Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Dagmar Ullmann-Bautz · 08. Okt 2022 · Theater

Einzigartiges Bühnenerlebnis – die internationale Musiktheaterproduktion „The Ghosts are returning“ am Vorarlberger Landestheater

Was für ein Glück, diese Produktion in Vorarlberg erleben zu dürfen! „The Ghosts are returning“, ein Länder und Kontinente übergreifendes Musiktheaterprojekt, das sich mit den Themen Restitution und Kolonialismus auseinandersetzt, war am 5. und 7. Oktober zu Gast im Vorarlberger Landestheater. Für dieses Gemeinschaftswerk des PODIUM Esslingen mit der GROUP50:50, dem Centre d’Art Waza Lubumbashi und den European Alternatives in Koproduktion mit CTM Festival Berlin, der euro-scene Leipzig, der Kaserne Basel und dem Vorarlberger Landestheater haben sich Künstler:innen aus der Schweiz, Deutschland sowie dem Kongo zusammengefunden, um auf sehr persönliche, emotionale und im Resultat äußerst beeindruckende Weise eine Performance zu entwickeln und auf die Bühne zu stellen.

Die Suche nach den Nachfahren

Erzählt wird die Geschichte von sieben Pygmäen-Skeletten, die der Schweizer Arzt Boris Adé in den 1950er Jahren in Afrika exhumieren ließ und in die Schweiz brachte. Anders als bei anderen afrikanischen Skeletten und Schädeln, die in den Archiven europäischer Museen liegen, sind die Namen und die ungefähre Herkunft der sieben Skelette bekannt. Die Group50:50 hat sich auf die Suche nach den Nachfahren von Ngowe, Abelua, Iksati, Aneka, Basage, Mavuo und Ngala in den Kongo begeben, in die Dörfer um die Stadt Wamba, zum Volk der Mbuti. Was sie dort erlebten und mit nach Europa brachten, verarbeiteten sie zu einem beeindruckenden, berührenden, aufrüttelnden und hochprofessionellen Musiktheaterprojekt. Sieben Musiker:innen, Tänzer:innen und Performer:innen nahmen das Publikum mit auf ihre Reise in den afrikanischen Dschungel, überzeugten dabei mit persönlichen Texten, mit eigener Betroffenheit, die wie ein Funke in den Zuschauerraum übersprang.

Intensive Auseinandersetzung

Ihre Treffen und die bewegenden Gespräche mit den Menschen vor Ort, mit Menschen, die sich an diese Zeit erinnern konnten, hat bei allen Beteiligten und Mitgliedern des Ensembles tiefe Spuren hinterlassen. Die Auseinandersetzung, wie nun eine Rückführung der Skelette vonstattengehen, wie Aussöhnung passieren könnte, wurde im Kreise der Künstler:innen heftigst weitergeführt. Und es blieb nicht nur bei der Geschichte der sieben Skelette, sondern ein weiteres aktuell brennendes Thema, die illegale Abholzung der Wälder, Lebensraum der Mbuti, durch europäische und chinesische Konzerne erweist sich nicht nur als ein Verbrechen an einem der ältesten Völker der Erde, sondern auch an der Welt an sich, handelt es sich dabei doch bei ihrem Wohnraum um eine der beiden wesentlichsten Lungen, die unsere Erde am Leben erhalten.

Wunderbares Ensemble

Die Musik im Stück ist ebenso mitreißend wie berührend, ein Konglomerat verschiedenster Genres. Klassik mischt sich mit traditionell kongolesischer Musik, polyphone Gesänge mit beeindruckenden und eindringlichen Texten.
Ruth Kemna überzeugt sowohl an der Bratsche als auch mit ihrer Bühnenpräsenz und in ihrer Erzählung. Die Texte, die Christiana Tabaro spricht und singt gehen unter die Haut, verstärkt noch durch ihre tänzerische Ausstrahlung. An den Percussions verschmilzt Huguette Tolinga förmlich mit ihren Trommeln und ihr gegenüber zeichnet Franck Moka verantwortlich für die Elektronik und zusammen mit Moritz von Dungern, Josef Kasau und Elia Rediger für die großartigen Videos. Kojack Kossakamwve ist ein herausragender Künstler an der Gitarre, ebenso wie Merveil Mukadi am Bass. Beide prägen den Abend mit ihrer Musikalität, ihrer Spielfreude und ihrem Charisma. Last but not least muss Elia Rediger erwähnt werden, als beeindruckender Performer und fantastischer Musiker.
Verantwortlich für die sehr einfühlsame, nachhaltig wirkende Regie zeichnen Christiana Tabaro, Eva-Maria Bertschy, Michael Disanka und Elia Rediger.

Wer nicht dabei war, hat etwas versäumt!

Leider waren an den beiden Aufführungsabenden zusammengenommen kaum mehr als 300 Zuschauer:innen im Haus am Kornmarkt zu verzeichnen. Diese waren jedoch überaus glücklich, gekommen zu sein und bedankten sich mit begeistertem Jubel und Standing Ovations für diese großartige Show und Ensemble-Leistung. Hier haben leider viele Daheimgebliebenen, darunter auch manch ansonsten passionierte:r Theaterbesucher:in etwas Einzigartiges versäumt, ein Stück kolonial- und weltpolitischer Geschichte von einem internationalen Ensemble genauestens recherchiert, mit Empathie und Begeisterung erarbeitet und auf unterhaltsame Weise vorgetragen. Dieses Stück wird weiter um die Welt gehen und dank Stephanie Gräve ist das Vorarlberger Landestheater sozusagen immer mit dabei.
Weshalb ich mich nun schon ganz besonders auf die Saison 2024 freue? Dann wird das Landestheater eine eigene Koproduktion mit der Group50:50 unter dem Titel „Textile Colonies“ mit der Welturaufführung in Bregenz präsentieren!

Infos: https://www.group5050.net/d-projekte/theghostsarereturning