Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Annette Raschner · 10. Nov 2016 · Theater

Vom kleinen, großen Glück einer Begegnung - Peter Turrinis "Maria und Josef" am Vorarlberger Landestheater

Am Vorarlberger Landestheater hat Peter Turrinis bekanntes Stück „Josef und Maria“ – ein Weihnachtsmärchen für Erwachsene – Premiere gefeiert. Es handelt sich um eine Übernahme aus dem Düsseldorfer Schauspielhaus, für die Regie zeichnet Landestheaterintendant Alexander Kubelka verantwortlich. Es ist ein wahres Fest für zwei ältere Schauspieler, und Manuela Alphons und Winfried Küppers brillieren in den beiden Rollen.

Die letzten Kaufhausbesucher sind weg, die Stimme von Dirk Diekmann erklingt und wünscht auch dem Personal fröhliche Weihnachten. Doch von dem sind gerade einmal zwei übrig geblieben: Die Gelegenheitsputzfrau Maria, die von ihrem Sohn Willi kurzfristig wieder ausgeladen wurde, weil dessen Frau die Anwesenheit der „Alten“ am Heiligabend nicht schätzt; Und Josef, der Mann von der Wach- und Schließgesellschaft, ein Altkommunist par excellence.

Alles atmet nach Einsamkeit

Mit schlurfenden Schritten, aber im glitzernden Leopardenmantel betritt Maria die von Kunstschnee bedeckte Bühne. Müde ist sie schon vor Beginn ihrer Arbeit – und tieftraurig. „Warum sind die Menschen so wie sie sind?“ fragt sie und kann natürlich keine Antwort darauf geben. Die Szenerie verstärkt die Tristesse, alles atmet nach Einsamkeit. Verkümmert sind die Herzen, übergroß stellt sich dagegen die Konsumwelt mit ihren zahllosen Versprechungen dar. Rote Ballons im XXXL-Format beherrschen die Bühne, die von riesigen Plüschteddybären gesäumt wird. (Bühne: Florian Etti) Die Bären wirken genauso verloren wie Maria, die ihrer grenzenlosen Verbitterung mit Schnaps und gehässigen Reden beizukommen versucht.

Der Kommunist und die politisch Unerfahrene, Naive

Eine andere Strategie gegen die Einsamkeit verfolgt Josef. „Gehörmäßig bin ich voll da“, sagt er zu Maria, aber zuhören zählt nicht zu seinen Stärken. Viel lieber politisiert und theoretisiert er, dem als Freidenker und Kommunist alles Heilige zuwider ist. Weihnachten umso mehr. Seine Liebe gehöre der geschundenen Menschheit und ein fortschrittlicher Mensch sei nie alleine, poltert Josef anfangs noch vollmundig, doch irgendwann lässt sich auch die Vergangenheit nicht mehr schönreden, zumal auch Maria mit fortwährendem Verlauf ihr Herz auszuschütten beginnt. Bei ihr, der einstigen Varietétänzerin, die dem Nationalsozialismus durchaus auch Positives abgewinnen konnte und der „Karriere“ zuliebe die Annäherungsversuche diverser Herren durchgehen ließ,  klingt es freilich ganz anders. Anders als Josef ist Maria politisch unerfahren und naiv, intellektuell ist sie keine Größe, aber emotional ist sie dem verschrobenen Dogmatiker haushoch überlegen.

Kleine Hoffnung, brennende Sehnsucht

Manuela Alphons, gebürtige Niederösterreicherin und Schauspielerin des Jahres 1979 und 1998, zieht sprachlich alle Register, um die vielen Brüche, die das Stück aufzubieten hat, zu verdeutlichen. Mal säuselt sie in hohen Tönen, um im nächsten Augenblick in breitesten Wiener Dialekt zu verfallen und in rauchigem Alt gegen die eigene Schwiegertochter zu wettern. Doch er (großartig: Winfried Küppers), linkisch und schüchtern, bietet Widerstand gegen die Charmeoffensive. Zu hoch sind die Mauern, die er in seiner Einsamkeit um sich gezogen hat. Die meiste Zeit reden die beiden gnadenlos aneinander vorbei – aber sie sind das Kommunizieren halt auch nicht mehr gewöhnt.
Im Alter werden die Hoffnungen kleiner, doch die Sehnsucht brennt weiter. Da hängt ein überdimensionaler Schal von der Decke herab. Wenn man an ihm zieht, setzt ein Glockenspiel ein, eine magische Wunschmusik, die den Gang in die Traumwelt ermöglicht und die Reise in die Erinnerungen in Gang setzt. Josef träumt vom Aufstand des Volkes gegen die Reichen und Mächtigen, Maria beginnt zu tanzen. „Ich bin nicht mehr auf der Höhe meiner Frischität“, sagt Maria, aber: „In mir brennt es noch immer. Dieses Feuer kann man nicht durch Trinken löschen.“ Das Stück bietet viele Sätze, die eine wohl wahre Freude für Schauspieler sind. Etwa, wenn Maria sagt: „Wo gehört man hin, wenn man zu niemandem hingehört?“ oder wenn Josef anführt: „Einmal im Jahr habe ich Fleisch gegessen. Am Karfreitag.“
Das Happy End ist vorhersehbar, schließlich handelt es sich um ein Weihnachtsmärchen, aber in diesem Falle möchte man auch nichts anderes erleben als die beiden am Ziel ihrer – mittlerweile kleiner gewordenen Träume. Und es ist alles andere als ein leichtes Unterfangen für Maria, die vielen Schutzschichten des verkorksten Josef zu durchbrechen, trotz ihrer Verführungskünste. Schlussendlich zieht sie ihre letzte Karte: Den Tango, und da wird sogar einer wie er zum Casanova.

Unerwünschte Aktualität

Unglaubliche 52 Stücke hat Peter Turrini seit seinem 14. Lebensjahr geschrieben. Immer habe er versucht, die Menschen zu berühren, manchmal sei ihm dies auch gelungen, sagte ein mit der Aufführung hoch zufriedener Peter Turrini im Gespräch mit Landestheaterintendant Kubelka. Das Schreiben bezeichnet der 72-Jährige als Trostpflaster. Er müsse Szenen aus dem Leben nachstellen, um es ertragen zu können. Die Verquickung von Privatem und Politischem  bezeichnete Kubelka als das Zeitlose des Stückes, das in 32 Sprachen übersetzt wurde. Turrini meinte daraufhin, „Josef und Maria“ habe leider wieder eine Aktualität erfahren, die er sich nie gewünscht habe. Neue Formen des Faschismus stünden vor der Türe, und so manche seien bereits eingetreten.

 

Weitere Vorstellungen: 20.11.; 3.12.; 9.12.; 15.12.; 27.12. - jeweils 19.30 Uhr
Kornmarkttheater Bregenz, Großes Haus

www.landestheater.org