"Die Sterne" im Spielboden Dornbirn: Frontmann Frank Spilker und Philipp Janzen an den Drums (Foto: Stefan Hauer)
Silvia Thurner · 17. Sep 2023 · Musik

Schallwende mit dem Ensemble Reconsil

Sechs neue Kompositionen entfalteten ihre Profile in aussagekräftigen Werkdeutungen

Im Saumarkttheater in Feldkirch ging das Schallwende-Festival mit dem Wiener Ensemble Reconsil unter der Leitung von Antanina Kalechyts über die Bühne. An zwei Abenden wurden Werke von Martin Gut, Dietmar Kirchner, Raphael Lins, Michael Neunteufel und Michaela Schausberger präsentiert, in denen einesteils die Stimme im Mittelpunkt stand und andernteils mittels Präparationen und Electronics das Soundspektrum erweitert wurde. Die Komponistin bereicherte mit ihrer wandlungsfähigen Mezzosopranstimme drei Werkdeutungen. Dass die Komponistin und Komponisten im Konzert anwesend waren, verstärkte den Gegenwartsbezug und die persönliche Atmosphäre.

Mit dem Wiener Ensemble Reconsil hatten Martin Gut, Dietmar Kirchner, Raphael Lins, Michael Neunteufel und Michaela Schausberger motivierte Musikerinnen an ihrer Seite. Sämtliche Werke wurden mit viel Esprit und Sensibilität ausgeformt und entfalteten ihren individuellen Charakter.
Einleitend erklang die plastische Komposition „Morphe“, mit dem hinweisgebenden Untertitel „ein akustischer Comic-Strip“. Michaela Schausberger gestaltete den Vokalpart ihrer Eigenkomposition, in deren musikalischem Verlauf unterschiedliche Aggregatzustände in akustische Flächen und Einzelteile übersetzt wurden. Gut proportioniert erklangen die unterschiedlichen Spielarten, vor allem die Multiphonics der Bassklarinettistin ließen aufhorchen. Im zweiten Abschnitt war mit dem Reim „Humpty Dumpty“ humorvoll zu erfahren, dass einmal Zerbrochenes nicht wieder in seine Ursprungsgestalt zurückgeführt werden kann.

Spielerische Text- und Klangmanipulationen

Auch in Dietmar Kirchners Werk „Gegenradl“ kamen die Qualitäten der vielseitigen Mezzosopranistin gut zur Geltung. Basierend auf zwei Texten von Virginia Woolf und Hans Arp deuteten die Musiker:innen und die Sängerin mit dem Komponisten an den Electronics die Texte mit plastischen Klangfarbenmodulationen. Der vielschichtige Instrumentalpart und die differenziert ineinander geschobenen Textfragmente bewirkten mit hintergründig brodelnder Energie im Instrumentalpart ein eindrucksvolles musikalisches Ganzes. Das Streichtrio „Morphing Strings“ von Dietmar Kirchner beruhte ebenso auf klanglicher Entfremdung der originalen Instrumentalfarben mithilfe von Klammern. Als Grundlage diente eine „Stilkomposition“ aus dem 18. Jahrhundert. Reizvoll war vor allem, wie unterschiedlich die drei Instrumente auf die Manipulationen reagierten. Während die Violine weitgehend stark abgedämpft den Klang entfaltete, erhielt das Cello beeindruckend viel perkussive Kraft und die Bratsche entwickelte schwirrend obertonreiche Klangqualitäten.

Drei Werke, drei Welten

Einen Text von Alexander Curtis legte Martin Gut seinem Werk „Floundering“ zugrunde. Die Liedmelodie bettete Michaela Schausberger hervorragend in den Ensembleklang ein, der sich vom Klavier aus in tiefen Klangregistern aufbäumte. Allmählich steigerte sich der musikalische Fluss mit auffallenden Reibungen und rhythmischen Beschleunigungen, bis er schließlich in einer Übergangsphase mündete, in der das Elektroscheit den Ensembleklang aufmischte. Leider wurde keine Gelegenheit geboten, dieses von Martin Gut entwickelte Instrument genauer und auch solistisch zu hören.
Raphael Lins komponierte mit „2N 3055“ ein Trio für Bassklarinette, Fagott und Electronics. Darin traten die realen Instrumentalklänge in abwechslungsreichen Duetten in Beziehung zu elektronischen Passagen. Obwohl die Electronics durchgehend zu leise erklangen, kamen die Interaktionen gut zur Geltung. Die Synthesizerklänge störten und unterbrachen die Duette, leiteten mit Impulsen neue Kommunikationsmuster ein und entwickelten in weiterer Folge auch ein Eigenleben. Besonders in diesen Passagen entfaltete Raphael Lins Klänge im „Retro-Style“, die an die Anfänge der elektronischen Musik in der Mitte des 20. Jahrhunderts erinnerten. Aufhorchen ließen auch jene Passagen, in denen die Electronics die melodischen Charaktere der tiefen Holzblasinstrumente übernahmen und in höhere Klangregionen transferierten.
Für Klarinette, Fagott, Viola und Klavier komponierte Michael Neunteufel im Auftrag des Schallwende-Festivals das Werk „Sudoku“. In den etwas zu lange gedehnten sechs Abschnitten kombinierte der Komponist mit spielerischer Lust ineinander geschobene Floskeln, setzte diese in verschiedenen Konstellationen zueinander in Beziehung und bündelte die Themen in einer Fuge, bis sich das musikalische Geschehen am Ende mit naturhaften Pendelbewegungen entspannte.

Herausragendem Ensemble im Land eine Bühne geboten

Die fünfte Ausgabe des Schallwende-Festivals war mit den unterschiedlichen kompositorischen Zugängen reichhaltig programmiert und bescherte dem aufmerksamen Publikum neueste kompositorische Ideenfindungen mit Vorarlbergbezug und darüber hinaus. Dass die hervorragenden Musikerinnen des Wiener Reconsil Ensembles unter der Leitung von Antanina Kalechyts in Vorarlberg gastierten, war eine besondere Bereicherung.

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