Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Ingrid Bertel · 22. Feb 2020 · Theater

„Warten auf Tränengas“ im Theater Kosmos

Als „Hommage an die Demokratie“ bezeichnet Hubert Dragaschnig das Drama „Warten auf Tränengas“. Das Autorenduo Andreas Sauter und Bernhard Studlar beschert dem Theater Kosmos damit eine Uraufführung, die für selbstkritisches Nachdenken sorgen kann.

„Entschuldigung, wir leben in einem guten Land. Darf man das auch einmal sagen?“, hallt es von der Vidiwall. Hier plaudern alle möglichen Leute über alles Mögliche: Wildschweinwurst und alkoholfreies Bier, fehlende Stühle und die Defizite unserer Republik. Als das Stimmengewirr verstummt, ist vor allem einer beunruhigt: der Präsident. Denn vor seinem Regierungssitz versammelt sich eine immer größere Menschenmenge, steht reglos, stumm. Ihn habe diese Szene sofort an die Protestbewegung der „Sardinen“ erinnert, sagt Regisseur Hubert Dragaschnig. „Die Parolen sind alle so ausgehöhlt“, da werde der Protest gegen den Rechtspopulisten Salvini eben schweigend demonstriert. „Kein Text, nur das Bild der aufgehenden Sonne!“ Das ist die Devise von Diana. Sie löst sich aus der Bewegung der Schweigenden mit „lautem Denken“. Und als ein Pflasterstein fliegt, als die Wasserwerfer auffahren und Tränengas über den Platz weht, ist ihre Zeit gekommen: Diana wird zur neuen Präsidentin und verspricht alles, was gut und menschenfreundlich ist. Dabei war auch der frühere Präsident kein Unmensch, hat als Jugendlicher gegen Atomkraft demonstriert und als Minister für sozialen Ausgleich gesorgt. Irgendwie ist er, der Universitätsdozent, ins Präsidentenamt gerutscht wie Alexander van der Bellen.

Die Versatzstücke der Revolution

Bühnenbildner Reinhard Taurer verteilt fünf Haufen von Pflastersteinen auf dem schwarz glänzenden Bühnenboden und krönt sie mit Sitzgelegenheiten in Yves Klein-Blau. Alles ist Zitat in dieser Inszenierung und in diesem Stück, das noch einmal die Bilder einer Revolution durchdekliniert inklusive eines pathetischen Revolutionsbilds, „Pietà des Umbruchs“ genannt. Das allerdings deutet Hubert Dragaschnig mit beiläufiger Geste nur an. Wir wissen doch alle längst, wie die Freiheit das Volk auf die Barrikaden führt und wer die Blumen ins Panzerrohr steckt.

Der Bürger*innenfonds

Diana verspricht als frisch angelobte Präsidentin, was so ähnlich gewiss auch ihr Vorgänger versprochen hat: Spekulationsverbote, Obergrenzen für Großverdiener, einen Bürger*innenfonds – eben jene soziale Gerechtigkeit, die ein gutes Leben für alle ermöglichen soll. Und ihr Vorgänger trifft sich unterdessen mit den Superreichen, um deren Kapital ins Ausland zu verschieben. Bernd Sračnik verleiht ihm eine weiche, leise melancholische Kontur, während Stella Roberts als Diana förmlich glüht. Hinreißend engagiert ist sie, zerbrechlich, charismatisch - überaus verführbar. Denn als sie von der Kapitalflucht erfährt, reagiert sie mit bedingungsloser Härte. Da sind Menschenrechte nichts, aber schon gar nichts mehr wert. Wie funktioniert Korrumpierbarkeit? Auf welche Weise wirkt Macht im Amt? Diese Fragen stellen die Autoren Andreas Sauter und Bernhard Studlar in immer neuen Wendungen. Und Hubert Dragaschnig betont ihre Aktualität. Man könne das derzeit ja an der Regierungsdebatte um die Sicherungshaft prima mitverfolgen.

Erzähltheater

Sauter und Studlar haben – wie schon in vorangegangenen Stücken - eine eigene Form des Theaters entwickelt, wechseln zwischen kurzen Szenen und längeren Erzählpassagen, in denen die Schauspieler*innen wie in einem Roman berichten, was sie gerade erleben, worüber sie nachdenken, was sie zweifeln und grübeln lässt. Leicht zu spielen ist das bestimmt nicht! Aber es passt punktgenau zur Thematik des Stücks. So punktgenau wie die Inszenierung, die zwischen szenischer Auflösung und einem fein abgestimmten Part der Vidiwall wechselt. Die ist von Seraphin Simon hochfein gestaltet worden.

Hommage an die Demokratie

Die Musik zum Stück steuert der Geiger Simon Frick bei. Es ist zunächst ein Walzer, der sich mit dem Geschehen dreht, immer schneller dreht, und schließlich in ein Geheul zerfällt, das – ein weiteres Zitat – die von Jimi Hendrix ein für alle Mal ikonisch gecrashte Hymne ins Gedächtnis zurückholt.
Dragaschnig ist mit seinem Team ein wundervoller, ein traurig stimmender Abend gelungen, ein Abend, der Diskussionen auslöst darüber, wie sich die Demokratie lebendig erhalten lässt.

weitere Vorstellungen:
22./23./27./28./29.2. und 6./7./8./12./13./14.3., jeweils 29 Uhr
Theater Kosmos, Bregenz
www.theaterkosmos.at