"Un métier sérieux - Ein richtig guter Job" in der Kinothek Lustenau (Foto: Filmcoopi Zürich)
Michael Löbl · 09. Okt 2023 · Musik

Quartettkunst aus Frankreich

Zwei der prominentesten französischen Streichquartette bescherten dem Publikum himmlische Kammermusikerlebnisse im Rahmen der Schubertiade Hohenems

Rezensionen über Kammermusik bei der Schubertiade – und im Speziellen über Streichquartette – zu verfassen, gestaltet sich zunehmend schwierig. Ganz einfach deshalb, weil langsam, aber sicher das Vokabular zur Neige geht, um derartige Spitzenleistungen zu beschreiben.

Gängige Parameter wie Klangqualität, Zusammenspiel, Balance, Intonation, technisches Können oder musikalische Gestaltung sind auf diesem Niveau selbstverständlich und es gibt eigentlich kein Quartett, bei dem es auf diesem Gebiet etwas zu kritisieren gäbe. Und wenn ja, tritt dieses Quartett eben nicht im Rahmen der Schubertiade auf. Der Unterschied zwischen diesen Formationen liegt nicht in der Qualität, hier geht es nur noch um unterschiedliche Musiker- und Musikerinnen-Persönlichkeiten und den persönlichen Geschmack der Zuhörenden.

Vom Quartett zum Sextett

Ein gutes Beispiel für diese Feststellung waren die beiden Konzerte am Donnerstag- und Samstagabend mit den französischen Spitzenquartetten Quatuor Ébène und Quatuor Modigliani, letzteres im zweiten Konzertteil zum Sextett erweitert durch die Geschwister Veronika und Clemens Hagen, Bratschistin und Cellist des Hagen-Quartetts. Beide Ensembles sind seit vielen Jahren Stammgäste dieses Festivals und das Quatuor Modigliani hat bereits einen Zyklus sämtlicher Schubert-Quartette dort aufgeführt. Auf dem Programm standen insgesamt sechs Werke, davon nur ein einziges von Franz Schubert. Das Quatuor Ébène begann mit Joseph Haydns g-Moll Quartett Hob. III:33, gefolgt vom dritten Streichquartett von Béla Bartók und Schuberts letztem Quartett in G-Dur D 887. Das Programm des Quatuor Modigliani stand unter dem Motto „Italien“ mit einem der „Italienischen Quartette“ von W.A. Mozart, Giuseppe Verdis e-Moll Streichquartett und dem Sextett „Souvenir de Florence“ von Peter I. Tschaikowsky.
Im Vergleich zu ihren deutschen oder österreichischen Quartettkolleg:innen erscheint der musikalische Zugang dieser beiden Quartette aus Frankreich viel traditioneller. Während im deutschsprachigen Raum die historisch-informierte Aufführungspraxis auch in der Kammermusik ihre Spuren hinterlässt, ist bei Ébène und Modigliani davon wenig zu spüren. Hier wird – auch bei Haydn und Mozart – stets das klangliche Maximum herausgeholt. Ganz besonders Amaury Coeytaux, der Erste Geiger der Modiglianis, hat hier keinerlei Hemmungen und lässt dem überwältigend schönen Ton seiner Stradivari freien Lauf. Warum? Weil er es kann! Wenn man im Andantino des Verdi-Quartetts oder beim langsamen Satz von „Souvenir de Florence“ die Augen schließt, denkt man vielleicht an Fritz Kreisler, den für seinen Ton berühmten Geiger des letzten Jahrhunderts, so selbstverständlich sind Coeytaux' Phrasierungen, so sü? und mühelos ist sein Klang bis hinauf in die höchsten Lagen. Von diesem Musiker würde man gerne einmal einen Sonatenabend (bei der Schubertiade?) oder ein Solokonzert hören.

Umbesetzung am Cello

Das Quatuor Ébène rangiert bereits seit dem Beginn seiner Karriere immer unter den Top Ten der internationalen Streichquartettelite. Die FAZ bezeichnete seine Gesamteinspielung der Beethoven-Streichquartette „als neue Referenzaufnahme, an der sich viele Ensembles in den nächsten fünfundzwanzig Jahren die Zähne ausbeißen können.“ Während der aktuellen Tournee gibt es eine Umbesetzung am Cello: Der japanische Cellist Yuya Okamoto ersetzt Raphael Merlin und fügt sich wunderbar in das Ensemble ein. Souverän finden die vier Streicher sofort ihren persönlichen Ton für jedes Stück, auch für Haydns g-moll Quartett, das auch musikalisch Gebildete beim ersten Hören kaum diesem Komponisten zuordnen würden. Das klingt teilweise schon nach Beethoven, der allerdings erst viele Jahre später Haydns Schüler werden sollte. 
Mit Béla Bartóks drittem Streichquartett präsentiert das Quatuor Ébène eine für die Schubertiade ungewohnte Klangwelt. Obwohl es in vier Jahren den hundertsten Geburtstag seiner Entstehung feiert, ist es immer noch ein „modernes“ Werk mit großen musikalischen und rhythmischen Kontrasten, ungewöhnlichen Tonarten und enormen spieltechnischen Herausforderungen für die Musiker:innen. Wie zu erwarten, erlebt das Publikum eine absolut souveräne und in allen Details ausgefeilte Interpretation, die keinerlei Wünsche offenlässt. 
Nach der Pause dann das G-Dur Quartett D 887 von Franz Schubert. Es gehört gemeinsam mit der B-Dur Klaviersonate, dem Streichquintett und der „Winterreise" zu jenen mystischen, magischen und letztlich unergründlichen Werken aus den letzten Lebensjahren dieses Komponisten. Auch spieltechnisch nimmt Schubert in diesem 50 Minuten langen Koloss keinerlei Rücksicht mehr, insbesondere die Erste Geigenstimme ist auch für Violinvirtuos:innen eine wirkliche Herausforderung. Und so kann man sich täuschen: Die vier Streicher des Quatuor Ébène interpretierten Schuberts D 887 derart vollkommen und überlegen, dass man den Eindruck haben musste, dieses schwierige Werk wäre seit vielen Jahren Teil ihres Repertoires und sie hätten es bereits oft in Konzerten gespielt. Umso größer die Überraschung, als Gabriel Le Magadure, der Zweite Geiger, dem verblüfften Publikum mitteilte, dass es soeben die erste Aufführung des letzten Schubert-Quartettes durch das Quatuor Ébène erlebt habe, und das im Rahmen der Schubertiade! Unglaublich.

Russischer Klangrausch

Zwei Tage später saß mit dem Quatuor Modigliani ein weiteres Spitzenquartett aus Frankreich auf der Bühne des Markus-Sittikus-Saales. Von diesem Ensemble geht eine unwiderstehliche Energie aus, die sich unmittelbar auf das Publikum überträgt. Nach einem dreisätzigen frühen Mozart-Quartett KV 156 das großartige, leider viel zu selten gespielte Streichquartett in e-Moll von Giuseppe Verdi. Der wegen einer längeren Probenunterbrechung zu seiner Oper „Aida“ in Neapel zur Untätigkeit gezwungene Komponist überbrückte die Zeit mit der Komposition seines einzigen Streichquartettes. Hier konnte das Ensemble seine energetischen Kräfte voll ausspielen und sorgte folgerichtig bereits vor der Pause für Bravorufe und rhythmische Beifallskundgebungen per Fuß.
Im zweiten Konzertteil kam dann einiges zusammen: Zunächst zwei zusätzliche Musiker:innen auf der Bühne, was der Klangfülle eine neue Dimension verschaffte. Dann Tschaikowskys Sextett „Souvenir de Florence“, ein Werk unter fast ständiger Hochspannung. Und dann noch die Kombination zweier musikalischer Alphatiere, die sich gegenübersaßen: Amaury Coeytaux und Clemens Hagen. Das Ergebnis: 35 Minuten Kammermusik, wie sie besser nicht sein kann, virtuos, hochmusikalisch, sechs Spitzenmusiker:innen im Klangrausch und das Publikum im siebten Himmel. Atemberaubend.

www.quatuorebene.com
www.modiglianiquartet.com