Junge Stimmen im Interview mit Michaela Ortner-Moosbrugger. (Foto: Ivo Vögel)
Michael Pekler · 20. Mai 2025 · Film

Neu in den Kinos: „Monsieur Aznavour“

Das Biopic über Charles Aznavour hält alle Zutaten für die scheinbar perfekte Filmbiografie bereit: Kindheit in ärmsten Verhältnissen, eiserner Wille und sozialer Aufstieg, Erfolge und Rückschläge, Tragödien und Triumphe. Das Leben des legendären französischen Chansonniers als schnörkellose Hommage.

In „La vie en rose“, der verfilmten Lebensgeschichte von Édith Piaf, taucht der junge Charles Aznavour nur kurz auf. Als eine Randnotiz, denn für die von Marion Cotillard gespielte Piaf, die am Ende ihr „Non, je ne regrette rien“ ins Publikum schmettert, war der aufstrebende Sänger von nicht allzu großer Bedeutung. Umgekehrt spielt, den Tatsachen entsprechend, die Grande Dame des französischen Chansons im aktuellen Biopic „Monsieur Aznavour“ eine wichtige Rolle. „Mein kleines, dummes Genie“, meint sie, diesmal gespielt von Marie-Julie Baup, „du hast Talent, aber keine Ahnung, wie man Karriere macht.“ 
Kurz nach dem Krieg tingelt Aznavour (Tahar Rahim), gemeinsam mit seinem Kumpel Pierre Roche (Bastien Bouillon) am Klavier, durch Pariser Tanzlokale und gibt Couplets zum Besten. Eines Abends schaut Piaf vorbei, und weil Aznavour mit ihr den Walzer linksherum tanzen kann, ist das Eis gebrochen. Woraufhin sie die beiden Jungspunde unter ihre Fittiche nimmt und bei ihrer Tournee als Vorgruppe auftreten lässt. Als seine Entdeckerin verschafft sie Aznavour in der Folge Engagements, Anerkennung und rät ihm dringend, sich die Nase operieren zu lassen. Als er in Montréal – in Frankreich läuft es noch nicht so gut – die Säle füllt und sich damit zufrieden gibt, verlangt sie vom ihm, die Prioritäten zu überdenken: „Erfolg in einem Kabarett am anderen Ende der Welt? Denk’ doch mal an die Zukunft!“ Woraufhin Aznavour, der ohnehin bereits seine Frau vernachlässigt, noch verbissener arbeitet und Dutzende rote Notizbüchlein vollschreibt. In seiner mehr als 70 Jahre andauernden Karriere hat Charles Aznavour mehr als tausend Chansons komponiert und getextet.

Zwei Sekunden Truffaut

Angesichts der anhaltenden Flut an Biopics war dieser Film eine Frage der Zeit. Denn das Leben von Charles Aznavour hält alle Zutaten für die scheinbar perfekte Filmbiografie bereit: Sohn armenischer Flüchtlinge, Kindheit in ärmsten Verhältnissen, eiserner Wille und sozialer Aufstieg, Erfolge und Rückschläge, Tragödien und Triumphe. In „Monsieur Aznavour“ bekommt man wenig überraschend genau das zu sehen. Überraschend allerdings ist dann doch die konventionelle Art, mit der das Regieduo Mehdi Idir und Grand Corps Malade die einzelnen Stationen aneinanderreiht: vom ersten Auftritt Aznavours als Knirps, für den er bereits Gage verlangt, bis zu den üblichen Archivaufnahmen am Ende, in denen er noch in hohem Alter auf der Bühne steht. Für die zweite Karriere als Schauspieler und seine denkwürdige Rolle in François Truffauts Klassiker „Schießen Sie auf den Pianisten“ (1960) beschränkt sich „Monsieur Aznavour“ hingegen auf zwei Sekunden. 
Dabei hätte dieser Film durchaus ein differenziertes Biopic über jenen Mann werden können, der im Nachkriegsfrankreich zum gefeierten Chansonnier aufstieg und der es mithilfe von Édith Piaf zu Weltruhm brachte. Denn immer wieder blitzt die Ambivalenz dieser Karriere mit ihren Kollateralschäden zumindest durch: Aznavours unbedingter Wille zum Erfolg, die unzähligen Liebschaften, die verbissene Getriebenheit, die Vernachlässigung engster Freunde und Angehöriger. Stattdessen hat man sich für eine schnörkellose Hommage entschieden, an der Aznavour bis zu seinem Tod 2018 noch beteiligt war. 

Zeitstrahl der Ereignisse

Dass der ambitioniert aufspielende Tahar Rahim, der sich selbstverständlich in monatelanger Arbeit Aznavours Gestik und Mimik aneignete, nicht auch noch dessen Lieder singt, ist eine der besseren Entscheidungen in diesem „Zeitstrahl mit den wichtigsten Ereignissen“, als den die Regisseure ihren Film bezeichnen. Und so reiht das Biopic, üppig ausgestattet und stimmungsvoll ausgeleuchtet, seine mit Chansontitel überschriebenen Kapitel eines von Ehrgeiz und ständiger Suche nach Anerkennung geprägten Lebens aneinander. „Niemand konnte Zärtlichkeit, Lebensweisheit und Überlebenswillen so eindringlich in Chansons verwandeln“, schrieb der „Spiegel“ treffend im Nachruf auf Charles Aznavour. Man hätte eben das in diesem Film gerne gesehen.
PS: Im Jahr 1948 bekam Aznavour von Édith Piaf eine Paillard-Bolex-Kamera geschenkt, die er sein Leben lang behielt. In den nächsten dreißig Jahren nahm er unzählige Stunden von Material auf, das er kurz vor seinem Tod mit dem Filmemacher Marc di Domenico zu einem Dokumentarfilm gestaltete. „Aznavour by Charles“ (2019) eröffnet im Gegensatz zu „Monsieur Aznavour“ einen so persönlichen wie aufschlussreichen Blick auf das Leben des Chansonniers. 

ab 22.5., Cinema Dornbirn (dF), ab 24.5., SKINO Schaan (OmU)