Neu in den Kinos: „Emilia Pérez“ (Foto: Neue Visionen/Wild Bunch)
Anita Grüneis · 13. Nov 2015 · Theater

„Gift“ im TAK - Ein trauriges Liebesduett - so einfach und so wahr

Es ist keine weltbewegende Geschichte und doch bewegt sie viele: Das Schauspiel „Gift“ der niederländischen Autorin Lot Vekemans, das im TAK als Gastspiel des Deutschen Theaters Berlin gezeigt wurde.

„Gift“ ist die Geschichte eines Mannes und einer Frau, die ihr Kind verloren haben, dann sich selbst, dann einander. Kein großes Drama und doch großes Theater. Das Wenige, das gesagt wird, kennzeichnet den Alltag. Da ist nichts Heroisches, nicht Spektakuläres. Doch all das, was nicht gesagt wird, was zwischen den Worten mitschwingt, was sich in Denk- und Atempausen ausbreitet, was im Schweigen steckt, das wird zum Wesentlichen. Filmregisseur Christian Schwochow hat den Text inszeniert, mit Dagmar Manzel als Frau und Ulrich Matthes als Mann.

Das Treffen


Das Publikum schaut dabei zu, wie sich zwei Menschen treffen, die sich seit zehn Jahren nicht mehr gesehen haben. Damals hat er sie verlassen, an einem Silvesterabend. Ist einfach mit zwei Koffern gegangen, und sie hat ihn nicht aufgehalten. Nun sehen sie sich zum ersten Mal wieder, in einen Raum, der an einen Container erinnert, mit Wänden wie ein eiserner Vorhang. Dazu ein großer Kaffeeautomat, ein Wasserspender und weiße Stühle, aufgereiht wie in einem Wartezimmer, kein Fenster, eine Türe, sie steht offen. Der Mann sitzt am äußeren Ende der Stuhlreihe, trinkt Wasser, starrt vor sich hin, bis die Frau hereinstürmt und über das Wetter schimpft. Er schaut sie an und: „Du hast dich nicht verändert“.

Fremd und doch so nahe


Eine alte Vertrautheit breitet sich zwischen den beiden aus. Sie sind sich nahe und doch so fern. Den Tod des Sohnes haben sie gemeinsam erlebt. Sie hielt ihn noch im Arm, nachdem er „abgekoppelt“ wurde, ganz ohne die Schläuche spürte sie seine letzten Atemzüge. „Auf irgendeine Art war es ein vollkommener Augenblick. Ich und er“, sagt sie. Der Mann erinnert sich ebenfalls und meint: „Ich war auch froh, als es vorbei war. Für ihn.“ Während sie an ihrer Trauer festhält, sich darin geradezu badet, wie er konstatiert, sich nicht erlaubt zu vergessen, alles perfekt aufbewahrt und speichert, hat er neue Lebenswege gefunden, eine neue Frau, die von ihm schwanger ist. Das Treffen findet in der Friedhofshalle statt, weil der Sohn angeblich umgebettet werden soll.

Zwei Menschen. Schauspieler?


Dagmar Menzel ist diese Frau, die in ihrem Leid verharrt, rückwärts blickt, wieder glücklich sein will wie einst und dabei in einem Turm der Verzweiflung steckt, aus dem sie gerettet werden will. Ihre Hände sind fahrig, sie wechselt oft den Sitzplatz, zieht ihre Jacke an und aus, zerknüllt sie, weint, ist wütend, fragt immer wieder, warum er gegangen ist, aber eigentlich will sie es doch nicht wissen. Sie ist rührend in ihrer Hilflosigkeit und bestürzend in ihrer verkrusteten Wut. Ulrich Matthes ist der Mann. Er hat Ruhe gefunden, einen Rettungsring in seiner Trauer um den Sohn, er singt nun in einem Männerchor. Er bleibt selbst dann ruhig, wenn sie ausrastet, um sich schlägt. Einmal nimmt er sie in den Arm, hält sie lange fest, und man glaubt die Wärme zu spüren, die von ihm ausgeht. Liebe? Ja. Aber nicht für ein gemeinsames Leben.

Das Ende ist so einfach wie das Stück. Oder das Leben. Sie gehen friedlich auseinander. „Das war’s also“. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger.