Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Ingrid Bertel · 16. Apr 2016 · Theater

Verführung zur Unsicherheit – „Wir sind keine Barbaren!“ im Theater Kosmos

Das Theater Kosmos zeigt Philipp Löhles Erfolgsdrama „Wir sind keine Barbaren!“ als Bobo-Komödie mit Helene Fischer-Sound.

Zwei wohlsituierte Paare und einen Heimatchor sieht Philipp Löhles Komödie „Wir sind keine Barbaren!“ vor. Die Gestalt, um die sich alles dreht, tritt niemals auf. Schließlich wissen die Beteiligten nicht einmal den Namen des Flüchtlings, den sie da bei sich aufgenommen haben. Heißt er nun Bobo oder Klint? Kommt er aus Afrika oder Mikronesien? Egal, der Fremde ist ausschließlich Projektionsfläche.

Das ist die erste Grundannahme des Stücks, und sie hat es in sich: Stimmt es, dass wir toleranten, weltoffenen, empathischen Menschen den „Flüchtling“ gar nicht als realen Menschen wahrnehmen? Stimmt es, dass er nur der Vorwand ist, um unsere eigene Großzügigkeit herauszustellen, um über unsere eigenen Sehnsüchte und Ängste zu sprechen? Stimmt es, dass wir keinerlei Interesse haben an Informationen, sondern zugeschwappt werden wollen mit Wohlgefühl?

Barbara und Mario, Linda und Paul sind wirklich keine Ungustln. Als Bobos wie Du und ich kochen sie vegan, kaufen fair und achten auf ihre Fitness: „Ich sage: Zumba. Ich sage: Pilates. Ich sage: Crossfit. Ich sage: Balance-Swing. Ich sage: Mixed-Martial-Arts-Body-Combats. Ich sage: Bokwa. Ich sage: Cortex. Und vor allem sage ich: Yoga.“

Gut, das ist Linda (Anú Anjuli Sikowits), Fitnesstrainerin von Beruf. Ihr Mann Paul (Jan Westphal) hält sich da eher ans Weinglas und schwärmt mit dem Nachbarn Mario (Gottfried Neuner) von einem riesigen Flachbildschirm, „praktisch eine Kinoleinwand.“ Das „geile Teil“ kriegt Barbara (Anja Pölzl) zum Geburtstag geschenkt – wo sie sich doch so auf ein Klapprad gefreut hat.

Das Wir-Gefühl


Vazul Matusz baut für die vier eine blütenweiße Zauberkiste, deren Ausgangsmaße den Containern für Flüchtlingsunterkünfte entsprechen. Verdoppelt wird draus ein schickes Loft, fehlt nur ein flash gap, und man könnte es für einen Mies van der Rohe halten. Die Wände lassen sich verschieben, das Spiel mit den Bedeutungen kann beginnen. Es setzt sich fort in der Musik. Augustin Jagg hatte den sublimen Einfall, den Heimatchor durch eine Schlagersängerin zu ersetzen – und Komponist Herwig Hammerl serviert ihm eine Art Helene Fischer, die atemlos durch die Phrasen groovt:

„Wir, wir sind das Volk,
das vollkommende Gegenteil von Individuum,
wir sind alle gleich,
ich und du ….“

Das entsetzliche Wir-Gefühl, das solche Schlager gnadenlos durchsetzen, verstärkt Jagg, indem er den Text wie in der Karaoke-Bar auf die Wände projiziert. Der „Heimatchor“ wird zur Stimme des Publikums – Paukenschlag Nummer zwei.

Auf der Bühne setzen indes Barbara und Linda dem Schwärmen ihrer Männer vom satten Schwarz des Flachbildschirms ihr eigenes Schwarz entgegen: was für eine Haut hat doch Bobo! Oder Klint. Und Augen, schwarz wie Gletscherseen in der Nacht!

Wir sind keine Barbaren!


Autor Philipp Löhle entfaltet die Sehnsucht nach dem Fremden vor der Folie einer Ehe, in der der Sex nicht mehr gar so prickelnd ist. In dieser Weise tischt er eine Lebenslage nach der anderen auf, bis sich erweist, dass alle unsere fest gegründeten Haltungen auf Treibsand gebaut sind. Es sind ja die eigenen Sätze, die Linda und Paul, Mario und Barbara da im Mund führen. Es ist die eigene Verunsicherung, die sich da artikuliert. Es sind die eigenen Projektionen auf das Fremde, Neue, Beängstigende, gar Krisenhafte, die da durch den Kakao gezogen werden.

„Es gibt da eine Grenze, einen schmalen Grat, da kehrt sich guter Wille in Gutmütigkeit um. Da kippt das Ganze. Man darf sich ja auch nicht ausnutzen lassen.“

Dass sich Beziehungskrisen auf komische Art mit der Angst vor und der Sehnsucht nach dem Fremden verknüpfen lassen, das ist im Volkstheater nicht neu. Ödön von Horváth hat das durchbuchstabiert, R. W. Fassbinder hat es mit „Katzelmacher“ vorgeführt. Autor Philipp Löhle kennt diese Tradition, Regisseur Augustin Jagg kennt sie, und die vier SchauspielerInnen selbstredend auch. Vielleicht können sie deswegen so federleicht, so hauchzart ihre schlimmen kleinen Sätze ins Publikum sprechen. Dort explodiert dann die eine oder andere Weisheit. Es ist was Eigenes, über sich selbst zu lachen. Es verunsichert, und das tut wirklich gut!

 

Weitere Aufführungen:
16., 21., 22., 23., 28., 30. April
6., 7., 12., 13., 14. Mai
jeweils 20 Uhr
www.theaterkosmos.at