Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Fritz Jurmann · 30. Jun 2020 · Musik

„Verrückte Idee“ nimmt Gestalt an – „Festtage“ als künstlerisches Lebenszeichen der abgesagten Festspiele

Einen Tag, nachdem die Stadt Bregenz ihr sommerliches Kulturprogramm präsentiert hatte, gingen am Dienstag auch die Bregenzer Festspiele mit ihren ganz anders gearteten „Festtagen im Festspielhaus“ an die Öffentlichkeit. Die Festspiele wollen nach der offiziellen Absage des heurigen Festivalsommers mit einem bereits zu 80 Prozent ausverkauften „Rigoletto“ am See als Zentrum laut Intendantin Elisabeth Sobotka mit diesem Programm bewusst ein starkes „künstlerisches Lebenszeichen“ setzen.

Innerhalb von sechs Wochen ist es gelungen, in einem Kraftakt, der alles Verfügbare im Festspielhaus gebündelt hat, für den Zeitraum vom 15. bis 22. August ein dichtes Programm aus Orchesterkonzerten, Kammerkonzerten, Lieder- und Arienabenden sowie der Uraufführung eines notfallbedingt gekürzten Musiktheaters auf die Beine zu stellen. Jedes für sich und alle zusammen ergeben von ihrer Wertigkeit, Attraktivität und der künstlerischen Kompetenz her durchaus so etwas wie eine Woche Bregenzer Festspiele im Miniformat, auch wenn dies nicht unbedingt als solches geplant war.

Eine „Festspielfamilie“

Was dieses kleine Festival in Coronazeiten verbindet und besonders macht, sind auch seine Künstler, die Solisten und Ensembles, die fast alle hier schon mitgewirkt haben oder mitwirken sollten, die somit eine Art „Festspielfamilie“ bilden und sich dadurch auch besonders darin verbunden fühlten, Bregenz nun durch ihr rasches Einspringen aus der Patsche zu retten. „Sie helfen uns in dieser schwierigen Situation weiter, die uns mitten ins Herz getroffen hat“, wie Sobotka dankbar betonte.
An einen „schweren Moment“ erinnerte sich Festspielpräsident Hans-Peter Metzler zurück, als die Entscheidung für die endgültige Absage fiel, die man künstlerisch, emotional und wirtschaftlich zu verkraften hatte. Man war sich im Team sofort einig, in dieser Situation das Beste daraus zu machen und optimistisch in die Zukunft zu blicken. Man vertraute dabei auch auf die Tatsache, dass man die Bedeutung von Dingen erst dann spüre, wenn sie einem fehlen. Und Sobotka pflichtet bei: „Wir haben zunächst einmal erst richtig gespürt, wie wichtig das ist, was wir machen. Der See mit seinem Alleinstellungsmerkmal für 7.000 Besucher war unter den neuen Coronavorgaben mit maximal tausend Personen nicht machbar, das funktioniert auch künstlerisch nicht, nicht nur wirtschaftlich.“
In dieser Situation hat man sehr viel Verständnis und Solidarität von Besuchern in aller Welt erfahren. Das hieß aber auch, die rund 180.000 bereits verkauften Tickets für „Rigoletto“ wieder neu aufzurollen. Rund 50 Prozent davon wurden von den Besuchern auf einen neuen Termin im kommenden Jahr umgebucht, womit für das nächste Jahr bereits 100.000 Tickets verkauft sind, andere ließen sich das Geld zurückzahlen, ganz Spendable haben ihr Eintrittsgeld den Festspielen geschenkt. Das reißt, so Metzler, natürlich alles auch ein großes Loch ins Budget. Jedenfalls stehen die Geldgeber Bund, Land und Stadt auch in Krisenzeiten zu den Festspielen und zahlen die vereinbarten Subventionen, die ohnedies großteils für den Betrieb aufgehen, auch bei Entfall des Festivals, aus.

„Alles wieder gut“?

Sobotka ist auch wichtig, dass diese Festtage inhaltlich kein bloßes Allerweltprogramm bieten, sondern wo möglich durchaus auf die besondere Situation eingehen. Dies geschieht schon beim Eröffnungsabend mit der hier überaus beliebten Tiroler Truppe „Franui“, die für 2020 eigentlich vorgesehen war und nun für diesen besonderen Auftritt zusammen mit Bassbariton Christian Boesch ein neues Programm mit dem Titel „Alles wieder gut“ gestrickt hat. Sobotka möchte dieses Motto derzeit noch mit einem wohl berechtigen Fragezeichen versehen wissen.
In einer Matinee präsentiert sich das Symphonieorchester Vorarlberg, seit Jahrzehnten neben den Wiener Symphonikern das andere Festspielorchester in verschiedensten Aufgaben. Diesmal wird es erstmals geleitet vom bekannten italienischen See-Dirigenten Enrique Mazzola, Solistin ist die Top-Besetzung der Gilda vom See, die französische Sopranistin Mélissa Petit. Hauptwerk ist die 7. Symphonie von Jahresregent Ludwig van Beethoven, die gemeinhin als „Apotheose des Tanzes“ gilt und damit ein deutliches Lebenszeichen bedeutet.

Verdi, Markovics und Frühbarock

Das Programm setzt sich fort mit einem Verdi-Arienabend mit der Sopranistin Anna Princeva und einer Besetzung des Sinfonieorchesters St. Gallen, wieder unter Enrique Mazzola. Zwei Abende der beliebten Reihe „Musik & Poesie“ im Seestudio bringen die Wiederbegegnung mit Schauspieler Karl Markovics, der bissig-satirische Texte von Karl Kraus liest, begleitet von den Neuen Wiener Concert Schrammeln, und einen Liederabend mit Anna El-Khashem, Sopran, und Johannes Kammler, Bariton, mit Liedern und Duetten von Hugo Wolf und Richard Strauss. In einem Konzert im KUB spannt das Ensemble „The Present“ um die aus Mozarts „Zauberflöte“ am See als Papagena unvergessenen Sopranistin Hanna Herfurtner einen Bogen vom italienischen Frühbarock bis zur Gegenwart, unter dem viel versprechenden Motto „Vocal Distancing – Jetzt Live!“
Zum musiktheatralischen Paukenschlag dürfte schließlich die zweimal gegebene Musiktheaterproduktion „Impresario Dotcom“ der Komponistin Ľubica Čekovská werden. Das auf Goldonis „Opéra buffa“ beruhende Werk in einer modernisierten Version durch die Regisseurin Elisabeth Stöppler war eigentlich für den abgesagten Festspielsommer als Uraufführung vorgesehen. Nun wird eine den speziellen Erfordernissen angepasste adaptierte Version gezeigt, die die aktuelle Situation nicht unkommentiert lässt. Nähere Details zu diesem Werk finden sich in einem Beitrag von Silvia Thurner in der aktuellen Print-Ausgabe Juli-August der KULTURzeitschrift (S. 10/12).

Philippe Jordan nimmt Abschied

Das Finale ist dem Orchestra in Residenz der ersten Stunde vorbehalten, den Wiener Symphonikern, die damit entgegen den ersten Erwartungen heuer doch noch an den Bodensee reisen. Das Besondere: Zum letzten Mal, bevor er seine neue Position als GMD der Wiener Staatsoper antritt, steht mit Philippe Jordan der scheidende Chefdirigent des Orchesters in Bregenz am Pult, wo er seit fünf Jahren seinen Symphonikern mit unvergessenen Konzerten ein deutliches Profil gegeben hat. Populäres von Richard Strauss wird den Abschied schwermachen, seine Tondichtungen „Don Juan“ und „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ sowie die Suite aus seiner Oper „Der Rosenkavalier“.
Auch unter den gelten Coronabedingungen ist eine so große Orchesterbesetzung, wie sie Richard Strauss verlangt, wieder möglich, wie der Technische Direktor Wolfgang Urstadt erläuterte. Er ist im Team für die Einhaltung dieser Vorgaben zuständig. Dagegen gelten für das Publikum in Absprache mit den Behörden nach wie vor verschärfte Auflagen. So dürfen im großen Haus wegen des geltenden Mindestabstands nur die Hälfte der 1.600 Plätze besetzt werden, aufgesplittet in einer Art Schachbrettmuster. Masken müssen von den Besuchern bei Eintritt und Verlassen des Hauses, nicht aber während des Konzertes getragen werden. Das erlaubte Platzangebot der acht Konzerte umfasst ca. 6.500 Besucher, das tatsächliche beträgt das Drei- bis Vierfache davon.                     

Der Kartenvorverkauf für die Festtage im Festspielhaus beginnt am 6. Juli.