"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Ingrid Bertel · 19. Nov 2022 · Theater

„Ich leide nach dem Hofzeremoniell!“

Das Theater Kosmos präsentiert mit „Escorial“ eine aufregende Wieder-Entdeckung.

Ein grässliches Lachen hallt durch den Palast, Hunde heulen, Glocken läuten, die Königin stirbt, und der Könige befiehlt: „Hier im Palast stirbt man ohne Glocken.“
Stefan Pfeistlinger hat diesem König auf einer Treppenpyramide aus Holzpaletten einen wackeligen Thron errichtet, wobei der gitterförmige Grundriss mit elegantem Witz auf den spanischen Klosterpalast El Escorial verweist. Eine Anspielung an Gemälde von Velázquez, etwa an „Las meninas“, mag man auch in den wehenden Jute-Tüchern sehen, hinter denen sich aber keine Erzieher und Hofschranzen verbergen, sondern ein Mönch und Henker: Haymon Maria Buttinger. Er gibt auch den Zeremonienmeister. „Bienvenido, willkommen in El Escorial!“ singt er, in Netzhemd und Sakko mit goldenen Flügeln am Revers! Das Schlagzeug rockt, der Bass wummert, und Buttinger agiert als eine Art Mick Jagger dieser Posse um einen Staat am Abgrund.

„Ein König für den Scheiterhaufen“

Augustin Jagg inszeniert „Escorial“ als archaisch zeitloses Märchen, das die lange Theater-Tradition des Spiels von König und Hofnarr atmet. Mit der Anmut und Leichtigkeit eines Artisten stürzt sich Nurettin Kalfa in die Rolle des Narren Folial. So viel stupende körperliche Präsenz hat man lange nicht gesehen. Kalfa, als Kind noch Mitglied im Theaterverein Motif, steht auch für die kontinuierliche Nachwuchsarbeit, die dem Theater Kosmos seit je ein Anliegen ist. Mittlerweile Absolvent der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart, bringt Kalfa frischen Wind in die Szene – eine einzige Freude. Dem Kosmos-Team verbunden ist auch Bernd Sracnic. Er spielt einen König am Rand des Irreseins, einen Zyniker der Macht, der vor allem an der Tatsache verzweifelt, dass seiner Macht Grenzen gesetzt sind. Zum Beispiel von der Königin, die als Videoprojektion in einer zart bewegten Unterwasser-Szene als anmutiges Bild anwesend ist. „Wir beide sind ja nun Menschen geworden.“
Der Theatertradition gemäß tauschen Narr und König irgendwann die Rollen, und ebenso gehört es zur Tradition, dass dem grässlichen Lachen des Königs das schöne menschliche Lächeln des Narren spiegelbildlich gegenübersteht. Augustin Jaggs Inszenierung atmet diese Tradition, die von Shakespeare bis Verdi und weit darüber hinaus reicht.
Michel de Ghelderode sei ein „schwarzer Diamant“, befand Jean Cocteau über den Kollegen, der mit „Escorial“ in den 1920er-Jahren Triumphe feierte, mehrmals für den Nobelpreis nominiert war und heute fast vollständig vergessen ist.
Dass die Wiederentdeckung sich lohnt, dass nach all den Textflächen, adaptierten Romanen und endlosen Monologen ein richtig pralles, lebendiges Stück zu sehen ist, dafür gebührt dem Theater ein Dank aus Herzensgrund.

 

Theater Kosmos: „Escorial“ von Michel de Ghelderode
weitere Vorstellungen: 19./25./26.11 sowie 1./2./3./9./10.12. jeweils um 20 Uhr; 20./27.11 jeweils um 17 Uhr
Theater Kosmos, Bregenz

www.theaterkosmos.at