Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Gunnar Landsgesell · 06. Jän 2023 ·

The Banshees of Inisherin

Eine lebenslange Freundschaft zweier Männer auf einer irischen Insel: Der eine (Brendan Gleeson) will von einem Tag auf den anderen nichts mehr vom anderen (Colin Farrell) wissen – ohne Erklärung. Regisseur Martin McDonagh („Three Billboards Outside Ebbing, Missouri") führt das Publikum bereits innerhalb weniger Minuten in eine ebenso simple wie vertrackte Geschichte, in der es nicht nur um Freundschaft, sondern auch um die Ansprüche an das Leben selbst geht.

So wie jeden Tag klopft Pádraic (Colin Farrell) an das Fenster von Colm (Brendan Gleeson), dessen Haus nur einen Steinwurf entfernt auf dieser kargen irischen Insel steht. Dann gehen die beiden ein paar Schritte hinauf zum Pub, wo sich wie üblich eine Handvoll Männer dieses versprengten Ortes treffen – auf ein Pint, oder auch mehr. Doch diesmal bleibt Colm versteinert in seinem Raum sitzen und ignoriert Pádraic, nur um ihm später mitzuteilen, dass ihre lebenslange Freundschaft beendet sei. Eine Erklärung dafür gibt er Pádraic nicht, und so führt die Verstörung dieser plötzlichen Ablehnung den Zuseher bereits mitten in eine ebenso simple wie vertrackte Geschichte. 

Zwischen Lyrik und Gewalt 

Regisseur und Drehbuchautor Martin McDonagh, dessen erste drei Filme – der bekannteste wohl „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" – bereits mit einer kunstfertigen Mischung aus hartgesottenen Figuren, lyrischem Tonfall und einer insistierenden Kraft überzeugten, bietet mit seiner jüngsten Arbeit vor allem Reduktion auf das Wesentliche. Dazu nützt er auch eine Bruchstelle des Kinos selbst: Es gibt Buddy-Filme und es gibt solche, in denen sich Freunde an ihrer eigenen Geschichte abarbeiten, aber die urplötzliche Verweigerung der Freundschaft und vor allem einer Erklärung dafür, das verleiht dieser einfachen Erzählung doch einen schönen Resonanzraum für die Fragen, die man sich selbst auch manchmal stellt – ganz ohne ein Leben auf einer irischen Insel im Jahr 1923, auf der die Bewohner dieses Ortes mangels Kontakten von außen ziemlich auf sich selbst zurückgeworfen sind. In „The Banshees of Inisherin" hat der Freundschaftsbruch jedenfalls mit der Frage zu tun, was das Leben einem eigentlich (noch) zu bieten hat bzw. welche Ansprüche man an sein Leben stellt. Colm, einmal mehr brillant von Gleeson interpretiert – eine äußerlich knorrige Figur, deren innere Zerrissenheit jäh sichtbar wird – hat keine Lust mehr, sich über den Mist von Pádraics Zwergesel zu unterhalten, sondern will der Nachwelt Kultur hinterlassen, Lieder in seinem Fall. Daraus spinnt McDonagh seine knappen, aber präzisen Dialoge, die Frage, ob Freundschaft mehr zählt als Schaffensdrang, schwebt über allem. Doch McDonagh (nicht zu verwechseln mit seinem Bruder John Michael McDonagh – „The Guard", „Calvary", ebenso ein Meister des schwarzen Humors) breitet ein ganzes, schräges Ensemble rund um die entfremdeten Freunde aus; etwa Pádraics viel klügere Schwester Siobhan (Kerry Condon), die – anders als ihr Bruder – Ansprüche an ihr Leben stellt, diese aber nicht realisieren kann; oder Dominic (Barry Keoghan), der Sohn des brutalen Dorfpolizisten, der ein bisschen zurückgeblieben, vor allem aber unglücklich scheint. Bemerkenswert ist, wie sich diese Geschichte im Milieu des Insellebens (vom nahen Festland sind die Schüsse des Irischen Bürgerkriegs zu hören) bei McDonagh entfaltet: Er stellt keineswegs die Dorfbevölkerung auf den Prüfstand, denn Colm bewegt sich zwischen ihnen wie ein Fisch im Wasser, sondern stellt die Frage, wie aus der selbstverständlich gewordenen Nähe einer Freundschaft ein Riss entstehen kann. Damit arbeitet McDonagh mit Formen eines Beziehungsdramas, und reichert es mit tragikomischen Elementen an. Immer wieder geraten die beiden Männer auf dieser seltsamen Bühne in ein melodramatisches Hin und Her, das die durchaus komischen Seiten einer todernst gemeinten Verwerfung hervorlockt. Kaum zieht sich der eine zurück, wird er für den anderen wieder interessant. Am Ende steht die Frage, ob es in der Beziehung zum anderen reicht, der Gute, Nette zu sein, oder ob das im Leben nur bedingt goutiert wird. Die Schlüsse, die sich daraus ziehen lassen, führen zu einer für die Dramaturgien der McDonaghs typischen Verzweiflungstat, die neue Realitäten schafft. Einer der Filme des Jahres.