„Soli Deo Gloria“ – Alles für den lieben Gott
Bruno Oberhammer behandelte in seiner Orgelreihe „Wege Bachs“ ein faszinierendes Spezialthema.
Das soll ihm erst einmal einer nachmachen: Wie Bruno Oberhammer, der Nestor und einer der Top-Organisten des Landes, am Vorabend seines 78. Geburtstages an der Rieger-„Hausorgel“ in der Pfarrkirche Höchst sein jüngstes Konzertprogramm bewältigte. Es forderte diesmal vom Interpreten neben dem Handwerklichen vor allem auch die Beherrschung der großen geistigen Zusammenhänge des Programms, ein risikoreiches Spiel mit dem Mut des Könners.
Mit dem Konzert Nr. XVIII seiner Konzertreihe „Wege Bachs“ wurde zugleich auch das zehnjährige Jubiläum dieses Projektes begangen. Es soll an Oberhammers bereits legendären kompletten Höchster Bach-Orgelzyklus von 20 Konzerten in den Jahren 2007 bis 2011 erinnern und in seiner Gesamtheit einen Zeitraum von rund eintausend Jahren abendländischer Musik umfassen.
Thematische Spielarten
Ein komplexes Konvolut also, das man als Besucher:in überhaupt erst einmal geistig erfassen sollte, bevor man den Weg nach Höchst antritt. Ist man dann einmal gedanklich so weit fortgeschritten, entdeckt man erst, welch erstaunliche thematische Spielräume Oberhammer als geerdeter Musikwissenschaftler in seinen halbjährlichen Konzerten dem Generalthema stets von Neuem zu entlocken vermag. Diesmal ist es der Begriff „Soli Deo Gloria“, abgekürzt „S.D.G.“, auf Deutsch „Gott allein die Ehre“ oder auch „J. J.“, was soviel bedeutet wie „Jesu Juva“, also „Jesus hilf“. Es sind dies bekenntnisartige Signaturen, mit denen etliche Komponisten wie Johann Sebastian Bach oder der besonders gläubige Anton Bruckner am Ende eines Werkes jeweils ihre Partitur quasi unterzeichnet und sie damit in dankbarer Zuneigung dem lieben Gott gewidmet haben.
Dieses Bekenntnis findet aber auch in einem alten Kirchenlied Ausdruck, das dem lateinischen „Gloria in excelsis Deo“ nachempfunden wurde und bereits lange vor Bach erstmals in das bekannte „Allein Gott in der Höh‘ sei Ehr“ eingedeutscht wurde. Dazu gibt es bereits seit der Mitte des 16. Jahrhunderts eine Vielzahl höchst unterschiedlicher Bearbeitungen, vorwiegend für die Orgel, allein 20 von Bach. Für den Bachspezialisten Oberhammer natürlich ein Anlass, dieses liturgisch wie musikgeschichtlich bedeutsame Thema ins Zentrum dieses Orgelkonzertes zu stellen und dabei auch einen Bogen über Bachs Schüler Johann Philipp Kirnberger und Gottfried August Homilius bis zur Romantik zu spannen. Diese beiden ragen aus der Schar von über einhundert nachweisbaren Schülern hervor, die Bach hatte und die dessen Kunst und Kunstfertigkeit wieder an einen großen Schülerkreis über halb Europa verstreut weitergegeben haben.
Reichtum der Registrierkunst
Kirnbergers fünfsätzige Partita erstrahlt in farbigem Reichtum der Registrierkunst als fantasievolles fünfteiliges Variationenwerk über diese Liedmelodie, Homilius verbindet die drei unterschiedlich gefärbten Stimmen seiner Choralfantasie kunstvoll in Form eines Trios mit der Liedmelodie im Pedal. Doch zuvor spannt Oberhammer, anstatt das Programm chronologisch mit diesen beiden Werken oder einem von Bach höchstselbst zu beginnen, raffiniert das Pferd vom Schwanz auf und setzt an den Beginn zwei Werke von Anton Bruckner und Max Reger. Sie tauchen diesen Cantus firmus als Vorspiel und Fuge, bzw. als knappe Choralbearbeitung in ein tief romantisches Gewand, weit weg von Bach als eigentlichem Impulsgeber. Damit steuert das Programm in zielsicherer Dramaturgie auf Bachs Praeludium und Fuge in c-Moll als Höhepunkt zu, eingeleitet von Bruckner als großer Bach-Verehrer mit seinem einzigen c-Moll-Orgelwerk.
Da ist Oberhammer nun in seinem Element, die großen „Bäche“ sind bei ihm noch immer von glühender Leidenschaft, subtilem Ausdruck und nie erlahmender Kraft der kontrapunktischen Komplexität erfüllt. Verstörend kostet er die extremen harmonischen Spannungen in Bachs Spätwerk aus, die weit voraus in die Zukunft weisen, baut Stein auf Stein an diesem gewaltigen Gebäude aus Klängen bis hin zu dessen Vollendung. Danach kehrt der Organist rasch zum eigentlichen Thema zurück, fügt drei von Bachs Choralbearbeitungen des Liedes in sehr verschiedenen Ausdeutungen an: als Quartett mit einem kolorierten Cantus firmus im Tenor, als Trio und in Form eines Kirchenliedes im Arnstädter Gemeindechoralbuch. Das ist nun ganz große Kunst in kleiner Form, wie sie eben wohl nur Bach eigen sein konnte und die Oberhammer in aller Sorgfalt und Ehrfurcht vor dem großen Idol in Töne setzt.
Klangfarben und Kontraste
Darauf kann nur noch ein so farbenprächtig vielgestaltiges Werk folgen wie Praeludium und Fuge in e-Moll, formal eigentlich eine Toccata, diesmal von Nicolaus Bruhns, der wie Bach aus der Schule des Lübecker Meisters Dietrich Buxtehude hervorgegangen ist. Ihr chromatisch einprägsames Thema wird in oft überraschend schnellen Wechseln der Klangfarben und Kontraste verarbeitet und zu einem mächtig aufrauschenden Finale im Pleno geführt. Da spürt man den großen Geist, der erhaben über allem Virtuosen und Kleinteiligen dieses Konzert weht. Größer als sonst bei dieser Reihe ist die Zahl der Zuhörer:innen, die fasziniert Konzept und Ausführung dieses Programms bewundern.