Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Dagmar Ullmann-Bautz · 26. Feb 2011 · Theater

Verdichtetes Grauen watteweich verpackt – Österreichische Uraufführung von Elfriede Jelineks „In den Alpen“ am Vorarlberger Landestheater

„In den Alpen“ handelt von einem der schlimmsten Unfälle der österreichischen Nachkriegsgeschichte. Bei einer Brandkatastrophe am 11. November 2000 im Tunnel von Kaprun verbrennen in der Gletscherbahn 155 Menschen, die zum Skilaufen aufs Kitzsteinhorn und dessen Gletscherfirn aufgebrochen waren.

Auf der Bregenzer Bühne treffen sich im verschneiten Wald Tote und Lebende; liefern sich monologische Sprachwettrennen über Natur, Technik und Entfremdung. Zitate aus Paul Celans berühmtem „Gespräch im Gebirg“ sind kunstvoll verwoben und legen den Blick auf die Alpen frei als besonderen Raum im Nationalsozialismus, der den Juden verwehrt bzw. von dem Fremdes fern gehalten wurde.

Angriff auf Maier, Görgl und Co

Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat ein, ihrem einzigartigen Sprachduktus entsprechendes, hoch verdichtetes Werk mit wunderschönen, genialen Sprachspielen geschaffen. 2002 erschienen, stellt sich die Frage, warum „In den Alpen“ erst jetzt seine österreichische Erstaufführung feiern durfte. Gewiss, es ist kein einfacher Text, der einerseits die Regie und die SchauspielerInnen, andererseits auch das Publikum in besonderer Weise herausfordert. Ein dramatischer Text, der in der Umsetzung ungeschminkt die Stiefkinder offenbart, aber das glänzen lässt, woran detailiert und säuberlich gearbeitet wurde. Außerdem - und das setze ich jetzt einfach mal in den Raum - spuckt sich der Österreicher nun mal nicht gerne in die eigene Suppe. Jelineks Kritik an unserer Tourismus-, Event- und Freizeitindustrie, an unserem Umgang mit Natur, ihr „verräterischer“ Angriff auf unsere einzigartige und wahre Skination, und das alles noch verbunden mit Österreichs faschistischer und antisemitischer Vergangenheit, das mag sogar für Künstler, die vielleicht selbst gern Skifahren, bei Skirennen mitfiebern, stolz sind auf Maier, Görgl und Co, ein Scherflein zu viel sein. Oder ist es vielleicht die burlesk zynische Art, mit der Jelinek diesem höchst tragischen Unglück, bei dem so viele Menschen auf grauenvollste Weise ihr Leben verloren, begegnet. Paul Jandl bezeichnete es in seiner Rezension des Textes als „ein literarisch höchst wirksam gebrochenes Echo" auf das tragische Unglück in Kaprun.

Wie eine unter Dampf stehende Lokomotive

Wie dem auch sei, jetzt, über zehn Jahre nach der Katastrophe und acht Jahre nach Erscheinen des Textes, wagte das Vorarlberger Landestheater die österreichische Uraufführung. Paul Lerchbaumer, selbst nur 50 km von Kaprun entfernt in einem Tourismusort aufgewachsen, inszenierte das Stück im Kleinen Haus in Bregenz. Das Premierenpublikum erlebte einen Theaterabend, der wie eine unter Dampf stehende Lokomotive funktionierte – langsam setzt sie sich in Bewegung, steigert sich zu enormem Tempo, beweist große Zugkraft und Energie. Der Nachteil solcher Maschinen ist, dass der Bremsweg vor der Zielgeraden, wie auch hier, mitunter lang ist.

Beeindruckende Leistung der Jugend

Regisseur Lerchbaumer setzt auf Jelineks Sprachwitz, auf die zum Teil überbordende Energie des Textes. Dort, wo er gemeinsam mit den Protagonisten dem Rhythmus des Stücks auf die Spur kommt, funktioniert das auch. Leider gelingt dies nicht allen SchauspielerInnen. Hervorragend Olga Wäscher,  die mit unglaublicher Leichtigkeit mit den Worten jongliert, den Ton trifft, die Emotionen punktgenau setzt  – sie ist unschuldig, witzig, bissig und böse zugleich. Auch Andreas Jähnert spielt sich virtuos mit Jelineks Text. Paul Celans Textpassagen präsentiert Mario Plaz wunderbar souverän, berührt als gedemütigter Jude und verteilt großzügig die Eintrittskarten ins „Paradies“.
Den zehn Jugendlichen des Theaterjugendclubs, die als Tote den verschneiten Wald bevölkern, gebührt Anerkennung. Ihre starre und stumme Anklage über lange Zeit des Stückes und die chorischen Passagen beeindrucken.
Obwohl das große Potential dieses Theaterabends nicht wirklich voll ausgeschöpft wurde, hinterlässt er doch eindrückliche Spuren, gerade so wie der risikofreudige Skiläufer abseits der Piste im tiefen Schnee.