Die Wiener Noise-Rocker Bulbul sind als Band live bei einer Liquid Loft-Produktion beim tanz ist Festival dabei (Foto: Stefan Hauer)
Thorsten Bayer · 23. Feb 2012 · Musik

Schnörkellos und intensiv: François and the Atlas Mountains im Palace St. Gallen

Eine mitreißende Vorstellung bot François Marry mit seiner Band in St. Gallen. Zwar zeigte der Kalender Aschermittwoch an, die Show der französisch-britischen Gruppe war aber alles andere als ernüchternd. Im Gegenteil: Die Kombination aus Chanson, Folk, Weltmusik, luftig-leichtem Pop und harten Elektrobeats überzeugte durch Spielfreude und Originalität.

Das Palace in St. Gallen, ein angenehm nostalgisches ehemaliges Spartenkino, das heute für Konzerte genutzt wird, war der ideale Rahmen für den Auftritt von François and the Atlas Mountains. Der Saal mit kaminrot gestrichenen Wänden, Säulen in Marmor-Optik und bequemen tiefen Kinosesseln brachte den ungewöhnlichen Stilmix der Band voll zur Geltung. Den bewegten Werdegang des 29 Jahre alten Frontmannes hört man seinen Songs deutlich an.
Da wäre zum einen der afrikanische Einfluss, der sich nicht darin erschöpft, ein Gebirge zwischen Marokko, Tunesien und Algerien in den Bandnamen aufzunehmen. Seine Mutter wuchs in Kamerun auf, er selbst verließ vor neun Jahren sein Heimatdorf an der französischen Atlantikküste, Saintes in der Nähe von La Rochelle. Sein Ziel: die englische Stadt Bristol, die in den vergangenen Jahren immer wieder durch eine besonders lebendige Musikszene von sich reden gemacht hat – nicht nur wegen der berühmten Trip-Hop-Acts wie Massive Attack oder Tricky, die aus der Metropole im Südwesten Englands stammen. Übrigens sind auch Damien Hirst und der Graffiti-Künstler Banksy hier geboren.

Ein Hippie mit Sprach-Faible

Manche Texte sind auf Englisch verfasst, ansonsten ist Marry seiner Muttersprache treu geblieben. Er scheint generell ein Faible für Sprache zu habe, wie auch der Titel des 2011 erschienenen Albums beweist. „E Volo Love“ ist eine italienisch-englische Kombination, die wörtlich übersetzt „Und ich fliege Liebe“ bedeutet. Das klingt verdächtig nach einem Hippie – noch dazu, wenn er sich in einem Interview mit dem Radiosender FM4 wünscht, dass die BesucherInnen seiner Konzerte mit dem Gefühl nachhause gehen, „die Welt sei ein freundlicher, offener Ort“. Sein Outfit an diesem Abend unterstreicht diese Assoziation: In einem weiten braunen Oberteil und einer sackartigen Hose steht er wirklich nicht im Verdacht, avantgardistische modische Zeichen setzen zu wollen.

Große musikalische Bandbreite

Das haben er und seine fantastisch aufspielenden Bandkollegen auch gar nicht nötig. Sie konzentrieren sich auf ihre schnörkellose und intensive Show. Nach den ersten Solo-Stücken, die von einer grenzenlosen Sehnsucht getragen scheinen, verschwindet für den Rest des Abends die Akustikgitarre und weicht einem breiten, organisch wabernden Klangteppich aus Keyboards, Bass, E-Gitarre, Percussion, Saxophon und Trompete. Die Bandbreite ihrer Songs beeindruckt. Ob Folk, Chanson, Elektro oder Weltmusik – die Musiker spielen auf den Punkt und mit spürbar wachsender Freude am Miteinander. Immer wieder tauschen sie untereinander die Instrumente.

Mit viel Energie auf der Bühne

François und seine Atlasberge hinterlassen einen starken, nachhaltigen Eindruck. Das scheint sich herumgesprochen zu haben. Als erste französische Band haben sie es geschafft, ein Album auf dem Label Domino Records herauszubringen. Bei dieser Londoner Plattenfirma stehen auch erfolgreiche Indierock-Bands wie Franz Ferdinand oder Arctic Monkeys unter Vertrag. Ihre Bühnenshow kann sich sehen lassen und mit „echten Rockern“ durchaus messen: Wie ein Kobold tobt Marry zwischen seinen Kollegen hin und her, springt herunter in den Zuschauerraum und animiert das Publikum –  wohlgemerkt ohne dabei albern oder anbiedernd zu wirken.

Wasser als zentrales Motiv

„Piscine“ – übersetzt „Schwimmbad“ – einer der letzten Songs des regulären Sets, verweist auf das Motiv Wasser,  das Marry immer wieder aufgreift. So bezeichnet er „E Volo Love“ auch als „aquatisches“ Album. Es entstand, wie schon der Vorgänger, in seiner französischen Heimat, wo im Winter häufiger ein Fluss über die Ufer tritt. Deshalb nannte er das Werk aus dem Jahr 2009 folgerichtig „Plaine Inondable“ – überschwemmungsgefährdete Ebene. Um in diesem Sprachbild zu bleiben: Seine Songs plätschern nicht seicht dahin, sondern fließen in einem sich ständig ändernden Strom, mal sanft und zart, dann wieder sturzbachartig rasant. So geht ein sehr kurzweiliges Konzert nach drei Zugaben zu Ende und hinterlässt leicht entrückt lächelnde Besucher, wohin man schaut.