Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Dagmar Ullmann-Bautz · 18. Mai 2014 · Theater

Hinter-, niemals vordergründig - aktionstheater ensemble spielt "Pension Europa"

Im Rahmen des Bregenzer Frühlings feierte das aktionstheater ensemble mit einer höchst spannenden Produktion sein 25-jähriges Bestehen. Was er kann, wo seine absoluten Stärken liegen, genau das hat Martin Gruber ein weiteres mal mit seinem aktuellen Stück "Pension Europa" unter Beweis gestellt. Gruber hat Grenzgänge geliefert, ganz nahe am Wegkippen, ganz nahe an der Peinlichkeit, an der Platitude, auch am Kitsch, aber eben nur ganz nahe und nicht mehr! Und das macht Grubers Arbeit so wahnsinnig unterhaltsam und tiefsinnig zugleich. "Pension Europa", seinen neuesten Streich, durfte ein interessiertes Publikum auf der Hinterbühne des Bregenzer Festspielhauses genießen.

Starke Bilder - einfach, klar und pur

Eine fast leere Bühne - ein Kleiderständer mit ein paar weißen Textilien, weiße Gartenstühle, ein weißer Kreis am Boden, ein Kreis an der Rückwand, in dem ganz langsam eine gezeichnete Blume entsteht, ein zartes Pflänzchen, das wächst Blatt für Blatt. Ein starkes Bild, so einfach, so klar und pur. Und genauso einfach, klar und pur kommen auch die fünf Schauspielerinnen und eine Sängerin auf die Bühne, entblößt bis auf die hautfarbene Unterwäsche, gestalten sie großartige, ausdrucksstarke Bilder, die nur noch durch das Schlussbild getoppt werden, wenn sich der Eiserne Vorhang hebt, Regen auf die Bühne fällt und ein Windhauch vom großen Publikumsraum des Festspielhauses auf den kleinen Publikumsraum der Hinterbühne weht.

Witz und Kraft - deftig und zart

Viele Themen werden an diesem Theaterabend angesprochen, Geschichten mitten aus dem Leben gegriffen, die jeder von uns kennt. Gruber lässt die Frauen erzählen und schafft es, mit kleinen alltäglichen Geschichten einen Bogen zum Großen zu spannen. Denn genau in den kleinen, alltäglichen Begebenheiten gewinnt oder scheitert Europa. Das aktionstheater ensemble erzählt das mit unheimlich viel Witz und Kraft, richtig deftig und dann wieder unglaublich zart. Pure gnadenlose Sprache gepaart mit traumhaft schöner Poesie erlebt das Publikum, wenn Alev Irmak beispielsweise erzählt, dass Heimat dort ist, wo sie „gut scheißen kann“, oder als später Isabella Jeschke ihre Liebe zum Regen in wunderschönen Bildern beschreibt.

Wir sind Europa!

Eine Woche vor der Europawahl zeigt das aktionstheater ensemble auf eindrückliche Weise, dass nicht die Politik Europa gestalten kann, sondern dass wir das tun müssen, jede/jeder von uns. Und dass diese großartige Idee von "Frieden und Freiheit" in unserem kleinen Kreis beginnen muss, um nach außen wachsen zu können.

Fantastische Schauspielerinnen

Das gesamte Ensemble begeistert in seiner Unterschiedlichkeit und Buntheit, in seiner absoluten Wahrhaftigkeit und Authentizität. Sechs wunderbare Frauen beweisen Humor, Intelligenz, Mut, Stärke, Können, Potential. Die in Bregenz geborene Michaela Bilgeri, die ständig Freundinnen ihres Frauenstammtisches zitiert, dem sie aber schon lange nicht mehr angehört, glänzt mit schauspielerischer Erzählkraft und Verletzlichkeit. Susanne Brandt spielt großartig unter anderem in ihrer Geschichte vom Ägypten-Urlaub, als sie eindrucks- und humorvoll von Liebe, Flucht, Familienanschluss und von Enttäuschung erzählt. Alev Irmak punktet mit trockenem Witz und ihrer kraftvollen Ausstrahlung. Wunderbar zart und voller Poesie steht Isabella Jeschke auf der Bühne. Als ungezügeltes Energiebündel und schamlos witzig ist Kirstin Schwab zu erleben, nicht nur wenn sie erzählt, dass sie sich ein Muttermal von den Schamlippen entfernen ließ.

Begeisterter Applaus

Die Sängerin Aisha Eisa begleitet die Schauspielerinnen auf ihrer Suche nach dem Paradies mit ausdrucksstarker und kraftvoller Stimme. Peter Herberts Musik, mehr ein flirrender Soundteppich, verbindet und unterstützt Bild und Text.

Begeisterter Applaus für einen unglaublich witzigen und äußerst berührenden Theaterabend!