Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Silvia Thurner · 07. Nov 2016 · Musik

Texte, Töne, Hörspiele und Gespräche – Der künstlerische Austausch mit vielen Mitwirkenden im gut besuchten ORF Funkhaus in Dornbirn war ein voller Erfolg

Bereits zum vierten Mal hat der ORF Dornbirn ins Funkhaus geladen, um die zeitgenössische Musik und Literatur hoch leben zu lassen. Das Festival „Texte und Töne“ war hochkarätig besetzt, unter anderem musizierten das Symphonieorchester Vorarlberg unter der Leitung von Scott Voyles sowie das „ensemble plus“, das Trio „Grenzklang“ und das Ensemble „Vorarlpercussion“. Die Sopranistin Ildiko Raimondi sowie der Geiger Alexander Janiczek, die Jazzsängerin Filippa Gojo, der Bariton Johannes Schwendinger sowie der Flötist Martin Bürgermeister bereicherten als Solisten das vielfältig zusammengestellte Programm. Spartenübergreifend wurden Beziehungen zwischen der Musik und Literatur und zum Hörspiel geknüpft. Einen sympathischen Charakter erhielt das Festival im ORF Funkhaus durch die eigens eingerichtete Lounge, die zur Begegnung und zu Gesprächen einlud.

„Texte und Töne“ war bereits in den vergangenen Jahren ein Fixpunkt für Menschen, die sich für das gegenwärtige musikalische Schaffen und die Literatur des Landes interessieren. Doch in diesem Jahr herrschte im Funkhaus in Dornbirn eine besonders dichte Atmosphäre. Das Festival war auch ein Wechselbad der Gefühle. Auf der einen Seite wurde mit sieben Uraufführungen viel Neues geboten und das 20 Jahr-Jubiläum des „ensemble plus“ gefeiert. Auf der anderen Seite trauerten alle gemeinsam um den Flötisten Eugen Bertel, der am Vormittag des ersten Festivaltages zu Grabe getragen worden war. Für den Verstorbenen komponierte Flötenparts und ihm gewidmete Werkdeutungen stellten den Kollegen und Freund noch einmal in den Mittelpunkt.

Spartenübergreifend und stilistisch breit gefächert

Das Niveau der erstmals vorgestellten Kompositionen war durchwegs sehr hoch. Spannend war überdies die stilistische Bandbreite der einzelnen Werke, die an beiden Festivaltagen nie Langeweile aufkommen ließ. Bemerkenswert gut gelungen ist bei dieser Ausgabe der „Texte und Töne“ auch die Verquickung zwischen Literatur und Musik. Gleich zu Beginn offerierte Murat Üstün das Werk „es sei so...“, das auf der Textvorlage „Das Tochter gewordene Kind“ von Muhammet Ali Bas beruht. Zentral im Text, der an ein orientalisches Märchen erinnerte, als auch in der Musik von Murat Üstün war das Ansinnen, die Gottesmutter Maria als Denkmal gegen das christliche Patriarchat zu positionieren. Unter anderem setzte Murat Üstün dazu eine Harfe in den Mittelpunkt, die indirekt über den Hornklang zum Klingen gebracht wurde. Raphael Leone (Flöte), Marcel Üstün (Horn), Aydin Balli (Saz, Ud und Kürbisgeige) sowie Murat Üstün am präparierten Klavier interpretierten das farbenreiche Werk auf hervorragendem Niveau.

Natur und Umwelt

Mit Spannung wurde die Uraufführung des neuesten Werkes „Pastorale“ erwartet, das Michael Floredo im Auftrag des Symphonieorchesters Vorarlberg komponiert hat. In Wellenbewegungen entfalteten die Musiker unterschiedliche emotionale Zustandsfelder, die zwischen Ruhe und sich aufbäumenden Klangballungen changierten. Ständig wurden unterschiedliche musikalische Kräfte und Gegenkräfte ausgelotet. Spezifisch eingesetzte Intervalle bildeten die Grundlage für die musikalischen Spannungen und Beruhigungen, die unterstrichen wurden vom farbenreichen Instrumentarium. Neben einem gewichtigen Klavierpart sowie zwei Perkussionisten bildeten die Streicher, Blech- sowie Holzbläser charakteristische Passagen aus, die einesteils für das wohlige Naturempfinden standen, andernteils mit Brachialgewalt das idyllische Szenario bedrohten. Die Komposition entwickelte sich anfangs beziehungsreich, allerdings hielt die Spannung durch einige, in der Aussagekraft allzu ähnlich gestaltete Passagen, nicht bis zum Schluss.

Menschenrechte

Die Erklärung der Menschrechte legte David Helbock seinem neuesten Werk zugrunde. Die „Suite der Menschenrechte“ komponierte er für die Jazzsängerin Filippa Gojo, einen wesentlichen Part spielte auch der Multiinstrumentalist Johannes Bär mit Tuba, Didgeridoo und Alphorn. Fünfteilig ist die mitteilsame Suite angelegt, die zuerst von einer großen perkussiven Schubkraft lebte. Luft-, Klappen- und Papiergeräusche verliehen dem zweiten Teil einen filigranen Charakter, bevor die Instrumentfarben und der melodische Duktus den musikalischen Blick über die Alpen bis nach Lateinamerika lenkten. Filippa Gojo füllte den Gesangspart mit ihrer großen Bühnenpräsenz zwischen geballter Kraft und klangsinnlicher Melancholie voll aus. Aufhorchen ließ überdies das herausragende Fagottsolo von Mathew Smith.

Musikalische Zeitwahrnehmung

Gerald Futschers Komposition „un etat furtif“ lag eine für die Musik essentielle Frage zugrunde: Welche Gedächtnisleistung liegt dem inneren Zeitbewusstsein bei der Rezeption von Musik zugrunde? Vielschichtig und feinsinnig stellte Futscher Beziehungslinien zwischen dem Jetzt und dem unmittelbar Vergangenen her. Impulse setzte der Klavierpart, auf den die Musiker reagierten und die Töne weiter trugen. Schwebungen und Tonkonstellationen, die vorher im Zusammenklang als gleichzeitige Ereignisse wirkten, wurden teils mikrotonal entfaltet und auch kontrapunktisch verwoben. So entwickelte sich die Musik vielgestaltig und transparent.

Musikalisch textdeutend

Wolfgang W. Lindner komponierte die „Kammermusik für Bariton, Flöte, Perkussion und Streichquintett“ über drei Gedichte von Hilde Domin. Dabei gewährte er dem Text und der Singstimme viel Entfaltungsraum, während der Instrumentalpart als textdeutende und emotionale Grundlage diente. Der Bariton Johannes Schwendinger gestaltete die Gesangslinie intensiv und textdeutlich aus, sodass sich ein beziehungsreicher Austausch mit dem Kammerensemble einstellte.

Dicht gesetzt und mitteilsam

Im Reigen der Uraufführungen ließ auch das dicht gesetzte Werk „Blurring definitions“ von John Palmer aufhorchen. In einer Art Triptychon stellte er einen dialektisch sich durchdringenden musikalischen Prozess dar. Themen setzten sich allmählich zusammen, die korrespondierenden Glieder und die Conclusio im Tutti ergaben eine große Sogkraft im äußerst dichten musikalischen Gefüge.

Freundschaftlich verbunden ist das „ensemble plus“ mit dem russischen Komponisten Iuril Gontsov, der in Astrachan in Russland ein viel beachtetes Festival für neue Musik kuratiert. Auf seine Einladung gastierte das „ensemble plus“ im vergangenen Jahr in Russland, nun unternahm Iuril Gontsov seine erste Reise außerhalb Russlands und brachte auch sein neuestes Werk namens „Duo“ mit nach Dornbirn. Darin korrespondierten die Viola (Andreas Ticozzi) und der Klavierpart (Yukie Togashi) in impulsiven Gesten und lyrischen Passagen anregend miteinander.

Virtuoses Driften

„Texte und Töne“ lebte von weiteren interessanten Werkdeutungen. Besonders in Erinnerung blieb das Werk „Mahagony“ für Violine und Streichorchester der russischen Komponistin Alexandra Karastoyanova-Hermentin. Darin agierten die Streicher des SOV allesamt als Solisten. Sie entfalteten ein driftendes Klangkontinuum, das durch Beschleunigungen, Aufspreizungen und Bewegungsimpulse, aber auch mit stehenden Klängen die Zuhörenden in seinen Bann zogen. Den Solopart spielte Alexander Janiczek mit bewundernswerter Ruhe und technischer Brillanz.

Musikdramatischer Liederzyklus

Die Sopranistin Ildiko Raimondi gestaltete den Solopart in Helmut Schmidingers Liederzyklus „...und mich nach ihm zu Tode sehnend“. Diesem Werk liegt der einseitig überlieferte Briefwechsel zwischen Gustav Mahler und seiner Geliebten Anna von Mildenburg zugrunde. Die Resonanz, die Mahlers Briefe bei der Geliebten auslösten, setzte Helmut Schmidinger in Musik. Dass es sich um eine anstrengende Beziehung gehandelt haben muss, brachte die griffig gesetzte Musik zum Ausdruck. Ildiko Raimondi verlieh den Textpassagen dramatische Züge und kristallisierte die großen Emotionen wirkungsvoll heraus.
Die Ensembles „Vorarlpercussion“ und „Grenzklang“ bereicherten mit ihren Werkdeutungen von André Jolivet und Wladimir Rossinskij das Festival. 

Literatur und Hörspiel

Ergänzt wurde das musikalische Programm mit Lesungen von Daniela Egger und einem „Live-Hörspiel“ von Hans Platzgumer. Er las aus seinem Buch „Am Rand“ und stellte mit seinem Beitrag einen schönen Bezug zum Werk von Muhammet Ali Bas und Murat Üstün her. Kurzhörspiele von Deborah Macauley, Theresia Moosbrugger und Felix Kalaivanan fügten den „Texten und Tönen“ weitere künstlerische Aspekte hinzu.

Hohes Niveau

Beeindruckend war das hohe Niveau aller lierarischen und musikalischen Beiträge. Die zahlreichen Musikerinnen und Musiker, geleitet von Scott Voyles, Wladimir Rossinskij, Wolfgang Lindner und Gerald Futscher, spielten die vielschichtigen Kompositionen, die alle extra für dieses Ereignis einstudiert worden sind, musikalisch souverän, mit viel Einsatz und Energie. Das gegenseitige Einverständnis und die freundschaftliche Selbstverständlichkeit, mit der alle beteiligten Musikerinnen und Musiker zueinander in einen künstlerischen und menschlichen Austausch traten, zeichnete „Texte und Töne“ in diesem Jahr besonders aus. Als Moderatorinnen sorgten Jasmin Ölz und Bettina Barnay für geistreiche Unterhaltungen, die ein sympathisches und persönliches Ambiente schufen.