Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Ingrid Bertel · 20. Mai 2015 · Theater

Giftige Sehnsucht - Das Vorarlberger Landestheater zeigt „Lantana“

Als letzte Produktion dieser Spielzeit zeigt das Vorarlberger Landestheater Andrew Bovells Beziehungsdrama „Lantana“ in einer musikantischen Inszenierung von Steffen Jäger.

Das Wandelröschen (vom Fachmann Lantana genannt) ist eine wunderhübsche Zierpflanze. Ihre Blüten sind gelb-orange, werden später rot oder violett und erfreuen so das Auge auf vielfältige Art. Allerdings ist das Wandelröschen giftig wie eine Tollkirsche, außerdem hat es eine Neigung alles zu überwuchern. Damit ist es für den australischen Autor ein perfektes Symbol für die Ehe – bezaubernd auf den ersten Blick, vergiftet auf den zweiten und undurchdringlich auf den dritten. Von Paaren, die sich im Gestrüpp ihrer Gefühle heillos verheddern, handelt denn auch sein Drama.

Herzzerreißend traurig, entsetzlich komisch

Auf das emotionale Abenteuer und den Perspektivenwechsel, den es bringen könnte, werden die Besucher in Steffen Jägers Inszenierung sachte eingestimmt. Über Wege, die sonst den SchauspielerInnen vorbehalten sind, werden sie zu einer Sektbar geführt, betreten dann die Bretter, die die Bühne bedeuten, und sehen in einen dunklen Zuschauerraum. Dort räkelt sich in glitzerndem schwarzen Cocktailkleid und mit Silberperücke Markus Subramaniam und stimmt, begleitet von seiner Band, einen Song aus dem Musical „Hedwig and the Angry Inch“ an. 
So katastrophal schief wie Liebe und Leben für Hansel alias Drag-Queen Hedwig im Musical läuft es vermutlich auch für Jane (Zeyep Buyrac) und Pete (Murali Perumal), Sonja (Laura Mitzkus) und Leon (Roman Schmelzer). Vorläufig starren sie noch das Publikum durch ihre 3D-Brillen an. Unbehaglich ruckelt der eine oder die andere im Sessel auf der Bühne. Dann fallen die erlösenden ersten Worte, Bar-Geplauder. Leon bandelt mit Jane an, Sonja mit Pete – und alle vier interessiert vor allem, wie der jeweils betrogene Ehepartner wohl mit der Verletzung umgehen wird. Schließlich hat er/sie schon lange nicht mehr gesagt, wie überaus super und umwerfend der einst liebste Mensch ist. Betrügen wir aus zu wenig gehätscheltem Ego? Sind Rachegelüste und Groll die Triebfeder für einen Seitensprung? So grad heraus und ehrlich werden die Verhältnisse auch im Theater selten benannt, folglich richtet Gerhard Fischer die Scheinwerfer immer auf das Paar, das gerade zwei andere betrügt. Und das turnt über Stuhlreihen, ergeht sich in sportlichen Übungen, bis eine Träne glitzert, ein Mund grell lacht.
Dann singt Hedwig, diesmal mit Winnetou-Federschmuck und blauem Glitzerkleid, wieder von der Sehnsucht, anmutig umrankt von TänzerInnen (Aleksandra Vohl und Ruth Grabher), bisweilen allzu laut übertönt von Schlagzeug und Bass, aber immer stilsicher und fein changierend in der Interpretation. Von einem Mann in braunen „Budapestern“ ist die Rede, von einem schwarzen Damen-Lackschuh, der ins Gebüsch geworfen wird, von einer einsamen nächtlichen Straße, auf der eine Frau eine Reifenpanne hat, von ungewollten Liebesbriefen und Nachrichten auf dem Anrufbeantworter. Es ist der ganz banale Alltag, den Andrew Bovell in immer neuen Verästelungen vorführt – herzzerreißend traurig, entsetzlich komisch. Die Therapeutin Valerie (Steffi Staltmeier) gibt kluge Ratschläge, die sie auf sich selbst nicht anwendet, und ist dabei so strahlend, dass man ihr ein kleines bisschen Glück ganz unbedingt wünscht.

Behutsam ausbalanciertes Ensemble-Spiel

Bovell folgt dramaturgisch dem Episodenfilm der 1990er-Jahre. Das stimmt perfekt zu Beziehungen, die immer nur ausprobieren, zu Menschen, die sich niemals verpflichtet fühlen. In den einzelnen Schauspielerinnen und Schauspielern blitzt eine Art Glanz, verglüht, ist fast schon vergessen, wenn der Nächste / die Nächste loslegt, eine Identität sucht im Gestrüpp aus Verrat und Verlassenheit.
Zwischen Meinen und Sagen tun sich Abgründe auf – und man könnte nicht sagen, wer von den acht DarstellerInnen sie am deutlichsten markierte. „Lantana“ erweist sich als behutsam ausbalanciertes Ensemble-Spiel. Schließlich stimmt Hedwig – mittlerweile gänzlich zum Mann geworden – einen letzten Song an – und die Liebe, die Beziehungen, Lüge und Sehnsucht sind only Rock’n’Roll (but we like it)!

 

Weitere Aufführungen:
24/05 (18.00 & 21.00 Uhr), 02/06 (19.30 Uhr), 11/06 (19.30 Uhr), 12/06 (19.30 Uhr), 13/06 (19.30 Uhr), 14/06 (18.00 & 21.00 Uhr), 16/06 (19.30 Uhr), 17/06 (19.30 Uhr), 21/06 (21.00 Uhr)

www.landestheater.org