Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Mirjam Steinbock · 16. Aug 2018 · Tanz

Magnetisches in Stadt und See – Marinella Senatore motiviert im Auftrag des KUB zu Kunst im öffentlichen Raum in Bregenz

Eine Prozession mit Tanz, Rhythmen, Musik und Literatur, die zwei Stunden lang vom Kunsthaus Bregenz aus durch die Stadt zieht und überraschende Performances an verschiedenen Plätzen zeigt wurde letzten Freitag geboten. Rund 120 Menschen waren aktiv daran beteiligt: Junge, ambitionierte, Amateure wie Profis und sie folgten in ihrer individuellen Ausdrucksform dem Dirigat der italienischen Künstlerin Marinella Senatore. Die Gründerin von „The School of Narrative Dance“ führte den Tross gut gelaunt an und hielt die um Mitlaufende ständig wachsende Umzugs-Gesellschaft zusammen. Was dem Vorhaben des Kunsthauses entspricht, gerade jene Menschen zu beteiligen, die noch nicht zum Publikum des KUB gehören.

Auf der „Manifesta“, der europäischen Biennale für zeitgenössische Kunst, erlebte Kunsthaus-Direktor Thomas D. Trummer dieses Jahr in Palermo erstmals eine Prozession von Marinella Senatore. Er lud die Künstlerin daraufhin als Teil des KUB-Rahmenprogramms „Talks on Music and the Arts“ ein, einer Serie mit internationalen KünstlerInnen, die in öffentlichen Gesprächen und Performances Einblick in ihre Arbeit geben. Marinella Senatores Projekt im öffentlichen Raum besteht seit 2013. Die ausgebildete Musikerin, Filmemacherin und Malerin bildete mit „The School of Narrative Dance“ eine Plattform, auf der sich Menschen begegnen und in ihrem Interesse für Darstellende Künste, Musik, Sprache oder Literatur Neues voneinander lernen können. Das Projekt fand rasch Anklang und wurde auf Einladung von Museen und Institutionen bis dato unter anderem in Rom, Berlin, New York und Ecuador veranstaltet. Die Anzahl der Teilnehmenden, die sich zur Vorbereitung auf die Prozession in frei wählbaren Workshops begegnen, variiert. Auch mit 20.000 Menschen habe sie mit ihrem Team bereits zusammen gearbeitet, meint die Künstlerin.

Ausdruck finden, ohne beurteilt zu werden

Auf die Frage, aus welchem Grund sich die Teilnehmenden so bereitwillig auf die anspruchsvolle Kunstaktion einlassen, sagt sie: “Ich kreiere Plattformen, die erlauben, sich auszudrücken, ohne beurteilt zu werden.“ Auch der Ansatz auf Augenhöhe, weit von jeder Hierarchie entfernt, gehöre dazu. „Ich lerne ja viel von den Menschen, mit denen ich zusammenarbeite und habe nicht einen fertigen Plan im Kopf. Vielmehr schlage ich etwas vor und das erarbeiten wir dann miteinander.“ Nicht selten würde sie die Bestätigung von Teilnehmenden erhalten, endlich das ausprobieren zu können, wofür lange Gelegenheit wie Mut fehlten. Eventuelles Scheitern baue sie ebenfalls bewusst ein, es müsse nicht alles funktionieren.

Ungewöhnliche Konstellationen

In Bregenz wurden die Arbeitsweise der Künstlerin und der Wert gruppendynamischer Prozesse offensichtlich. Ohne Generalprobe begab sich die große Gruppe auf den Weg. Mit dem Start der Prozession im Kunsthaus Bregenz, angestimmt von drei Alphornbläsern und einer Tänzerin und gefolgt von einer Performance von Jugendlichen der Dance Art School Dornbirn, zog die Truppe zu afrikanischen Rhythmen, Gesang und Tanz zu den Plätzen, auf denen für Augen und Ohren eher ungewöhnliche Konstellationen dargeboten wurden: Capoeira traf auf modernen Tanz, das Vorarlberger Tangopaar Claudia Grava und Martin Birnbaumer schwebte statt zu Bandoneon zu den afrikanischen Trommeln von Kofi Quarshies Formation über den Kornmarktplatz, der Geschwindigkeit einiger Skater folgend traf man auf einen getragenen Volkstanz der Trachtengruppe Bregenz, und die Westend Breakdancer zeigten ihr Können zu Alphornklängen. Weiter ging es über eine Jam-Session junger Vorarlberger MusikerInnen zum Lach-Yoga in der Unterführung. Von dort zu einem mit Megaphon präsentierten Poetry Slam von Theresa Gröchenig, über eine Körperinstallation mit Violine, bis zu den Andelsbucher Jodlerinnen, die einen stimmlichen Weg zum See öffneten. Am Fischersteg überraschte die afrikanische Tanzgruppe mit scheinbar grenzenloser Artistik, im sanften Übergang ein weiterer Poetry Slam von Dione Azemi und Lea Winder zum Thema Liebe und Freundschaft. Den fulminanten Abschluss konnte das Publikum auf dem See betrachten. Die Sopranistin Marjut Kuhnhenn sang auf einem Tretboot eine Arie, im Hintergrund ein zauberhaftes Wasserballett des Bregenzer Wasserball-Vereins, der von drei Ruderbooten umrundet wurde - das Ganze auf die poetische Spitze getrieben durch eine langsam durchbrechende Abendsonne.

Öffnung neuer Räume durch Mut zum Chaos

Ein durchaus gelungenes Projekt mit einem ganz eigenen Rhythmus durch Trommelwirbel, kräftige und zarte Stimmen der Bevölkerung, deren Ausdrucksvielfalt, der starken Protest-Choreografie, die die Stationen miteinander verband, und der sichtbar großen Lust aller Beteiligten an Präsenz. Der Funke zündete, überall wippte und summte es mit, die ausgelassene und oft auch chaotische Bewegung im Raum wirkte wie eine Integrations-Stimulanz, die neue Räume öffnet. Wenn es plötzlich gleichgültig ist, auf wen oder was man trifft, weil Kunst einen Resonanzbogen zwischen Menschen spannt und Atmosphäre schafft, ist nachvollziehbar, welche politische Vision die Künstlerin verfolgt.

Das Aufeinandertreffen von Künsten und Kulturen über Grenzen und Vorbehalte hinweg wird laut KUB-Direktion weitergeführt. Erste Rückmeldungen gab es laut Direktor Trummer nach der Veranstaltung bereits. Vor allem die Alphornbläser waren so überrascht wie angetan vom Klang ihrer Instrumente im Kunsthaus.

Die nächste Veranstaltung im Rahmen des Programms „Talks on Musik and the Arts“ findet am 7. September um 18 Uhr statt. Der libanesische Künstler Tarek Atoui begeiserte bereits 2017 anlässlich der KUB-Jubiläumsfeier und wird erneut live als Musiker, DJ und Performer zu erleben sein.