Neu in den Kinos: „The Bastard King“
Ein Löwenleben als Shakespeare-Tragödie: Der Naturfilmer Owen Prümm hat zehn Jahre den König der Tiere begleitet und aus dem dokumentarischen Material einen hochartifiziellen Spielfilm gemacht. Einen Bastard wie sein tierischer Hauptdarsteller.
„Was ist ein Märchen anderes als eine in eine Lüge gehüllte Wahrheit?“ Ein Löwe erzählt eine Geschichte. Seine Lebensgeschichte. Abgemagert und mit struppigem Fell streift er durch die Savanne. Wäre er ein gewöhnlicher Löwe, wäre sein Überlebenskampf wohl kaum interessant genug. Doch dieser Löwe hat ein besonderes Merkmal: Ein gelbes und ein blaues Auge blicken in die Kamera. Er ist ein Bastard und seine Geschichte eine in eine Lüge gehüllte Wahrheit. Also ein Märchen.
„The Bastard King“ ist weder Tierdokumentation noch Fiktion. Es ist ein aus dokumentarischen Aufnahmen entwickelter Spielfilm, in gewisser Weise also ebenso ein Bastard wie sein Hauptdarsteller. Oder eine als Spielfilm getarnte Tierdokumentation. Das Ergebnis jedenfalls ist verstörend, weil anziehend und abstoßend gleichermaßen.
Zehn Jahre lang hat der deutsch-britische Regisseur und Kameramann Owen Prümm in noch abgelegenen Gegenden Tansanias sein dokumentarisches Material gesammelt und daraus ein Drama gestaltet, das es mit der Wirkung einer Shakespeare-Tragödie aufnehmen kann.
Denn der Bastardkönig ist das Resultat einer buchstäblichen Grenzüberschreitung: Ein Fluss teilt das Land in die Reiche zweier verfeindeter Rudel. Doch wie es nicht nur die menschliche Tragödie so will, übertritt auch der gelbäugige König der Tiere das ungeschriebene Gesetz und zeugt mit der blauäugigen Prinzessin einen Nachkommen. „Alle wussten, dass eine solche Tat nur mit dem Tod bestraft werden konnte“, weiß dieser mit schwerem Pathos zu berichten.
Als die Löwenmutter nach dem Verstoß gegen das zeitlose Tabu vom Rudel verstoßen wird, flieht sie in eine entfernte Gegend, wo der kleine Prinz mit seinen Schwestern geboren wird und die Rache des blauäugigen Großvaters erwartet. Die mit jener Grausamkeit geschieht, die man dem Wesen der Natur fälschlicherweise gemeinhin zuschreibt. „The Bastard King“ erzählt in der Folge vom Heranwachsen des verwaisten Löwenjungen, vom täglichen Überlebenskampf und immer wieder davon, woraus dieser in erster Linie besteht: jagen, töten und fressen. Zebras, Giraffen, andere Löwen.
Menschliches, Allzumenschliches
„The Bastard King“ ist ein bildgewaltiger Film, der in jeder Hinsicht auf totale Überwältigung setzt: mit am Computer eklatant bearbeiteten und hochgradig artifiziellen Bildern, mit einem die Wirkkraft der Aufnahmen noch verstärkenden Sythesizer-Score, und nicht zuletzt durch den erhabenen Tonfall der Erzählung („Ihre azurblauen Augen überstrahlten selbst den Himmel“) vor allem in der deutschen Synchronisation mit der Stimme von Tom Wlaschiha (angenehm weniger pathetisch im Original: David Oyelowo).
Zum eigentlichen Problem gerät diesem Genrehybrid jedoch seine Anthropomorphisierung, mit der das Tierleben in der Savanne zur Bühne menschlichen Handelns wird: Wenn sich der „Krieger im Staub seines Erbes“ etwa gegen „abscheuliche Wegelagerer“ – gemeint sind die wie immer unsympathischen Hyänen – zu verteidigen hat, fällt es schwer, nicht in menschliche Schwarzweiß-Malerei zu verfallen. Oder das ständige Fliehen und Sterben als das zu akzeptieren, was es eigentlich ist: als einen Kreislauf der Natur. In den nur derjenige eingreift, den selbst der Löwe an der Spitze der Nahrungskette zu fürchten hat: der Mensch. Kaum mehr als zwanzigtausend Löwen existieren weltweit. Tendenz sinkend. Schuld am dramatischen Rückgang der bedrohten Art ist auch dieses Mal das „dunkle Ungeheuer am Rand der Welt“.