Neu in den Kinos: „Die Saat des heiligen Feigenbaums“
Ein iranischer Ermittlungsrichter gerät zunehmend unter Druck, als Proteste das Land erschüttern. Während die Gewalt auf den Straßen Teherans eskaliert und die Töchter mit den Protestierenden sympatisieren, beginnt die Familie zu zerbrechen. Mohammad Rasoulofs in Cannes gefeierter Film ist packendes Familiendrama und Politthriller zugleich. Ein Film über die Angst vor dem Ungehorsam – und die Stärke sie zu überwinden.
Ein leerer Tisch in Großaufnahme. Acht Patronen im Tausch gegen eine Unterschrift. Iman (Missagh Zareh), Jurist am Gericht in Teheran, bekommt einen neuen Job und eine Dienstwaffe. Der strenggläubige Familienvater wird Untersuchungsrichter am Revolutionsgericht, die Waffe soll er tragen, um sich nötigenfalls verteidigen zu können. Doch noch muss Iman sich bewähren – in Form einer weiteren Unterschrift. Er soll das Todesurteil für einen politischen Häftling unterzeichnen.
Zuhause zieht Iman seine Frau Najmeh (Soheila Golestani), die ihn bedingungslos unterstützt, ins Vertrauen. Das Gewissen beider ist rasch beruhigt, denn Iman befolgt bloß die Anweisungen des Staatsanwalts. Außerdem winkt durch den politischen Aufstieg eine der begehrten großen Stadtwohnungen, in der die beiden Töchter, die bereits erwachsene Studentin Rezvan (Mahsa Rostami) und ihre jüngere Schwester Sana (Setareh Maleki), sich nicht mehr das Zimmer teilen müssten. Ihren Kindern verschweigen Iman und Najmeh die neue Arbeit des Vaters. Das sei zu gefährlich, denn bei den „Terroristen“ kursieren Namenslisten von das Regime unterstützenden Regierungsbeamten und ihren Familien. Außerdem stehen die Töchter auf der Seite der Protestbewegung. Doch eines Morgens ist Imans Waffe, Symbol seiner neuen Macht, aus der Schublade im Schlafzimmer verschwunden. Weshalb Iman seine Familie verdächtigt.
Bröckelndes Fundament
„Die Saat des heiligen Feigenbaums“ („Daneh Anjeer Moghadas“) von Mohammad Rasoulof wurde bei seiner Premiere in Cannes minutenlang bejubelt. Der Applaus galt dabei – wie so oft bei iranischen Filmen – natürlich auch den Umständen, unter denen dieser Film zustande kam. Viel wurde berichtet über Rasoulofs Flucht kurz vor der Uraufführung, die über ihn verhängte achtjährige Haftstrafe und die Repressalien gegenüber der im Iran gebliebenen Filmcrew. Und darüber dass es, wie bereits Dutzende Male zuvor bei iranischen Produktionen, gerade noch gelungen sei, eine Kopie außer Landes zu schmuggeln und den Film diesmal in Deutschland fertigzustellen – weshalb „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ auch als deutscher Beitrag im Oscar-Rennen um den besten internationalen Film antritt.
Fast drei Stunden nimmt sich Rasoulof Zeit für diese Geschichte über eine Familie, deren Fundament zunächst langsam zu bröckeln beginnt, bis ihr Zerfall immer schneller voranschreitet. Iman ist treuer Diener seiner Herren und verschließt die Augen vor der Realität, die für seine Töchter längst eine andere geworden ist. Ausgerechnet als Iman befördert wird, erschüttern die Proteste nach dem Tod von Mahsa Amini die Stadt. Immer öfter ist Iman nach Verhaftungen dazu angehalten, Todesurteile im Schnellverfahren abzusegnen, während die Töchter sogar heimlich eine Freundin bei sich verstecken, die bei den Protesten schwer verletzt wurde. Der Versuch Najmehs, viel zu lange mit dem Ehemann solidarisch, das familiäre Gefüge zusammenzuhalten, erweist sich zunehmend als unmöglich.
Labyrinthisches Ende
„Die Saat des heiligen Feigenbaums“ ist Familiendrama und Politthriller zugleich. Rasoulof erzählt hier wie dort vom Widerstand gegen ein patriarchales System, dessen autoritäre Macht zu schwinden droht und das jeweils mit Repression antwortet. Wobei Iman keineswegs als überzeugter Anhänger des Mullah-Regimes auftritt, sondern schlicht keine andere Wahrheit gelten lassen kann als jene, an die er sein Leben lang geglaubt hat.
Die blutige Niederschlagung der Proteste, von Rasoulof mittels realer Handyvideos in die Erzählung eingebaut, erfährt so ihre Entsprechung im familiären Rahmen. Doch der Widerstand der Töchter sieht hier anders aus – so wie das Labyrinth jener antiken und symbolträchtig zerstörten Stadt, in der Rasoulof seinen mitreißenden und kompromisslosen Film zu Ende gehen lässt. Dieses wiederum ist eindeutig und lässt zugleich vieles offen. Im Gegensatz zur Bedeutung des Filmtitels, der zu Beginn erklärt wird: Ausgerechnet der heilige Feigenbaum breitet sich aus, indem er andere Bäume „umschlingt und erwürgt“.
ab 27.12., TaSKino Feldkirch (OmU)