martha und George ist das anders, die hauen sich das Versagen ohne
alle Skrupel um die Ohren. Und sie sind derartige Routiniers im Ehekrieg, dass
sie einander mittlerweile auch gern vor Publikum demütigen und bloßstellen.
Da agiert Sabine Lorenz als Martha funkelnd vor Bosheit. Sie gibt das Tempo
vor, und wenn sie flirtet und tanzt, singt und scherzt, ist sie so verführerisch in
ihren Gemeinheiten, dass nicht einmal das exzessive Saufen ihren Glanz
beschädigt.
Hubert Dragaschnig zeichnet den Ehemann George als melancholischen
Eigenbrötler. Mit der auf dem Campus herrschenden Karrieregeilheit hat er
nichts zu schaffen, und dass er von seiner Frau permanent als Versager „gedisst“
wird, bewegt ihn nur mehr selten. Dann nämlich, wenn sein Buch und seine
Lebenswahrheit angetastet werden.

Walpurgisnacht

Eine Bar mit großflächigen Sitzgelegenheiten – das ist das Wohnzimmer der
beiden. Dahinter ein Vorhang, auf dem die Aktbezeichnungen Edward Albees in
Hollywoodlettern aufleuchten: „Fun and Games“ zu zitatreicher Musik von
Herwig Hammerl, „Walpurgisnacht“ und schließlich „exorcism“.
Hat das jugendliche Paar Nick und Honey anfangs noch betreten der
Wohnzimmerschlacht der Alten zugesehen, wird mit steigendem
Alkoholkonsum schnell klar, dass auch diese beiden bald alle Hoffnung fahren
lassen. Da steigert sich Nick (Kolja Heiss) in die Rolle des Karrieristen und
„Zuchtbullen“, um umgehend von Martha als Versager und von George als
„Hausbursch“ tituliert zu werden, während Honey (Kaija Ledergerber) als
reizendes Dummchen die angehende Säuferin nur mäßig kaschiert. Die meiste
Zeit verbringt sie auf dem WC, viel Text hat sie auch nicht – aber Kaija
Ledergerber macht aus Honey eine Glanzrolle. In ihrem so zarten Gesicht
leuchtet zuallererst auf, was diese vier auch sind: Liebende, die verzweifelt um
ihre Liebe kämpfen.

Exorzismus

Wenn die Killerspiele alle gespielt sind, wenn die vier erschöpft in den Seilen
hängen, lässt Martha die Eiswürfel ein letztes Mal im Glas klackern und gesteht,
sie weine die ganze Zeit, aber sehr leise, damit es niemand höre. Kann nach all
den gegenseitigen Verletzung noch Vertrauen entstehen, eine Zärtlichkeit der
Wölfe? „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ singt George. Und Martha sagt:
„Ich“ – das traumschöne Finale eines Abends, der unter die Haut geht.

Theater Kosmos: „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ v. E. Albee
weitere Vorstellungen: ‚
25.2 sowie 3./4./8./10./11./17./18.3. jeweils 20 Uhr,
5./12.3. jeweils 17 Uhr
Theater Kosmos, Bregenz
https://theaterkosmos.at/