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Michael Löbl · 26. Aug 2022 · Musik

Vier Jahrzehnte mit Schubert

Der Komponist Peter Iljitsch Tschaikowsky steht eigentlich nicht auf der Top-Ten-Liste der Schubertiade. Fehl am Platz ist er aber ganz und gar nicht. In seinem Zyklus "Die Jahreszeiten" zeigt er sich als Meister der kleinen Form und einer schlichten Klangsprache. Diese Musik kann man durchaus so spielen wie Schubert. So geschehen am Mittwoch beim Klavierabend von Christian Zacharias.

Tschaikowsky stand vor der Pause auf dem Programm, im zweiten Teil
kam dann selbstverständlich Franz Schubert zu Wort, neben W.A. Mozart
wahrscheinlich der wichtigste Komponist in der Karriere des mittlerweile
72-jährigen Pianisten. Es gibt ein wunderbares Video im Internet, ein
Vortrag aufgenommen in der Londoner Wigmore Hall, in dem Christian
Zacharias versucht, dem Geheimnis von Schuberts Harmonien auf die
Spur zu kommen. Man erkennt, wie intensiv sich der Pianist mit diesem
Komponisten beschäftigt hat, wie tief er in seine Musik eingedrungen ist.
Und das bereits seit mehr als vierzig Jahren, denn bereits 1977 wurde er
für eine Schubert-Einspielung mit dem renommierten Preis der Deutschen
Schallplattenkritik ausgezeichnet. Damals waren Schuberts Klaviersonaten
noch lange nicht im Standardrepertoire der Pianisten angekommen und
man kann es Persönlichkeiten wie Alfred Brendel oder eben Christian
Zacharias nicht hoch genug anrechnen, sich für diese Meisterwerke
eingesetzt zu haben.

Souveräne Gestaltung

Wie wohl sich Christian Zacharias bei dieser Musik fühlt, wie sensibel und
gleichzeitig souverän er gestaltet, zeigt sich beim Hauptwerk des Abends,
Schuberts grosser Sonate in G-Dur D 894. Der erste Satz - in der
Erstausgabe noch "Fantasie" genannt - kann leicht in seine vielen
Einzelteile zerfallen, im Andante droht das Metrum manchmal stehen zu
bleiben. Das Menuett verlangt endlich nach pianistischem Zugriff und das
Finale könnte mit seiner scheinbar virtuosen Fröhlichkeit die Melancholie
der ersten Sätze übermalen. Zacharias umschifft all diese Hürden mit
überlegener Gelassenheit, überblickt vom ersten Takt an das große,
nämlich 40 Minuten lange, Ganze. Das Publikum bedankt sich stehend für
diese Interpretation.

Musikalische Monatsportraits

Die vier Jahreszeiten haben Künstler immer schon beschäftigt, sie waren
und sind Thema in der bildenden Kunst, der Lyrik aber auch in der Musik.
Vertonungen der Jahreszeiten gibt es u.a. von Haydn, Verdi und vor allem
natürlich von Antonio Vivaldi, seine Version ist immer noch unerreicht in
der plastischen Darstellung musikalischer Bilder. P.I.Tschaikowskys
Jahreszeiten waren ein Auftrag eines Musikverlages, dessen Herausgeber
für jeden der zwölf Monate ein dazu passendes Stück für eine
Musikzeitschrift bei Tschaikowsky bestellte. Einzelne Stücke sind durchaus
bekannt, die Barcarole (Juni) oder die Troikafahrt (November), letztere
war übrigens eines der Lieblings-Zugabenstücke in Konzerten von Sergei
Rachmaninoff. Als gesamter Zyklus sind die Jahreszeiten selten zu hören,
die musikalische Textur der einzelnen Stücke ist eher einfach, der Pianist
muss da viel eigenes dazugeben um die verschiedenen Monate zum
klingen zu bringen.
Christian Zacharias vermeidet falsches russisches Pathos, nimmt sich eher
zurück und rückt Tschaikowsky immer wieder klanglich in Schubert-Nähe.
Den mehrheitlich verhaltenen, lyrischen Teilen gibt das einen abgeklärten
matten Glanz, manchmal - zum Beispiel in den Sätzen Juli oder
September - hätte man sich allerdings etwas mehr große Virtuosen-
Pranke gewünscht.

Vor- statt Zugabe

Vermutlich einmalig in einem Konzert war die originelle Platzierung der
Zugaben. Da Christian Zacharias nach Schubert eigentlich nichts mehr
spielen will, machte er das mit einem Chopin-Walzer bereits nach dem
ersten Teil. Die zweite nicht "Zu"- sondern "Vorgabe", kurze Variationen
von Beethoven, leitete dann die zweite Konzerthälfte ein und bildete einen
bruchlosen Übergang zum Beginn von Schuberts G-Dur Sonate.

www.schubertiade.at