Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Peter Niedermair · 10. Apr 2021 · Theater

Max Lang: „Sprich nur ein Wort“, Premiere am Vorarlberger Landestheater

Das Stück von Maximilian Lang spielt sieben Jahre nach dem Tod von Franz Michael Felder 1869. Schauplatz des Theaterstücks ist das Nebenzimmer eines Gasthofs in Schoppernau. Im Hintergrund eine Tür. Am Boden liegt das Denkmal, ein großer Stein. Der in Wien lebende Bregenzer Dramatiker versammelt in dieser Auftragsarbeit der Intendantin des Vorarlberger Landestheaters, Stephanie Gräve, vier Personen, die Felder kannten, ihn umgaben, in seiner Nähe lebten, die ihn unterstützten oder gegen ihn auftraten, die ihn liebten oder hassten, und gibt ihnen eine Stimme. In „Sprich nur ein Wort“ wenden sie sich posthum an den Verstorbenen, mit dessen Tod der Streit um die politische Gestaltung der Gesellschaft, die Felder kritisch reflektiert hatte, zum Stillstand kam.

Das Echo in Max Langs Stück spiegelt wie ein Mühlstein, der sich in einem breiten mäandernden Fluss bewegt, ähnlich den teppichartigen Textkonstruktionen bei Elfriede Jelinek, die unzähligen Facetten, gegenläufigen Positionen, abgebrochenen und unterbrochenen Aussagen, auch Widersprüche um Felder und dessen Rezeption. Die vier, die sich fiktiv sieben Jahre nach Felders Tod in einem Gasthof in Schoppernau um das Denkmal versammeln, das in der Inszenierung übermäßig groß erscheint, und eigentlich Angst einflößend über dem Stück, den Charakteren und über der Bühne schwebt, und in einem fort weiter abgesenkt wird, bis es zum Stillstand kommt. Man hat bei dieser Intensität, wie sie den Autor und Sozialreformer, den widerständigen Zeitgenossen Franz Michael Felder ansprechen bzw. sich auf ihn beziehen, den Eindruck, als vermissten sie ihn und seine menschlich-persönliche wie politische Energie und Kraft, als hätte er sie zurückgelassen, emotionsgeladen, widersprüchlich und selbstzweifelnd.

 Der Abschied von Felder dauert an

Der Streit um ein Denkmal, das Felders Freund*innen ihm in Schoppernau Jahre nach seinem Tod errichten wollten, wird bei Lang zum Referenzrahmen für eine Gegenüberstellung der so grundverschiedenen Perspektiven, aus denen Zeitgenoss*innen, wie sein Weggefährte Kaspar Moosbrugger und sein Widersacher Pfarrer Rüscher, das Werk, das Wirken und das Menschsein des Franz Michael Felder erlebten. Aus dem Theater-Programm, Seite 4: „1869: Mit dem unerwartet frühen Tod des Sozialreformers und Schriftstellers Franz Michael Felder ist wieder Ruhe eingekehrt in Schoppernau. Die wilden Jahre, in denen sich konservativ-klerikale und liberal gesinnte Kräfte gegenüberstanden und teils bis aufs Blut bekämpften, sind vorbei. Der Elan der sozialreformerischen Projekte versiegt, das Leben fällt in den alten Trott zurück. Doch die Ruhe währt nur kurz: Ein Denkmal für den verstorbenen Felder lässt die alten Kämpfe noch einmal aufflammen. Freunde Felders errichten schließlich – gegen allen Widerstand der Kirche – am 18. August 1875 das steinerne Monument. Diese Aktion markiert den Beginn der öffentlichen Gedenkkultur und posthumen Vereinnahmung Felders.“

Eine große Melancholie 

Max Lang: „Mein Stück ist auch ein Stück des Abschiednehmens. Noch einmal treten alle gegen das Denkmal an, die Trauernden, Liebenden, Hassenden. Alle vereint in ihrem Wissen um Felders Größe. Die ungelösten Konflikte tauchen noch einmal auf. Aber der Auslöser kann keine Antwort mehr geben. Felder hat, um beim Biblischen des Stücktitels zu bleiben, das Schwert gebracht. Nach wenigen Jahren seiner politischen Reformversuche war ein ganzes Dorf und ein halbes Bundesland gespalten in seine Anhänger und Gegner. Er spaltet auch heute noch, weniger wegen seiner politischen Ansichten, sondern wegen der politischen Ansichten seiner Fürsprecher. Jeder verbietet dem anderen, Felder zu vereinnahmen – und vereinnahmt ihn damit selbst. In einem Bundesland, in dem jeder zweite mit Franz Michael Felder verwandt zu sein scheint, ist es nicht einfach, ein Stück über den Landesvater zu schreiben. Deshalb war ich beim Arbeiten auch froh, in Wien zu sein.“
Und Lang weiter: „Er (Franz Michael Felder, Anm.) wolle sich, so sein bekannter Ausspruch, selbst ein Denkmal errichten oder lieber gar keins haben. Deshalb habe ich es auch vermieden, ihn auf die Bühne zu bitten. Seine Größe zeigt sich mehr darin, was seine Erben, Freunde wie Feinde, über ihn sagen. Felders Wirkung hat seinen eigenen Tod sehr lange überdauert. Insofern hat der Abschied von ihm noch gar nicht aufgehört. Felder wollte seinen Mitmenschen helfen, es waren keine leeren Parolen, wie man sie heute oft von den Weltverbesserern hört. Er war humorvoll, was sich in seinen Briefen zeigt. Er war kein Ideologe, trotzdem radikal in seinen Reformplänen, jedoch pragmatisch in deren Umsetzung. Er war bodenständig, aber er war auch ein Träumer. Er war eben vielseitig, komplex und als Mensch trotzdem fassbar.“

Die Welt um Felder aufgeteilt in mindestens zwei Hälften 

In Rüschers erstem Auftritt thematisiert Max Lang zum Auftakt der Exposition jene Widersprüchlichkeiten, die Franz Michael Felder über dessen Tod nicht zur Ruhe kommen lassen – eigentlich bis heute, wenn man sich die Felder-Rezeption anschaut, die das Land, nach wie vor, in mindestens zwei Hälften, spaltet, Besser-Wisser und weniger Besser-Wisser, Aufgeklärte und Nicht-Aufgeklärte. Schwätzer und Schweiger.
Erster Auftritt Rüscher: „Da sammeln sie sich wieder, deine Freunde. Hätten mich fast nicht reingelassen. ‚Ich muss das Denkmal inspizieren im Auftrag unsres Bischofs‘, ruf ich. Dann war endlich Ruhe. Und die Menge teilte sich. Es waren gute Jahre hier, seit deinem Tod, der Streit war fast vergessen. Nur wenige haben noch von dir gesprochen, ich, als Pfarrer, war der Mittelpunkt des Dorfs. Und mir zu Füßen meine Schafe, selig. Und reumütig sind sie gekommen, verzeih, dass wir dem Felder nachgefolgt sind. Aber kaum bist du wieder da, als Stein, da drehen alle durch, verdammt nochmal, du lachst noch aus dem Grab heraus, aber das Lachen wird vergehen, wie der Lärm da draußen bald vergehen wird.“ Und der Pfarrer weiter: „Und ich war immer nur der böse Pfarrer, der die Armen unterdrückt, ein Geistlicher, der Arme unterdrückt, wo hat es das jemals gegeben bitteschön! Wer, wenn nicht die Kirche, sieht die Armut, überall, selbst wenn sie sich versteckt, wenn sie verborgen bleiben will. Ich hab sie auch bei dir gesehn, der Vater früh verstorben, deine Mutter ganz allein mit dir, du hast dich rausgehoben aus dem Elend. Du warst was Einzigartiges, du hast die Leute inspiriert, aber sie sind nicht alle so wie du, sie verstehen nicht, was es bedeutet, frei zu sein, wie viel Verantwortung das mit sich bringt, wie viel Unzufriedenheit und Mühen es einen kostet. Als ich bei dir war, ganz am Anfang, in der Bibliothek, da hab ich dir gesagt: Herr Felder, lassen Sie das mit den Büchern, was bringt es denn den Bauern, wenn sie wissen, wie es da draußen zugeht. Was haben sie davon, wenn sie von einem besseren Leben träumen, während sie den ganzen Tag am Feld stehn müssen.“ 

Köchin: „Was will man als Frau in diesem Männerverein“

Stellt man die Sprechzeit der zwei Frauenrollen den beiden Männerrollen vergleichsweise gegenüber, überwiegt der Sprechanteil der beiden Frauen, was jedoch zunächst höchstens in der textlichen Anlage des Stücks von Max Lang etwas sagt. Neben Johanna Köster, die die Maria gibt, hören wir die Köchin, beeindruckend gespielt von Elke Riedmann: „Aber der Pfarrer hat doch auch nur seine Meinung, ich denk, das ist ja legitim, der ist ja kein böser Mensch, er kann sehr lieb sein, wirklich, auch wenn er manchmal zum Fürchten ist. Du bist ein böser Mensch, hat er gesagt. Du bringst das Chaos und die Gewalt. Du willst das Christentum stürzen. Die letzten Geistlichen hängt man an ihren Gedärmen auf, wenn du so weitermachst. Da hab ich mir schon gedacht: Das ist jetzt aber übertrieben. Das muss jetzt aber wirklich nicht sein. Ich hab den Pfarrer ja verstanden, es ist doch schön hier, und warum muss man da was ändern, es geht uns allen gut, vielleicht nicht allen, die Bauern schuften für den Käsebaron, aber der war eben schlauer als wir. Der hat sein Unternehmen aufgebaut mit Schweiß und Blut. Und unter Tränen. War halt tüchtiger als wir. Von nichts kommt nichts. Der Unternehmergeist wird hier ja großgeschrieben im Wald. Trotzdem hält sich der Galle nicht für was Besseres, er spendet an die Kirche, an die Armen. Und eine Revolution, da hat der Pfarrer recht, die mündet immer in Gewalt. Da hat man dagegen vorgehen müssen, gegen dich, hast hier schön gewohnt und alles beschmutzt, ein Nestbeschmutzer bist du gewesen, und jetzt noch ein Denkmal.“ Sprachlich kommunikativ sind beide Frauenrollen sehr differenziert angelegt, ein Stück weit utopisch … 

„Man bekommt kaum Luft“ 

Max Lang beschreibt die erdrückende Last, die wie die Melancholie über dem Dorf schwebt, als ein bleiernes Gewicht, das die Verwerfungen und abgrundtiefen Hassgefühle, die über die textliche Kommunikation gelegt sind, spiegeln: „Im Dorf bleibt nichts geheim, da kann man tun, was man will, man schaut sich gegenseitig in die Häuser, man bekommt kaum Luft, weil man sich ständig beobachtet fühlt. Man richtet sich nach den anderen. Man ist abhängig von der öffentlichen Meinung.“ Gleichzeitig gibt Langs Text eine Reihe von historischen Reflexionen, wenn er Moosbrugger u.a. sagen lässt: „In Deutschland sind die Arbeiter im Vormarsch, ganz Europa solidarisiert sich. Nur Vorarlberg liegt immer noch im Winterschlaf, die Arbeiter, sie wählen alle schwarz. Wenn ihre Stimme gleich viel zählte wie die der Fabrikanten, wenn es dieses ungerechte Wahlsystem nicht gäbe, dann wäre alles noch viel schlimmer, Franz, stell dir das vor, verdammt nochmal. Aber es kommt der Tag, da werden alle Leute gleich viel wert sein, Franz, da wird es keine Unterschiede mehr geben, ob Arbeiter, ob Reiche, alle werden an dem großen Tisch zusammensitzen, wie du das beschreibst in deinen Büchern. Und auch die Frauen werden, wenn die Zeit reif ist, zur Urne gehen dürfen, das sollte jetzt schon so sein, dann würde alles friedlicher ablaufen hier.“

 „Wir werden, so gut es geht, der Blödheit hier die Stirn bieten“

… lässt der Autor den Chor am Ende des Stücks sagen: „Es ist schwieriger geworden, Franz, die Leute werden immer hasserfüllter. Sie reden nicht mehr miteinander. Es gibt zwei Seiten hier im Dorf, die stehn sich unversöhnlich gegenüber. Es wird noch Jahre dauern, bis der Streit vergeht. Der Hass ist tief hineingewachsen in die Köpfe, auch in uns, wir können nicht verzeihen, was man uns antut. Wir vergessen nicht, dass sie unsere Fenster einschlagen, dass sie unsere Familien bedrohen. (…) Lebwohl, wir gehen jetzt. Vielleicht wird es eines Tages besser sein. Dann sollen die Leute daran denken, wie schlimm es einmal war, wie hart man für die Besserung gekämpft hat.“

Inszenierung und Autor

Inszeniert wurde die Uraufführung von Bérénice Hebenstreit, die 2019 am Vorarlberger Landestheater bereits bei „Der Flüchtling“ Regie führte und mit „Vevi“ auch beim jungen Publikum für Furore sorgte. Sie erhielt 2020 den Nestroy-Theaterpreis in der Kategorie „Bester Nachwuchs weiblich“.  
Der Autor: Maximilian Lang, geboren 1986 in Bregenz. Studium der Komparatistik in Wien. Auszeichnungen: Dramatikerstipendium der Stadt Wien 2012, Marburger Kurzdramenwettbewerb 2013, Autorenwettbewerb der Nibelungenfestspiele Worms 2017, Dramatikerstipendium der Literar Mechana 2020. Seine Stücke werden durch den Drei Masken Verlag in München vertreten, zuletzt: „Last Exit: Hunnenland“, das bei den Nibelungenfestspielen in Worms 2018 aufgeführt wurde. Maximilian Lang lebt als freier Autor in Wien.

Stephanie Gräve, die Intendantin des Vorarlberger Landestheaters, kündigte in einem Statement am Ende des Stücks an, die Produktion werde aufgezeichnet und im Sommer auf einer Großleinwand im Freien gezeigt werden.

Regie: Bérénice Hebenstreit, Bühne und Kostüm: Mira König, Musik: Gilbert Handler, Dramaturgie: Michael Isenberg, Ausstattungsassistenz: Lilli Löbl, Inspizienz: Eva Lorünser, Licht: Arndt Rössler, Simon Tamerl
Mit: Grégoire Gros (Johann Georg Rüscher), David Kopp (Kaspar Moosbrugger), Johanna Köster (Maria Anna Moosbrugger), Elke Maria Riedmann (Pfarrersköchin)

Weitere Vorstellungen:
10./14./15./16./17./18.4., Uhrzeiten auf www.landestheater.org

Tipp: Tagung zu Felder
„FELDER 2021. Neue Lesarten und Perspektiven. Eine Tagung zu Leben und Werk von Franz Michael Felder (1839–1869)“
12.04. - 14.04.2021, Zoom-Konferenz, Link: Vorarlberger Landesbibliothek - Tagung FELDER 2021