Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Anita Grüneis · 18. Sep 2016 · Theater

Eiszeit bei Familie Herodes, Salome muss tanzen.

Die TAK Saison 2016/17 mit dem Motto „Von Liebe und Auflehnung“ wurde feierlich eröffnet. Dabei sprach Intendant Thomas Spieckermann von der „uns bekannten Ordnung der Welt, die uns jahrhundertelang begleitet hat und nun zu erodieren droht“, Stiftungsrätin Brigitte Haas las aus einem amüsanten Briefwechsel aus dem Jahr 1949 zwischen einem skandinavischen Kapellmeister und dem Liechtensteiner Regierungschef vor, und als Stargast erzählte der Journalist Ulrich Wickert von der Macht und der Verantwortung der Medien. Höhepunkt war die Premiere von Oscar Wildes „Salome“ in der Regie vom Tim Kramer, der für den erkrankten Regisseur Oliver Vorwerk eingesprungen war.

Die TAK Bühne glitzert. So viel Lametta war nie. Ein Vorhang-Viereck voller Silberfäden hängt von der Decke herab, schillert, lässt Durchblicke frei, hält den Mond als rundes Spotlicht in sich gefangen. Show-Time? Oder doch eher eisige Welt? Stimmen sind zu hören: „Wie schön ist die Prinzessin Salome heute Nacht. Wie eine Frau, die aufsteigt aus dem Grab. Sie ist sehr seltsam. Wie eine kleine Prinzessin, deren Füße weiße Tauben sind. Man könnte meinen, sie tanzt. Wie eine Frau, die tot ist. Sie gleitet langsam dahin.“

Das Geheimnis der Liebe

Oscar Wildes Einakter „Salome“ sorgte seit seiner Uraufführung immer wieder für Skandale. Man erboste sich über die unsittliche Handlung und über die Verruchtheit des Kindweibes Salome, die unbedingt einen Kuss vom gefangenen Propheten Jochanaan haben will. Sie selbst wird von ihrem Stiefvater König Herodes begehrt, der sie bittet, für ihn zu tanzen. Dafür will er ihr jeden Wunsch erfüllen. Salome tanzt und fordert den Kopf des Jochanaan, der sie zurückgewiesen hat. Sie bekommt, was sie will und wird danach getötet. „Das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes““, schrieb Wilde, der in diesem Stück auch das Thema seiner eigenen heimlichen Liebe mit Lord Alfred Bruce Douglas verarbeitete.

Erotik oder doch nicht?

Was interessiert heute noch an der Salome? Weshalb steht das Werk auf dem Spielplan? Im TAK ist die Salome von Regisseur Tim Kramer ein Mädchen in einem braven weiß-beige gestreiften Kleid mit irrsinnig roten, irrsinnig hohen Schuhen und einer mühsam gebändigten Haar-Mähne. Es hört die Sätze des eingekerkerten Jochanaan, die aus dem Silberstreifenvorhang hervor tönen. Ist sie am Inhalt wirklich interessiert? Eher nicht. Zu biblisch. Eine Seite des Vorhangs wird nach oben gezogen, ein Mann im schwarzen Anzug sitzt da, und erst als er sich aufrichtet, erkennt man seinen nackten Oberkörper. Das Licht blendet ihn. Salome starrt ihn an, er starrt zurück. Doch dann löst er den Blick und fragt: „Wer ist dies Weib, das mich ansieht? Ich will ihre Augen nicht auf mir haben.“ Er sagt ihr auch noch, sie solle sich mit Seife waschen, damit er sie erkenne und sie solle ihm nicht nahekommen. „Vielmehr bedecke dein Gesicht mit einem Schleier, streue Asche auf deinen Kopf, mach dich auf in die Wüste und suche des Menschen Sohn.“

Wohin, Salome?

Das wäre ein Satz, um die Geschichte der „Salome“ von Oscar Wilde aus einer neuen Sicht zu erzählen, sie zu aktualisieren. Doch das war anscheinend nicht die Absicht des Regisseurs, er ließ Jochanaan weiterhin Elogen verbreiten und Salome Texte wie aus einem Schulaufsatz aufsagen. Und dann kam plötzlich doch so etwas wie Erotik zwischen den beiden auf, als Salome den nackten Oberkörper des Propheten mit ihren Händen streichelte und an seinem Schritt verweilte, was ihm sichtlich wohl tat, bis er sie rabiat wegstieß. Wer ist dieser Mann? Ein Revolutionär, der gegen die Herrschenden hetzt? Ein Seelenfänger? Ein Verrückter? Wir haben es in dieser Produktion nicht erfahren, obwohl sich Philip Heimke als Jochanaan darum bemühte.

Herodias als feste Burg

Dafür erfuhren wir, dass Herodes (Fritz Hammel) im roten Anzug mit schwarzem Hemd als flotter Schmierenkomödiant unterwegs war, der alles nicht so ernst nahm. Seine Gattin Herodias (Monika Wiedemer) hingegen schien geradewegs aus dem Office gekommen zu sein. Ihr strenges Kostüm mit dem rosafarbenen Jäckchen und dem weißen Rock wurde nur durch einen langen Schlitz und silberne high High Heels gelockert. Eine aufrechte Figur mit viel Rückenmark! Und Salome? Wer ist die schöne Prinzessin? Eine Kindfrau? Ein verwöhntes Gör? Ein erwachendes Mädchen, das bereits um seine weiblichen Reize weiss?

Der Tanz ohne Schleier

Claudia Wiedemers Salome war von Anfang an nur daran interessiert, ihren Willen, respektive den Mann ihrer Wahl zu bekommen. Dafür tanzte sie und zog sich aus. Diskret im Glitzervorhang stehend, legte sie zu träger Musik und mit ebensolchen Bewegungen Stück für Stück ihrer Kleidung ab. Ein Striptease für den geilen Stiefpapa Herodes, der aus der Ferne im Zuschauerraum stöhnte, obwohl er nur Salomes Kehrseite zu sehen bekam, bevor sie sich in ein rotes Tuch hüllte. Und dann stand sie an der Rampe und forderte wie ein bockiges Kind den Kopf des Jochanaan. Sie hätte sich in dieser Inszenierung den Jochanaan aber auch zum Mann wünschen können. Das wäre der größere Affront gewesen in einer Gesellschaft, in der sich niemand um den anderen schert und nur sein eigenes Vergnügen vor Augen hat. Mit dem abgeschnittenen Kopf, den Jochanaan selbst auf seiner Hand herein trug, (natürlich sitzt der echte noch oben!) konnte Salome nun machen was sie wollte. Und was wollte sie? Sie barg ihn in ihrem Schoß.

Kühl und reduziert

Tim Kramer schuf eine kühle, äusserst reduzierte Inszenierung, die alle Nebenstränge von Oscar Wildes Stück wegließ, sich auf die vier Hauptpersonen konzentrierte und dabei doch nichts plausibel machte. Was hat den Regisseur wirklich an Wildes „Salome“ interessiert?  Er hat es uns nicht verraten. Da erzählte sein Ausstatter David König weit mehr.

Diese Produktion geht auf Wanderschaft und wird unter anderem auch in Vorarlberg gastieren. Am 13./14./15.Oktober ist sie im Theater am Saumarkt in Feldkirch und am 19. Oktober in der Remise Bludenz zu sehen.