"Die Sterne" im Spielboden Dornbirn: Frontmann Frank Spilker und Philipp Janzen an den Drums (Foto: Stefan Hauer)
Michael Pekler · 28. Sep 2023 · Film

Neu in den Kinos: „Wald“

Wird man in der Einsamkeit zu einem neuen Menschen? Elisabeth Scharang hat sich von Doris Knechts Roman „Wald“ für ihren gleichnamigen Film inspirieren lassen. Die Kinoerzählung über eine traumatisierte Aussteigerin präsentiert sich indes als neu erzählte Geschichte in altem Gewand.

Manchmal meint man im Kino einen Film bereits gesehen zu haben, obwohl es sich nicht um den nächsten Hollywood-Blockbuster handelt. Es kann nämlich durchaus sein, dass einem Szenario und Inszenierung bekannt vorkommen, weil man einen österreichischen Film sieht, dessen Erzählung und Ästhetik einem mittlerweile allzu vertraut sind.
„Wald“ beginnt mit der Großaufnahme einer Frau, die mit nacktem Oberkörper, offensichtlich gerade aus einem eiskalten See aufgetaucht, aus Leibeskräften in den Wald brüllt. Die nassen Haare hängen ihr ins vor Wut und Verzweiflung gezeichnete Gesicht. Ein erstes Bild, das verstören und in Bann ziehen soll. Was ist geschehen?
Ein längerer Rückblick liefert zunächst Hinweise, danach Gewissheit. Marian (Brigitte Hobmeier) ist aus Wien ins Waldviertel gereist. Zunächst noch bequem mit der Bahn, dann per Autostopp, bis sie die letzten Meter ihren Rollkoffer in die Hand nehmen muss. Ein verlassener, muffiger Bauernhof ist das Ziel. Marian kennt sich aus, sie weiß, wo Schlüssel und Feuerholz sind und dass es keinen Strom gibt. Familienbilder werden auf dem Tisch ausgebreitet. Das Handy kann sie beim Dorfwirt aufladen, ihrem in Sorge nachgereisten Freund (Bogdan Dumitrache) erklärt Marian, dass er wieder verschwinden solle und sie „nur für ein paar Tage“ bleiben werde. Doch man weiß längst, dass das nicht stimmt. Tatsächlich hat die Vergangenheit die Heimkehrerin nämlich bereits eingeholt. Die Nachbarin Gerti (Gerti Drassl), die sich als Jugendfreundin herausstellt, reagiert barsch („Du warst in den letzten zwanzig Jahren keine drei Tage im Dorf!“), und mit Franz (Johannes Krisch), einem alten Bekannten, gibt es offensichtlich ebenfalls eine alte Geschichte zu klären.

Verlust und Rückzug

Elisabeth Scharang hat für „Wald“ den gleichnamigen Roman von Doris Knecht nicht adaptiert, sondern sich von ihm, wie sie angibt, „inspirieren“ lassen. Aus dem Rückzug der von der Finanzkrise gebeutelten Bobo-Aussteigerin ist im Kinofilm eine traumatisierte Frau geworden, die sich nicht mehr unter Menschen traut. Die sich in die Einsamkeit begibt, um wieder zurück in ein neues Leben zu finden.
Scharang, die auch das Drehbuch geschrieben hat, erzählt mit „Wald“ also eine Enthüllungsgeschichte im Gewand des sogenannten modernen Heimatfilms, dessen Stilmittel sich allerdings seit zwanzig Jahren kaum verändert haben, sondern nur variieren. Zuvorderst erinnert „Wald“ an Julian Pölslers Haushofer-Verfilmung „Die Wand“ (2012), in der die eingesperrte Schriftstellerin – bei Scharang nunmehr eine erfolgreiche Journalistin – dem natürlichen Rhythmus der Jahreszeiten ausgeliefert und mit sich selbst kämpfend nach einem letzten Ausweg sucht. Auch „Wald“ erzählt vom Verlust aller sichernden Konzepte, die sich als Illusion erwiesen haben: Freunde, Beziehung, Beruf, Erfolg – alles nichts mehr wert.
Doch Elisabeth Scharang wollte offensichtlich keinen zivilisationskritischen Film drehen, auch keinen sozialrealistischen, sondern einen über die individuelle Suche eines neuen Lebensweges, eingebettet in eine mitunter nahezu lyrische Naturidylle. Die Bewältigung der Vergangenheit, der eigenen Familiengeschichte und jener des Dorfes, in der Marian zur Fremden in der Heimat geworden ist, erinnert vielmehr an ein großes Aufräumen und Abschließen. Am Ende geht es für alle darum, verzeihen zu können.

Schmerzende Wärme

Der Kameramann Jörg Widmer hat diese Sinnsuche in perfekte Stimmungsbilder übersetzt: Schwach bricht das späte Herbstlicht durch die Wolken, in kaltem Weiß leuchten die Felder im ersten Schnee, in düsterem Gelb wirkt die Gaststube so feindselig wie die Landsmänner am Stammtisch. Wenn Marian durch den Wald joggt, verfolgt sie die Kamera wie eine Flüchtende. Wenn sie die vom Holzhacken erfrorenen Finger in eine Schüssel warmes Wasser taucht, kann man die schmerzende Wärme in den Knochen förmlich spüren.
Vielleicht liegt es an seinem Optimismus, an seinem prinzipiellen Vertrauen in seine Hauptfigur, von dem dieser Film nie ganz lassen kann, dass man seiner Erzählung wiederum nicht gänzlich traut. So viel Kraft, so viel Anstrengung, so viel Durchhaltevermögen und Vergangenheitsbewältigung dürfen am Ende, man ahnt es, nicht umsonst gewesen sein. Ein Ende, das dem Anfang, dem ersten und letztlich doch nicht verstörenden Bild, bereits eingeschrieben ist.