Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Peter Bader · 01. Nov 2012 · Musik

Stephanie Nilles: Piano-Solistin wider Erwarten

Wirbelsturm „Sandy“ sorgte dafür, dass Stephanie Nilles am Mittwochabend im Rahmen der Jazz&-Reihe im Spielboden wider Erwarten als Solo-Künstlerin auftrat.

Peter Füßl erklärte in seinen einleitenden Worten, dass der Bassist und der Drummer des  angekündigten Trios es wegen des Hurrikans „Sandy“ nicht mehr aus New York herausgeschafft hätten. Nilles sei am Vortag aus Chicago angereist. Nun sei auch Chicago gesperrt. Es freue ihn ungemein, dass die begnadete Solo-Performerin ihren ersten Österreich-Auftritt im Spielboden absolviere. Im Gepäck habe sie die gleichnamige CD zur Tour: „Fuck off, Grizzly Bear“.

Stephanie Nills ist in Europa noch ein Insider-Tipp, wohl deshalb war der Spielboden mäßig besucht. Schade! Denn Nilles Kunst als Solo-Performerin ist beachtenswert. Ihr Können reichte vollkommen aus, um als Piano-Solistin den Abend alleine zu tragen. Ihre künstlerischen Fähigkeiten wurden deshalb auch  mit entsprechend begeistertem Applaus bedacht.

Die zwei intensiven Sets waren kurzweilig, nicht zuletzt durch die witzigen Kommentare der Künstlerin in ihrer Moderation.

In der Presseaussendung wird Nilles als eine der „fesselndsten Jazzpiano  /  Loungepunk-Künstlerinnen seit Tom Waits bezeichnet. Das mag sein. Nilles Jazzpiano-Skills beschränkten sich an diesem Abend aber auf einen Stil, der seine Inspiration zu einem Großteil aus den Techniken des Stride-Pianos und der Blues- und Gospel-Harmonik, -Melodik sowie -Rhythmik bezog. Das ist durchaus genug, um einen Abend alleine zu stemmen. Walking Bass Lines, wirklich spannende, erweiterte Jazz-Harmonien oder (virtuose) Jazzpiano-Soli, eine Selbstverständlichkeit im technischen Repertoire eines jeden (modernen) Jazzpianisten, hörte man im Spielboden am Mittwochabend aber nicht. Dies hat mit Sicherheit geschmackliche Gründe. Die versierte, klassisch ausgebildete Pianistin Nilles wählt offenbar ganz bewusst aus, was sie für ihre Kompositionen brauchen kann. Und da liegt es im Hinblick auf die musikalische Ausdeutung ihrer oft satirischen, schrägen Texte wohl näher, sich eher beim verschrobenen Humor eines Jazzpianisten wie Thelonious Monk zu bedienen als bei der ästhetischen Klavierkunst eines Keith Jarrett. Wobei gesagt sein muss, dass natürlich auch spieltechnisch virtuose und sehr schöne Passagen an diesem Abend zu hören waren. Etwa bei  „Break your neck“ oder „Caution band“.

Monk, Waits, Newman

So war Nilles Klavierspiel oft ähnlich "unartig" wie so mancher der Texte, die sie sang. Auffallend war etwa eine gewisse, an Monk gemahnende Neigung zur Skurrilität im Solospiel. Wenn eine an sich hübsche Linie durch einen „Clash“, eine unerwartete Sekundreibung, bewusst gestört wurde, oder ein Solo durch ein paar „Outside“-Töne einen schrägen Touch bekam. Auch eine gewisse lässige „Schlampigkeit“ im Solospiel - das ist schwierig! - erschien etwas „monkish“.

Auffallend war auch Nilles oft harter Anschlag. Stichwörter: wuchtige Bässe, Akkordspiel! Sanfter war ihr Spiel im Woody Guthrie-Song „Deportees“. Ganz offensichtlich war auch, dass Größen wie Tom Waits und Randy Newman in ihrem Singersongwriter-Dasein eine wichtige Rolle spielen. Konzeptionell für das Programm schien auch eine gewisse Ausgewogenheit zwischen schnellen und langsamen Titeln zu sein.

Brechung des Klischees

Wurde oben von gängigen Harmoniefolgen als Grundlage ihrer Songs gesprochen, so muss doch auch festgehalten werden, dass hierbei eine Vermutung naheliegt: Nilles verwendet harmonische Klischees wohl auch, um sie durch die Texte zu ironisieren. Zu brechen. Dies war aber auch bei Fremdmaterial, etwa bei der Nellie McKay-Nummer „I wanna get married“ zu beobachten; eine Nummer, in der eine Art Doris Day-Filmrollen-Attitüde persifliert wird. Das Solo mutete skurril an und über das zuckersüße, mit entsprechendem Gestus dargebotene Outro schmunzelte die Künstlerin selbst.

Performance

Die 29-jährige US-Amerikanerin Nilles zeigte sich bei ihrem ersten Österreich-Auftritt als äußerst professionelle und selbstsichere Performerin. Kein Wunder, kennt sie das Musik-Business, nach eigenen Angaben, seit ihrem fünften Lebensjahr. Ihre Songs bot sie leidenschaftlich dar, mit viel Sinn für Dynamik. Bewundernswert war ihre Fähigkeit, sich (komplex) zu begleiten und gleichzeitig zu singen. Dies etwa beim schon erwähnten,  durch die Führung der fingerfertigen Piano-Figur auch in Terzen, etwas „klassisch“ anmutenden Titel „Break your neck“. Es schien fast übermenschlich, wie die Künstlerin in diesem Tempo so viele Worte unterbringen konnte. Absolut kein „lazy mouth“!

Ihre gut klingende Altstimme setzte Nilles gefühlvoll ein und gab ihr an manchen Stellen einen etwas rauchigen, rauen, verruchten Klang. Ihr markantes Vibrato, das sie vor allem am Ende von Gesangsphrasen erklingen ließ, wirkte etwas retrospektiv und erinnerte an Jazz-Vokalistinnen älterer Jazz-Epochen.

Unzweideutig, explizit

Vor der zweiten Zugabe, Jerry Roll Mortons „Winin´ boy blues“, fragte die Sängerin, wie es  hier mit der Obszönität stehe, denn der folgende Song sei sehr explizit. Das aufgeschlossene Publikum quittierte die derben Ausführungen des Texts mit viel Applaus.