Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Annette Raschner · 25. Mär 2022 · Theater

Eine gedämpfte Zukunft mit salzlosen Lebensträumen

Anfang 2015 kam im Grazer Verlag Droschl der Roman „Aberland“ von Gertraud Klemm heraus. Das Buch schaffte es auf die Longlist zum Deutschen Buchpreis, im Jahr davor hatte die österreichische Schriftstellerin für Passagen daraus den Publikumspreis bei den Klagenfurter Tagen der deutschsprachigen Literatur erhalten. Die freie Theaterkompanie dieheroldfliri.at hat eine Stückfassung auf die Bühne gebracht. Die Uraufführung von „Aberland“ im Alten Hallenbad in Feldkirch fand in Anwesenheit der Autorin statt.

Elisabeth ist 59, ihr Mann Kurt hat soeben die Pension angetreten. Um möglichst würdevoll zu altern, trimmt sie ihren Körpern mit täglichem Brustschwimmen, bei der Kosmetikerin genießt sie vor allem die Berührungen, die zu einer Mangelware geworden sind, und insgesamt hat sie sich mit einem Leben abgefunden, in dem das Leiden insofern erträglich war, weil sie darin ohnehin nie viel gewollt hat. „Man ist am Buffet des Lebens schon auf Diät gewesen und hat sich für eine gedämpfte Zukunft mit salzlosen Lebensträumen entschieden“.

Ujjayi

Anders als sie hat ihre Tochter Franziska zumindest studiert, wenngleich deren Dissertation über Zebrafische immer noch nicht abgeschlossen ist. Franziska hadert mit ihrem Muttersein, das sie wider Erwarten in alte, vergangen geglaubte Rollenbilder zurückgeworfen hat. Ihr Mann, ein „sportlicher Tiroler“, „liebevoller Ehemann“ und „leidenschaftlicher Vater“ (O-Ton Elisabeth), klettert die Karriereleiter weiter hinauf, während sie – in der Klemme zwischen Mutterrolle, Gleichberechtigung und Selbstbild - festzustecken scheint und ihren Zorn darüber mit Yogaübungen weg zu atmen versucht.

Das feministische Dilemma

Barbara Herold, Theaterregisseurin und Mitbegründerin der Kompanie dieheroldfliri.at, hat den Roman von Gertraud Klemm zu einem Stück destilliert, das vom bissigen Humor, der Schärfe und Schonungslosigkeit, mit der auch Tabuthemen behandelt werden, nichts verloren hat. Auf den mit „weiblichem“ Fell ausgekleideten, von Ausstatterin Caro Stark selbst gebauten, mobilen Boxen, die mal als Tür, Bett, Tisch oder Sonnenliege fungieren, stehen, liegen, sitzen und turnen die Schauspielerinnen Helga Pedross (Elisabeth) und Maria Fliri (Franziska); auf beiden Seiten sitzen jeweils die Besucherinnen und Besucher. Es wird gelacht, aber auch kräftig geschluckt („wenn man nicht aufpasst, schlägt der Wechsel ein wie ein Komet. Dagegen hilft nur hungern oder Krebs“), Gertraud Klemm beschönigt die Situation von Frauen, die sich selbst in Sackgassen manövrieren, nicht, und sie spricht aus, was gerne verdrängt wird: „Das Einsam sein ist ein Stoffwechselendprodukt, das man nicht ausscheiden kann.“

Überzeugende Aufführung

Natürlich. Die theatrale Umsetzung ermöglicht es, Szenen zuspitzen und weiter zu drehen, das ist – unter anderem – das Schöne am Theater. Sie sei jedenfalls schon fast erschrocken darüber gewesen, wie böse ihr eigener Text sei, sagte Gertraud Klemm im Gespräch nach der Premiere, um aber schnell hinzuzufügen, dass sie insgesamt sehr zufrieden mit der Theateraufführung sei. Dieser Meinung kann man sich bei einer überzeugenden Textvorlage, zwei hervorragenden Darstellerinnen und einer Regie, die für das Spiel auf der Bühne schöne Umsetzungsideen gefunden hat, nur anschließen!