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Silvia Thurner · 07. Aug 2018 · Musik

Text und Musik als Geschwisterkünste erlebbar gemacht – Beim dritten Orchesterkonzert der Bregenzer Festspiele zog eine mitreißende musikalische Aussagekraft das Publikum in ihren Bann

Ein Ereignis, das in mehrerlei Hinsicht Superlative verdient, stellte das dritte Orchesterkonzert bei den Bregenzer Festspielen dar. Auf dem Programm standen zwei groß angelegte Symphonien, die einen enormen Eindruck hinterließen. Zuerst boten die Wiener Symphoniker und der Bariton Benjamin Appl die österreichische Erstaufführung des imposanten Werkes „Alle Tage“ von Thomas Larcher. Die beziehungsreich komponierte Musik und der riesige Orchesterapparat sowie die Texte von Ingeborg Bachmann ermöglichten ein tiefgreifendes musikalisches Erlebnis. Ergänzend dazu erklang Beethovens Fünfte in einer bemerkenswerten Deutung. Karina Canellakis am Pult leitete die Musikerinnen und Musiker mit einer Energie geladenen und körperbetonten Ausdruckskraft, die ihresgleichen sucht.

Mit der Symphonie für Bariton und großes Orchester „Alle Tage“, nach Texten von Ingeborg Bachmann, ermöglichten die Bregenzer Festspiele eine Begegnung mit dem Musikschaffen unserer Zeit. Gleichzeitig offenbarte die Werkdeutung auch eine politische Relevanz, denn Ingeborg Bachmanns Texte aus dem Jahr 1953 sind beklemmend aktuell. In vier Sätzen vertonte der Tiroler Komponist drei Gedichte aus Bachmanns Zyklus „Anrufung des Großen Bären“ sowie das titelgebende Gedicht „Alle Tage“ aus dem Zyklus „Die gestundete Zeit“.

Geistreich zurückhaltend instrumentiert

Die Musik setzte Thomas Larcher für ein sehr großes Orchester mit vierfach besetzten Holzbläsern, sechs Hörner, vier Trompeten und Posaunen, Schlagwerk, Pauken, Akkordeon, Celesta, präpariertes Klavier, Harfe und Streicher. Dem Komponisten standen somit unzählige klangfarbliche Konstellationen, Nuancierungen und Schattierungen zur Verfügung. Bewundernswert war vor allem die Art, wie Thomas Larcher diese breite Palette an Möglichkeiten auslotete. Nie erlag er der Versuchung, lärmend aus dem Vollen zu schöpfen. Vielmehr instrumentierte er mit großer Zurückhaltung und bezog genau aus den gut durchdachten Themengestalten und der Werkanlage eine mitreißende musikalische Aussagekraft.

Bereits im ersten Satz zum Gedicht „Anrufung des großen Bären“ kam Larchers sensible musikalische Textdeutung zur Geltung. Er verlieh den Inhalten des Textes Raum, wies auf den emotionalen Gehalt hin und zeichnete mit plastischen musikalischen Gesten die Symbolik nach. Vielgestaltig kam dabei auch in der Musik die Naturmetaphorik zum Ausdruck. Ebenso sensibel gestaltet wirkte der Gesang nach dem Text von „Mein Vogel“. Die Sehnsucht nach Liebe und Leidenschaft sowie die Metaphern der Eule und des Feuers wurden in einem gut nachvollziehbaren musikalischen Fluss dargestellt. Im Lied „Heimweg“ nahm die immanente Spannung durch die musikalische Symbolik zu.

Nicht ganz hoffnungslos

In zwei dazwischen geschalteten Instrumentalsätzen zielte Larcher zum Finale hin. Insbesondere diese beiden Abschnitte boten Reflexionsflächen, in denen die kompositorische Meisterschaft voll zum Tragen kam. Über einem im Pianissimo erklingenden Liegeton und symbolträchtigen Klopfgeräuschen entwickelte sich eine brodelnde Fläche, die in imposanten Klangtürmen kulminierte. In feinsinnig nuancierten Tonqualitäten wurden musikalische Landschaften entfaltet, die alle Schattierungen von samtweichen bis hin zu grellen Klängen beinhaltete. Nie entstand der Eindruck einer illustrativen Oberflächlichkeit oder eines bunten musikalischen Expressionismus. Im Finale mit dem von Benjamin Appl rezitativisch vorgetragenen Text war die Beklemmung fast körperlich spürbar. Nicht ganz hoffnungslos endete das konzentrierte musikalische Erleben nach fünfundvierzig Minuten.

Thomas Larcher stellte an die ausführenden Musikerinnen und Musiker enorme Ansprüche. Allein der große Orchesterapparat und die fein ziselierte motivische Ausformung über große Distanz hinweg stellte eine enorme Herausforderung dar. Umso mehr Bewunderung verdienen die hervorragend und geistesgegenwärtig agierenden Wiener Symphoniker. Auf die Dirigentin am Pult, Karina Canellakis, konnten sich alle voll und bis ins Detail verlassen, denn sie leitete das Orchester mit bewundernswerter Stringenz und Deutlichkeit. Benjamin Appl sang die Texte mit poesievollem Ausdruck und brachte die vielfältigen emotionalen Schichten gut zur Geltung.

Beethoven, wie man ihn nicht alle Tage hört

Der Übergang zu Beethovens Symphonie Nr. 5 fiel mir als Zuhörerin nicht leicht. Und auch die Orchestermusikerinnen und –musiker benötigten eine Zeit der „Umorientierung“. So wirkte der Beginn des Eröffnungssatzes eher undifferenziert und in der Harmonik etwas wenig gewichtet. Doch Karina Canellakis hatte sehr rasch wieder alle auf Schiene. Ihre elegante, tänzerische Darstellungskraft und zugleich ihre temperamentvolle Gestik waren die besten Voraussetzungen für eine Beethoveninterpretation, wie man sie nicht alle Tage hört. So wurden beispielsweise die von Beethoven sehr bewusst mitkomponierten dynamischen Kontraste in plastischen Verläufen geführt. Auch die rhythmische Kraft einzelner Motive kristallisierte das Orchester leidenschaftlich heraus und modellierte diese zu immer neuen Themengestalten. Den quirligen Tempi, die Karina Canellakis einforderte, konnten die Orchestermusiker abschnittsweise kaum folgen. Doch als Ganzes betrachtet war es dadurch möglich, Beethoven aus einer anderen Perspektive zu hören. So faszinierte auch diese Werkdeutung und regte überdies zum Weiterdenken an.