Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Peter Füssl · 01. Mai 2011 · Tanz

Perfekt unperfekt – Marie Chouinard verweigert sich beim Bregenzer Frühling den gewohnten Vorstellungen von Tanz und verwickelt sich in Widersprüche

Der Komponist Louis Dufort hat Glenn Goulds geniale Einspielung von J.S. Bachs berühmten Goldberg-Variationen sowie Interviewausschnitte mit dem Tastenstar genommen und sie gnadenlos durch den elektronischen Fleischwolf gedreht – zerdehnt, beschleunigt, zerstückelt und neu montiert. Der ideale Soundtrack zu "bODY_rEMIX". Denn der Name Marie Chouinard ist nicht zufällig gleichermaßen mit großen Skandalen wie mit wichtigen Auszeichnungen verbunden. Die Kanadierin geht keinerlei Kompromisse ein.

Unglaublich perfektes Humpeln und Kriechen ...

In "bODY_rEMIX" sieht man alles, nur nicht das übliche Tanzvokabular. Auch nicht das zeitgenössische. Die Tänzerinnen und Tänzer mühen sich nämlich eineinhalb Stunden lang mit den unterschiedlichsten Arten von Krücken, Gehgestellen und Gehwägen über die Bühne, sie kriechen, schweben an Seilen oder hüpfen an Gummibändern, humpeln auf nur einem Spitzenschuh oder bemühen sich zu zweit aneinander gefesselt um ein Fortkommen. Sie kämpfen zwischen Barren eingeklemmt und lieben sich im Trapez hängend. Manchmal treiben sie es auf die Spitze, indem sie neben den Krücken auch noch eine an der Stirn befestigte Metallstange und eine Stange im Mund in den Tanz mit einbeziehen. All dies geschieht mit einer unglaublichen Perfektion und Präzision, was sich natürlich nur durch eine perfekte Körperbeherrschung erreichen lässt.

Besondere ästhetische Dimensionen des Deformierten ...

So gewinnt das Deformierte, das Unperfekte ganz besondere ästhetische Dimensionen, der Begriff der Vollkommenheit wird gleichzeitig in Frage gestellt und erweitert. So wie die Akteure nur mit knappsten Bandagen (un)verhüllt ihre Körper zur Schau stellen, wird auch der Tanzbegriff aus allen Konventionen herausgeschält.

... aber auch ein Widerspruch in sich selbst

Das Ganze erscheint aber als ein wohl kalkuliertes Experimentierfeld, irgendwie ein Widerspruch in sich selbst, wenn an sich perfekte Körper in einer Art Krüppel-Parade (im Sinne des Geusenwortes verstanden) präsentiert werden, sodass mitunter Erinnerungen an die vorzügliche DanceAbility-Workshops mit Alito Alessi wach werden, wo allerdings tatsächlich Behinderte in den Tanz eingebunden werden. Mit der Zeit schlichen sich auch gewisse Längen ein, und man hätte sich das Ganze in einer ein bisschen geraffteren Form gewünscht, dann hätte man sich auch die Pause ersparen können, die den Fluss des Geschehens empfindlich gestört hat.