Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Peter Niedermair · 28. Mai 2022 · Theater

Zur Premiere von „Don Quijote und Sancho Panza nach Cervantes“

„Don Quijote und Sancho Panza nach Cervantes“ in einer Fassung von Stephan Kasimir (Premiere am Freitag 27. Mai) ist keine UNPOP-Produktion, sondern eine Produktion des Theater Wagabunt und findet daher nicht im Kulturhaus Dornbirn statt, sondern im TIK in Dornbirn. Zur Produktion schreibt Regisseur und Theatermacher Stephan Kasimir: „Caro und ich haben diesen Abend speziell für die beiden ‚Theaterhaudegen‘ Robert Kahr (Theater Wagabunt) und Wolfgang Pevestorf (früher Vorarlberger Landestheater) eingerichtet. Als kleine Verbeugung vor den beiden erfahrenen Schauspielern, die seit Jahrzehnten schon Vorarlbergs Theaterbühnen bespielen.“

Sein Kampf gegen Windmühlen machte Cervantes' Figur legendär – bis heute

Don Quijote, ein verarmter Landadeliger, ist der leidenschaftlichen Lektüre von Ritterromanen verfallen, ständig auf der Suche nach „Aventuiren“ und eigentlich – wie das Leben halt so spielt, nicht wirklich fähig, zwischen Sein und Schein, Dichtung und Wahrheit zu differenzieren. Er stilisiert sich zu einem stolzen Ritter, ein Kämpfer gegen das Böse, der ein neues Zeitalter des Rittertums schaffen will und sich zum Ziel setzt, auf seinem Pferd Rosinante gegen Windmühlen zu kämpfen. An seiner Seite treu, klug von Verstand und witziger Ironie geleitet, reitet der nur scheinbar naive Knappe Sancho Panza, der redlich und strategisch offen und sprachversiert versucht, seinen Herrn vor noch schlimmerem Unheil zu bewahren. In der Regel enden die Episoden tragisch, Don Quijote wird zumeist verprügelt und bleibt kaum ruhmreich als „Ritter der traurigen Gestalt“ zurück. Im ersten Teil tragen sich jene Abenteuer zu, für die der Roman von Miguel de Cervantes weltberühmt geworden ist. Übrigens, vor gut 20 Jahren beauftragte der Spiegel eine Hundertschaft weltberühmter Autorinnen und Autoren, ein Votum für den berühmtesten Roman der Welt abzugeben. Dieses Hundert wählte Miguel de Cervantes' „Don Quijote“, den Schelmenroman über den Ritter und seinen Kampf gegen Windmühlen, zum besten Buch der Welt.

Aus insgesamt sehr verschiedenen Gründen, von denen die beiden engagierten Theaterleute Stephan Kasimir und Caro Stark eine Auswahl auf die trefflich reduzierte Bühne stellen, auf der zwei schauspielende Protagonisten agieren, die nicht besser hätten ausgesucht werden können. Ihr Spiel ist kongenial aufeinander bezogen, dialektisch ineinander verwoben bis in die subtil intonierten ironischen Grundtöne hinein; sprachlich inszenieren die beiden bis in die letzten Fasern den weit über sich hinaus weisenden Don Quijote – der zu Sancho Pansa spricht: „Lass dir gesagt sein, lieber Freund, unter den Fahrenden Rittern von ehedem war es ein weit verbreiteter Brauch, ihre Knappen zu Gubernatoren der Eilande oder Königreiche zu machen, die sie eroberten, und ich bin entschlossen, diesen ersprießlichen Brauch fortzuführen. Es ist sehr gut möglich, dass ich binnen sechs Tagen ein Reich erobert habe, das ein paar Vasallenländer besitzt, die wie geschaffen wären, dich zum König von einem zu krönen.“ – und dessen sehr lebensklugen Compagnon, der ja auch scheitert, weil deren beider Aventuiren und Weltwichtigtuerei einzig und allein das einfache Bauernmädchen Dulcinea von Toboso – „klangvoll, wundersam und bedeutend“ – beeindrucken sollen.

Scheitern und Unterwegs-Sein als Lebensform

Natürlich scheitern sie in einem fort, verlieren dennoch nicht ihren ungestümen und paradox welt-fern-fremden Duktus, sie kämpfen diesen aussichtslosen Kampf gegen diese Windmühlen weiter mit aller Energie, die Phantasie nur hergeben kann. Sie loten in knapp und präzise gesetzten Andeutungen Themen, die gar nicht weltfremd sind, sondern aus der unmittelbaren gesellschaftlichen Realität fokussiert sind. Machismo in der Spielart der ironischen Verfremdung, – „Panza: Ist doch ein ungeheurer Zufall, dass die ganzen Ritter da, also dass diese ganzen Heere ausschließlich aus Männern bestehen. Und wir dazu noch Männer sind. Also das ist einfach eine ganze schöne Menge an Männern, meine ich. Also da gibt es einfach ein ziemliches Ungleichgewicht, wenn Sie mich fragen.“ – das Thema des Alterns und Nicht-mehr-gebraucht-Werdens, Veränderungen an sich, um nur zwei, drei herauszugreifen.

Der Sinn des Widersinns

Die Grundlage für das Stück wird bereits im Roman des Miguel de Cervantes gelegt. Bereits in der Vorrede parodiert der Autor in seinem Don Quijote die Ritterromane und nimmt vorweg, als großen erzählerischen Bogen, dass übermäßiges Lesen solcher Romane den Verstand raubt. In der Vorrede „Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha“ zur 1605 erschienenen Ausgabe des „Don Quijote“ - schreibt Miguel de Cervantes Saavedra: „Man muß nun wissen, daß dieser obbesagte Junker alle Stunden, wo er müßig war - und es waren dies die meisten des Jahres -, sich, dem Lesen von Ritterbüchern hingab, mit so viel Neigung und Vergnügen, daß er fast ganz und gar die Übung der Jagd und selbst die Verwaltung seines Vermögens vergaß; und so weit ging darin seine Wißbegierde und törichte Leidenschaft, daß er viele Morgen Ackerfeld verkaufte, um Ritterbücher zum Lesen anzuschaffen; und so brachte er so viele ins Haus, als er ihrer nur bekommen konnte. Und von allen gefielen ihm keine so gut wie die von dem berühmten Feliciano de Silva verfaßten; denn die Klarheit seiner Prosa und die verwickelten Redensarten, die er anwendet, dünkten ihm wahre Kleinode; zumal wenn er ans Lesen jener Liebesreden und jener Briefe mit Herausforderungen kam, wo er an mancherlei Stellen geschrieben fand: Der Sinn des Widersinns, den Ihr meinen Sinnen antut, schwächt meinen Sinn dergestalt, daß ein richtiger Sinn darin liegt, wenn ich über Eure Schönheit Klage führe. (…) Und ebenso, wenn er las: ...die hohen Himmel Eurer Göttlichkeit, die Euch in göttlicher Weise bei den Sternen festigen und Euch zur Verdienerin des Verdienstes machen, das Eure hohe Würde verdient. Durch solche Redensarten verlor der arme Ritter den Verstand und studierte sich ab, um sie zu begreifen und aus ihnen den Sinn herauszuklauben, den ihnen Aristoteles selbst nicht abgewonnen noch sie verstanden hätte, wenn er auch zu diesem alleinigen Zweck aus dem Grab gestiegen wäre.“

„Anschreiben gegen die Ödnis des Realen“

Am Ende, nach den kurzweiligen 75 Minuten der großartigen und in die Tiefe beeindruckenden Aufführung des Stücks, „das Anschreiben gegen die Ödnis des Realen“ (Stephan Kasimir) bleibe ich sitzen, wie auch sonst immer, schaue auf die Bühne, die Caro Stark mit einem zentralmittig positionierten Podium eingerichtet hat, auf dem ein Pferd zum diminutiven Pferdchen und das Eselchen des Sancho Pansa zum Ausritt gegen die Windmühlen bereit stehen, und denke mir, was für eine exzellente schauspielerische Leistung, was für ein angereichert vielfältiger mit Zwischentönen gespickter Text, der in einer, übrigens, sehr beeindruckenden Regieleistung sprachlich teilweise auch über ein Transistorradio auf die Bühne kommt. Die Textbearbeitung – insbesondere in deren dramaturgischer Reduktion und Verknappung – webt in einem fort ironisierende Untertöne in den Textteppich ein, wird in der Bühnenrahmung durch die wedelnden, in Bahnen zerschnittenen Vorhangstreifen nochmals fokussiert und bindet das Bühnengeschehen unmittelbar nahe an die Zuschauerinnen und Zuschauer im Alten Spielboden in der Jahngasse 10, dem Kopfbau der Stadthalle. Meine Güte, was war das eine Zeit … einige Anspielungen werden an diesem Abend kurz angedeutet wach, man bleibt in Gedanken versunken sitzen, trifft Freunde und Bekannte, bis man in die Nacht hinaus geht, in eine Realität, die, wie das Stück an sich, permanent zwischen Traum und Wirklichkeit, Wunsch, Phantasie und Pragmatismus hin und her oszilliert. Theater hat mit all den Mitteln des Verfremdens und Benennens, des indirekten Anspielens und Verweisens jene Mächtigkeit und Faszination, die Kunst imstande ist zu vermitteln, das Gegenüberstellen von Facetten der Realität mit den Hoffnungen und Wünschen auf ein besseres gesellschaftlich-politisches Leben, das, was Gaul, der Gründer des Spielbodens, am Beginn der 80er Jahre in sein „Wecken und Animieren“-Konzept mit hinein verpackt hatte. Nichts davon hat sich bis dato erübrigt. Im Gegenteil. Der Inszenierung von Stephan Kasimir und Caro Stark, ausgeführt von den beiden für dieses Land so bedeutenden Schauspielern, Robert Kahr und Wolfgang Pevestorf, bleibt ein respektvolles Danke für dieses Stück, dem ich über jene bis dato aufgelisteten Termine hinaus zahlreiche weitere Vorführungen wünsche.

Weitere Vorstellungen: Sa, 28. um 20 Uhr und So, 29. um 17 Uhr. Das Stück dauert 1 Stunde und 15 Minuten. Karten: Tel. 0650/8304257