„Abfall Bergland Cäsar“ – ein Gesamtkunstwerk weiß zu begeistern!
Den perfekten Saisonabschluss durfte das auf 60 Zuschauer:innen begrenzte Publikum im Vorarlberger Landestheater gestern Abend erleben. „Wir reden über Kunst, das sieht man doch.“ – so lautet das Motto, dem sich das Landestheater die letzten 10 Monate verschrieben und eine spannende Schau unterschiedlichster Künstlerpersönlichkeiten und Ansichten präsentiert hatte. Das Ende der Spielzeit mit einem Gesamtkunstwerk zu feiern, war wie ein riesiges Feuerwerk, das zum Jahresende abgeschossen wird.
„Abfall Bergland Cäsar“ von Werner Schwab wurde von dem Künstlerduo Stephanie Geiger und FM Einheit als großartig komponiertes Kunstwerk aus Text, Bild und Ton auf die Bühne gebracht. Die Begegnung mit dem österreichischen Künstler, dem Genie, Autor und Dramatiker Werner Schwab, der viel zu früh im Alter von 35 Jahren verstorben ist, wird zu einem nachhallenden Erlebnis.
Schwab mordet und meuchelt
„Abfall Bergland Cäsar“ blieb Schwabs einziger größerer Prosatext, eine Menschenbeschau, in der Schwab mit Buchstaben bezeichnete Menschen auf seine einzigartige Weise beschreibt, provokant, sprachkünstlerisch genial, herausfordernd und abgrundtief komisch. Mit diesem Buch hat Schwab auf eine Literarturgattung des 17. und 18. Jahrhunderts zurückgegriffen, nämlich Typenbeschreibungen des Menschlichen, Aufblättern von Sittenbildern und Porträts des adeligen und bürgerlichen Verhaltens. Wo die damaligen Autoren meist nur leicht spöttisch blieben, hält Schwab sich nicht zurück und mordet, meuchelt, ertränkt oder erstickt seine Protagonist:innen. Charakterstudien auf schwabische Art in dieser grandiosen Sprache, dem „Schwabischen“, mit seinen ureigensten Wortkreationen, die immer wieder aufs Neue überraschen und faszinieren.
Eine riesengroße skulpturale Landschaft
Das Publikum sitzt gemütlich auf der großen Bühne des Theaters in einem nachgebauten Beisl mit einer Theke, an der man sich mit Getränken versorgen kann, mit runden und eckigen Holztischen beleuchtet von den typischen Wirtshauslampen, dekoriert mit da und dort aufgehängten und herumliegenden Geweihen. Jedes Detail ist genau da, wo es hingehört. Eine riesengroße skulpturale Landschaft breitet sich über den gesamten Publikumsraum aus, bis hinauf in den hintersten Winkel der Galerie und dient als Projektionsfläche für sich bewegende, fließende Bilder, für ein Konglomerat aus Farben und Formen, für Videos, die den Blick bannen. Verantwortlich für diese spannenden Bilder zeichnet der junge deutsche Filmemacher Dion Schumann. Der Klangteppich, den FM Einheit drunter, drüber und daneben legt, begleitet durch den ganzen Abend und fasziniert in seiner perfekten Kongruenz, hält sich zurück und spielt sich in den Vordergrund, wo es notwendig ist. Arndt Rössler umrahmt und spielt gewohnt gekonnt mit Licht und Schatten.
Großartige Schauspieler:innen
Die Schauspielerin Vivienne Causemann und der Schauspieler Nico Raschner begeistern beide in gleichem Maß mit einer Intensität und Leidenschaft, die dem Gesamtkunstwerk absolut gerecht werden. Causemann intoniert und agiert mit einer punktgenauen und unbändig kraftvollen Zartheit, Raschner spricht und spielt mit energiegeladener und höchst prägnanter Inbrunst. Beide sind nicht nur zu hören und zu sehen, sie sind körperlich zu spüren. Wunderbar auch die eingespielten Videos der 2011 verstorbenen deutschen Schauspielerin und Stimmvirtuosin Jennifer Minetti, die zu Lebzeiten als Schwabs Muse bezeichnet wurde. Dass Werner Schwab an diesem Abend auch selbst zu hören ist, ist ein ganz besonderes Erlebnis.
Abgründig und genial
Der Gegensatz des Beisls, des Raumes, in dem sich Schwabs Protagonist:innen wohl gefühlt haben und der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem „Schwabischen“ ist eine Irregularität, die Schwab mit Sicherheit gefallen hätte. Ein komplexes Werk, das einen in die abgründige und geniale Welt des Werner Schwab führt, wenn man sich denn darauf einlässt, und darum geht es ja schließlich bei allen großartigen Kunstwerken, man muss, nein: man darf sich darauf einlassen.
Die künstlerische Seelenverwandtschaft, die Bühnen-, Kostümbildnerin und Künstlerin Stephanie Geiger und den Musiker, Klangforscher und Avantgarde-Komponisten FM Einheit alias Frank-Martin Strauß verbindet, liefert die ganz einfache Erklärung, weshalb uns dieser Abend in seiner in sich stimmigen Gesamtheit gefangen nimmt und begeistert!
Für das Stück gibt es nur wenige Plätze, doch es lohnt sich ungemein, einen davon zu ergattern! Das Premierenpublikum am gestrigen Abend bedankte sich mit langanhaltendem Applaus.
Vorarlberger Landestheater: „Abfall Bergland Cäsar“ von Werner Schwab
weitere Vorstellungen: 12./14./15./18./19./22./23.6. jeweils um 19.30
Theater am Kornmarkt, Bregenz
www.landestheater.org