Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Dagmar Ullmann-Bautz · 25. Jul 2022 · Theater

Humorvolle Verzauberung – „Der Sturm“ von William Shakespeare bei den Bregenzer Festspielen

Am Freitag feierte „Der Sturm“ von William Shakespeare in einer Neuübersetzung von Jakob Nolte eine Premiere, die polarisierte – viele jubelten, einige verließen noch während des Applauses den Saal. Die Bregenzer Festspiele setzten, wie schon in den letzten Jahren auf eine Koproduktion mit dem Deutschen Theater Berlin. Zwei weitere Aufführungen finden im Theater am Kornmarkt statt und ich empfehle einen Besuch.

Prospero, ehemals Herzog von Mailand lebt mit seiner Tochter Miranda auf einer einsamen, von Geistern bewohnten Insel, auf die er sich vor Jahren wie durch ein Wunder retten konnte. Er war durch eine Intrige seines Bruders Antonio vom Thron gestürzt und in einem untüchtigen Boot auf offener See ausgesetzt worden. Als eines Tages die Flotte des Königs mit seinem Sohn Ferdinand und auch Antonio an Bord, an der Insel vorbei fährt, entfesselt Prospero mit Ariels Hilfe einen Sturm, der die Schiffe kentern lässt. Ein Zusammentreffen auf der Insel wird für alle zum zauberhaften Abenteuer.

Poetisch, verworren, zauberhaft

Der Autor und Übersetzer Jakob Nolte schuf mit seiner Neuübersetzung ein Werk, das für alle – Regisseur, Schauspieler:innen und Publikum – zur Herausforderung werden sollte. Der Regisseur Jan Bosse hat diese Herausforderung meisterhaft gelöst, die Schauspieler:innen brillieren durchwegs in ihrer Umsetzung und das Publikum muss selbst entscheiden, ob es die Herausforderung annehmen mag. Nolte hat eins zu eins übersetzt, hat nicht rumgedeutelt, keine verständlichen Entsprechungen gesucht, hat keine Kante abgeschliffen, keine Satzstellungen verändert, er hat einfach Shakespeares Worte in ihrer damaligen Bedeutung Wort für Wort ins Deutsche übertragen. Entstanden ist eine Sprache, so sonderbar, so poetisch, so verworren, so zauberhaft, wie sie eben nur auf einer verzauberten Insel gesprochen werden kann und sich dort, wenn man sich darauf eingelassen und sich auch eingehört hat, als besonderer Glücksfall erweist. Funktionieren tut es aber nur durch die großartige Artikulation und Modulation der Schauspieler:innen.

Feine Klinge und derber Witz

Regisseur Jan Bosse hat alles richtig gemacht, indem er auf Humor gesetzt hat, auf Slapstick, Kabarett und Clownerie, sowohl auf die feine Klinge als auch den derben Witz. Man erahnt seine Liebe zu und seine Lust an diesem Text, zu und an dieser Zauberwelt, in der er die Figuren geschickt und mit herrlichen Ideen durch ihr Schicksal manövriert. Dass sich die Figuren ständig verstricken, hat Bühnenbildner Stéphane Laimé wunderbar aufgenommen und die Bühne mit hängenden Seilen bestückt. Ein tolles Bild, das sich durch intensive Nutzung auch ständig verändert und sich zu einer trefflichen, manchmal komplizierten Spielwiese für die Schauspieler:innen entwickelt oder verwickelt. Marco Scherle hat ein spannendes Lichtkonzept entworfen, das mit einfachsten Mitteln brillante Stimmungen erzeugt. Die Kostüme von Kathrin Plath unterstreichen bestens den Witz der Inszenierung und überzeugen bis in die Details.

Mitreißende Musik

Absolut mitreißend und ständig bezaubernd sind Sound und Musik von Arno Kraehahn und Carolina Bigge, die auch live auf der Bühne zu erleben ist. Der durchgängige Soundteppich erzeugt eine wortwörtlich fantastische Stimmung, ein Vibrieren, ein Irritieren, ein Erregen und Besänftigen. Die starken Vertonungen der Lieder gepaart mit den großartigen Stimmen der Sängerinnen sind einfach mitreißend und bestechen mit Groove und Beat.

Fantastisches Ensemble

Eindrucksvoll sind die Schauspieler:innen, die es geschafft haben diesen schwierigen, sperrigen Text so wunderbar poetisch zu präsentieren, die die Sätze so unmanieriert und lustvoll sprechen, als wäre es ihre Muttersprache. Wolfram Koch überzeugt als Prospero, schenkt der Figur eine grausame Tiefe und gleichzeitig eine herrlich humorvolle Note. Prospero als Antiheld, der auf Rache sinnt und sich nach Versöhnung sehnt, das ist einfach sehens- und hörenswert. Durch den Abend führt und an den Fäden zieht der luftige Geist Ariel, herausragend dargestellt von Lorena Handschin, die es versteht mit jeder Bewegung, mit jedem Wort  in den Bann zu ziehen. Linn Reusse mimt einfach herrlich die bezaubernde Tochter von Prospero, Miranda mit großer Leichtigkeit und der absolut perfekten Portion Naivität. Weiters darf Reusse in der Figur von Gonzales, einem ehrlichen Ratgeber ganz ehrlich bewundert werden. Caliban, ein geretteter Sklave oder doch mehr ein versklavter Geretteter wird einerseits so bemitleidenswert zart und anderseits so kämpferisch stark von Julia Windischbauer gespielt, die auch Antonio, Prosperos Bruder eine besondere Note verleiht. Jeremy Mockridge gibt eine köstliche Figur als verängstigter und schließlich verliebter Ferdinand, der nach verzweifelter Suche von seinem Vater Alonso (Tamer Tahan) in die Arme geschlossen werden kann. Mockridge und Tahan überzeugen gemeinsam als verrücktes Komikerduo in den Rollen von Stephano und Trinculo.
Zwei Stunden und 15 Minuten vergehen wie im Flug auf dieser besonderen Insel. Und wenn Prospero am Schluss das Feld den Jungen überlässt ist dies ein betörend schöner Augenblick, der nachvollziehbar und absolut richtig durch die Liedzeile „Die Hölle ist leer, alle Teufel sind hier!“ gebrochen wird und uns schmerzhaft in die Gegenwart zurückholt.

Weitere Aufführungen: 25. & 26. Juli um 19.30 Uhr im Theater am Kornmarkt, Bregenz
https://bregenzerfestspiele.com/de/programm/der-sturm