Rebekka Bakken in Bestform: Jeder Song ein Highlight
Die norwegische Singer-Songwriterin begeisterte im ausverkauften Alten Kino in Rankweil
Ihr aktuelles Cover-Album „Always On My Mind“ im Gepäck und eine exzellente Band im Rücken gelang es der bestens gelaunten, höchst kommunikativen und zu Scherzen aufgelegten Rebekka Bakken vom Start weg, das Publikum auf witzige Weise zu unterhalten und dank ihrer Drei-Oktaven-Stimme völlig in den Bann zu ziehen. Egal ob Eigenkomposition oder Fremdmaterial, Bakken interpretiert einen Song nicht nur, sondern sie lebt ihn und treibt ihn als singende Geschichtenerzählerin zu einem emotionalen Höhepunkt. Dass dies so wunderbar funktionierte, war sicherlich auch der intimen Atmosphäre im Alten Kino zu verdanken, die eine ganz andere Nähe zulässt als dies ein großer Konzertsaal getan hätte.
Geniale Coverversionen ...
Auf dem im heurigen Frühjahr erschienenen Album „Always On My Mind“ (Sony Music) macht sich Bakken ihre Lieblingssongs unterschiedlichster stilistischer Prägung ganz zu eigen und haucht ihnen mit ihrer gleichermaßen kräftigen, wie warmen und emotional unter die Haut gehenden Stimme neues Leben ein. Dazu zählt etwa Peter Gabriels apokalyptisch anmutender Prog-Rock-Klassiker „Here Comes The Flood“ aus dem Jahr 1977, der angesichts der Umwelt-Katastrophen mit topaktuellem Gegenwartsbezug aufgeladen wird – von Bakken äußerst gefühlvoll und ausdrucksstark interpretiert. Nicht weniger unter die Haut geht ihre Version des 1992 erschienenen, hochemotionalen Trennungssongs „Why“ von Annie Lennox, die Bakken als „Ikone“ ihrer Jugendzeit bezeichnet. Aber beim Cover-Album handelt es sich keineswegs um ein reines Nostalgie-Projekt, wie etwa die von Billie Eilishs Bruder Finneas O’Connell vor vier Jahren veröffentlichte Ballade „Break My Heart Again“ beweist – sie höre sehr viel Pop-Musik, so Bakken, die auch ihr Sohn gerade höre. Dass Rebekka Bakken möglicherweise die beste Interpretin der großartig schrägen Songs des unverwechselbaren Grummlers Tom Waits ist, weiß man schon seit ihrem 2014er Album „Little Drop of Poison“, dessen Titelsong sie auch im Alten Kino sang. Die Band traf die unbedingt dazu gehörende, geniale Mischung aus rumpelndem Elektroblues, Bar-Jazz und Vaudeville aufs Vortrefflichste – ein wundervolles Pianosolo inklusive.
Eine exzellente Band
Kein Wunder, haben wir es doch mit vier sehr prominenten Exponenten der an hervorragenden Musiker und Musikerinnen wahrlich nicht armen norwegischen Szene zu tun. Etwa der vielbeschäftigte Keyboarder/Pianist Jørn Øien, der auf die Tour auch seine schwergewichtige Hammond B3 samt Leslie-Lautsprecher mitschleppt, um ihr die nur auf diesem Instrument machbaren, geilen, zwischen Southern Rock, Blues, Soul-Jazz und New Orleans Voodoo-Zauber angesiedelten Retro-Sounds zu entlocken. Damit verblüffte er bereits in den ersten drei Stücken des Abends, „Closer“, „Black Shades“ und dem ironischen „Things You Leave Behind“ (vom gleichnamigen 2018er Album), die man guten Gewissens als „Northern Soul“ bezeichnen darf. Hier lässt auch Tommy Kristiansen seine E-Gitarre gleich schon enorm rocken, dass es eine wahre Freude ist. Er ist unglaublich vielseitig und, wie seine Projekte zeigen, in den unterschiedlichsten Stilen zuhause – von den Nu Jazzern Beady Belle, über das Hip-Hop-Duo Madcon bis zu Jamie Cullum oder seinem eigenen Singer-Songwriter-Album. Nicht weniger umtriebig ist auch Bassist Even Ormestad, den man als Gründungsmitglied der achtköpfigen Nu Jazz-Band Jaga Jazzist kennt. Der ideale Tieftöner für ein energievoll pulsierendes Rhythmus-Gespann mit Rune Arnesen, dessen Trommelkunst sich auf mehr als dreihundert Platten findet, unter anderem von Nils Petter Molvaer, Eivind Aarset, Bugge Wesseltoft oder Dhafer Youssef. Dieses Quartett fand stets die perfekt passenden Soundideen zu Rebekka Bakkens Songs, die Musiker fungierten als ideale Begleiter und waren gleichzeitig weit mehr als das.
... eine Art „Best-of“
Bakken präsentierte eine Art “Best-of“ und demonstrierte zugleich ihre Vielseitigkeit. „True North“ ist eine wunderschöne Hommage an ihren Vater, der nie viel gesprochen habe, aber ein exzellenter Zuhörer gewesen sei. Das unglaublich witzige „Powder Room Collapse“ über ihr Haare- und Make-up-Desaster im Schminkraum fand sich schon auf dem 2009er Album „Morning Hours“ – sie wolle diesen Song schon ewig aus der Set-List schmeißen, schaffe es aber einfach nicht. Aus derselben Zeit stammt das Country-artige „Ghost In This House“. Bei der stimmungsvollen Ballade „Love is Everything“ wird sie anfangs nur vom Piano begleitet, ehe die anderen Instrumente dazukommen und das Stück enorm an Fahrt aufnimmt. Rebekka Bakken ist eine absolute Meisterin im Spannungsaufbau, ausgehend von ruhigen Passagen bis hin zu ekstatischen Höhepunkten, die nicht selten irgendwie kathartisch wirken und in angenehm ruhigen Passagen enden.
Zwei ganz besondere Höhepunkte stachen aus dem Song-Mix des Abends heraus. Einmal „Korset vil jeg aldri vike So ro“, das auf einem Kirchenlied von Hans Adolph Brorson aus dem 18. Jahrhundert fußt. Die längste Zeit sang sie nahezu a cappella, nur von einem unterschwelligen geräuschhaften Ton begleitet, und lotete ihr breites Spektrum an stimmlichen Möglichkeiten völlig aus. Das wirkte archaisch und experimentell zugleich und ließ, sobald die Trommelrhythmen einsetzten, Erinnerungen an Mari Boine hochkommen. Nordische Schwermut gepaart mit Kraft und Intensität, eine äußerst spannende Kombination. So gesehen war es (zumindest für die Zuhörer:innen von heute) ein Segen, dass ihre Mutter die junge Rebekka jeden Sonntag gegen ihren Willen in die Kirche zwang, wo sie sich langweilte, bis der Psalmengesang einsetzte.
Gerne erfüllte Rebekka Bakken aber auch einen Wunsch aus dem Publikum und intonierte „Der Schnee draußen schmilzt“ des genialen Ludwig Hirsch, den sie in ihrer Wiener Zeit kennen und lieben gelernt hatte. Übrigens findet man auf Hirschs 2008er Album „In Ewigkeit Damen“ das Stück „Rebekka und ich“, in dem Hirsch erzählt und Bakken auf Norwegisch singt. Aber Bakken im Wiener Dialekt singen zu hören, hat schon etwas ausgesprochen Charmantes, das trifft aber auch auf ihr nordisch gefärbtes Deutsch und Englisch zu.
Fazit und kleiner Exkurs in die Vergangenheit
Bereits zur Begrüßung streute die Sängerin virtuelle Rosen: Schon bei ihrem allerersten Besuch in Vorarlberg vor mehr als zwanzig Jahren habe sie sich sogleich in dieses Land verliebt, denn „hier ist es so schön und so sauber. Alle Leute sind so cool und so direkt – eigentlich wie es die Norweger sind“. Wie es der Zufall will, kann der Schreiber dieser Zeilen das bestätigen, weil er als damaliger Jazz-Kurator am Spielboden am 23.3.2001 die damals noch völlig unbekannte, gerade einmal dreißigjährige Sängerin am Zürcher Flughafen abholte und nach Dornbirn brachte, wo sie am selben Abend gemeinsam mit ihrem damaligen Partner Wolfgang Muthspiel und dem Projekt „Daily Mirror“ ihren ersten Auftritt hierzulande hatte. Und ja, sie war damals schon begeistert von diesem Land. Wenig später zog sie von New York nach Wien, wo sie mehrere Jahre lebte und ihre Karriere bei Universal Music so richtig in Fahrt kam. In der Zwischenzeit lebte sie in Schweden, in den USA und ist nun wieder in Norwegen gelandet, hat ein gutes Dutzend Alben unter eigenem Namen herausgebracht, und ich habe über die Jahre hinweg fünf Konzerte mit ihr erlebt. Das Schöne daran: Das Konzert in Rankweil war das beste von allen, denn Rebekka Bakken scheint immer souveräner, lässiger, ausdrucksstärker und besser zu werden.