Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Silvia Thurner · 22. Sep 2012 · Musik

Wandern zwischen Glücksuche, Notwendigkeit und Flucht – Chor-Openair am Dornbirner Markplatz stieß auf großes Interesse und fand viel Zustimmung

Gesellschaftlich relevante Themen mit kreativen Mitteln so aufzubereiten, dass viele Menschen mitwirken können und viele damit angesprochen werden, ist ein wichtiges Anliegen von Ulrich Gabriel. Im Rahmen des Landesprojektes „Heimatabend oder wie fremd heimisch wird“ konzipierte er ein groß angelegtes Chorprojekt zum Thema „Wandern“. Hunderte SängerInnen aus fünfzehn Dornbirner Chören zeigten mit zahlreichen traditionellen Liedern unterschiedliche Aspekte des Wanderns auf. Präsentiert wurde die Performance am Dornbirner Marktplatz, musikalisch hervorragend betreut und dirigiert von Rudolf Berchtel und wirkungsvoll unterstützt von einer Band mit Musikern aus dem Jazzseminar Dornbirn. Vielschichtige Videoclips und Interviews lieferte der Regisseur Martin Gruber. Der optische Part lockerte den fast zu lang geratenen musikalischen Bogen gut auf und bereicherte die Performance mit fantasie-, respekt- und humorvoll Bereichen.

Im Chorprojekt „Wandern“ fasste Ulrich Gabriel weitgehend bekannte, deutsche Wanderlieder zusammen. In mehreren Abschnitten wurden die unterschiedlichen Beweggründe aufgezeigt, die Menschen in der Vergangenheit und Gegenwart veranlassten auf Wanderschaft zu gehen. Michaela Bilgeri moderierte den Abend mit treffenden Kommentaren und gab interessante historische und gesellschaftspolitische Informationen zu Wanderbewegungen von hier nach dort und von anderswo hierher.

Inhaltliche Stationen

Locker begann der Abend, das Naturerleben und der Gedanke daran, dass alles im Fluss ist, wurde musikalisch unterstrichen. Die Sehnsucht, in fernen Ländern das Glück zu finden oder der Zwang, im Ausland als Saisonsarbeiter das Nötigste zu verdienen, wurden musikalisch gedeutet. Im Mittelteil kamen weitere Aspekte des unfreiwilligen Wanderns wie Krieg und Flucht zur Sprache. Am meisten Emotion wurde dabei mit dem Schubertlied „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus“ erreicht. Auch die Zuwanderung hatte ihren Platz im Rahmen des Chor-Openairs. Stellvertretend für die Symbolik des Lebens als Wanderung auf Erden erklang das Lied „Wir sind nur Gast auf Erden“. Die Lieder „Es donklat ondro Bänka“ und „Müsle, gang ga schlofa“ des Dornbirner Komponisten Georg Hering-Marsal beendeten den Liederzyklus auf eine etwas seltsame Weise. Versinnbildlicht sollte wohl das Heimatbewusstsein werden.

Engagierte ChorsängerInnen, hervorragende Band

Die vielen ChorsängerInnen, u-förmig vor der Dornbirner Stadtpfarrkirche postiert, sangen engagiert und mit viel Elan, so dass der Inhalt unmittelbar erfahrbar war. Einen guten Kontakt zu den vielen Sängerinnen und Sängern hatte der musikalische Leiter Rudolf Berchtel, seine klare Diktion bewirkte in sich stimmige Lieddeutungen. Beeindruckend agierte die Band mit Bernhard Klas (sax), Charly Bonat (git.) Aydin Balli (saz), Herlinde Devich (Keyboard), Rolf Aberer (bass) und Didi Konzett (drums). Sie gestalteten die Arrangements (viele stammten von Rolf Aberer) energiegeladen und doch sensibel auf den Chorklang eingehend, und brachten mit ihrer Musizierart eine zusätzliche Farbe ein.

Aussagekräftige Videosequenzen

Martin Gruber und Martin Ojster vom Aktionstheater Ensembles gestalteten die Videos und Interviews, die über Leinwand projiziert wurden. Damit erweiterten sie den musikalischen Part wesentlich und deuteten ihn fantasievoll aus. Abstrahierte Landschaftsbilder und ungewöhnliche perspektivische Einstellungen sowie der Bahnhof als Sinnbild des Ankommens und Weggehens wurden im Videopart originell und ansprechend umgesetzt. Zahlreiche Bildsequenzen und Interviewbeiträge lockerten die Liedfolge auf und verdichteten sie abschnittweise. Am meisten berührte jene Passage, in der ein ehemaliger Kriegsteilnehmer sich an den Krieg erinnerte und für das Erlebte keine Worte fand. Allberdings waren die Übergänge zwischen den Video- und Musiksequenzen abschnittweise inhaltlich nicht optimal aufeinander abgestimmt.

Mehr Neues, weniger Tradition

Ingesamt hinterließ das groß angelegte Chorprojekt einen sehr engagierten und auch positiven Eindruck, wenngleich die Anzahl der Lieder die Performance in die Länge zog. Mich als Zuhörerin und Zuschauerin, interessierten auch die Reaktionen des Publikums auf die einzelnen Musiknummern. Eine besondere Wirkung verströmten der Reggae „Wo ist ein Arbeit“, das Moussa Cissokho solo sang und das türkische Volkslied „Uzun ince bir yoldayim“, getragen von einer langen Einleitung mit Aydin Balli an der Saz.

Die Wechsel zwischen den traditionellen Liedblöcken und den eher rhythmischen Songs waren gut proportioniert. Allerdings hätte Ulrich Gabriel sowohl den Mitwirkenden als auch dem Publikum mehr zumuten können. Die zusammengestellten Lieder wirkten zwar vielfältig im Bemühen um deren Inhalte, aber doch etwas harmlos und brav im Wirkzusammenhang.

Folgeaufführung, Samstag, 22.9.2012, Markplatz Dornbirn, 20:30 Uhr