Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Thorsten Bayer · 03. Aug 2013 · Musik

Rock mit Selbstironie: Tocotronic in der poolbar

Am gestrigen Freitagabend fielen zwei bemerkenswerte Jubiläen zusammen: Sowohl das poolbar-Festival als auch die deutsche Band Tocotronic begehen heuer ihren 20. Geburtstag. Zur Feier des Tages zeigten sich die Hamburger ausgesprochen rockig. Neben Songs ihres aktuellen Albums „Wie wir leben wollen“ lag der Schwerpunkt auf zeitlosen Hits wie „Let there be rock“ oder „Hi freaks“.

Für die musikalische Eröffnung des Abends sind Metal Ghost zuständig . Hinter diesem Namen verbirgt sich ein deutsch-dänisches Duo, Heike Marie Rädeker und Piet Breinholm Bendtsen. Sie kombinieren Gesang, E-Gitarre, Drums und Effekte zu druckvollen, temporeichen Stücken. In einem davon geht es beispielsweise um den „guten alten Freund Angst“, wie Rädeker erklärt. Den Hinweis auf das Debütalbum namens „1“, das im Oktober erscheinen wird, vergisst sie nicht. Mit ihrem bemerkenswerten, unangepassten Auftritt bereiten Metal Ghost die passende Bühne für die folgenden Künstler.

Eigenes Profil


Unangepasstheit ist ein Motiv, das sich seit den Anfangstagen durch das Werk von Tocotronic zieht. Dirk von Lowtzow (Gesang und Gitarre), Bassist Jan Müller, Drummer Arne Zank und Rick McPhail (Gitarre/Keyboard), der 2004 zur Band stieß, haben immer wieder bewiesen, dass sie ihre ganz eigenen Vorstellungen haben – und damit manch einen vor den Kopf gestoßen. So weigerten sie sich beispielsweise gleich zu Beginn ihrer Karriere, einen großen Preis des Musikfernsehsenders Viva anzunehmen. In der Kategorie „Jung, deutsch und auf dem Weg nach oben“ sollten sie 1996 den „Comet“ erhalten. Artig bedankte sich die Band für die Einladung nach Köln, den Preis aber ließ sie stehen. „Wir sind nicht stolz darauf, jung zu sein. Und wir sind auch nicht stolz darauf, deutsch zu sein“, sagte Jan Müller zur Begründung.

Intellektuell


Selbstironie ist eine Haltung, die die Band ebenso auszeichnet. Einerseits kultivierte sie in den Neunzigern das Image als Schluffis, die in Retro-Trainingsanzügen geisteswissenschaftliche Uni-Fakultäten besuchen und Konzerte spielen. Andererseits sang Dirk von Lowtzow auf „Digital ist besser“, dem Debütalbum aus dem Jahr 1995: „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“. Ein anderes Beispiel: „Ich will für dich nüchtern bleiben“ lautet ein aktueller Titel, der auch im Alten Hallenbad zu hören ist. Zu seiner Ankündigung prostet von Lowtzow demonstrativ dem johlenden Publikum zu.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich die Band mit intelligenten Texten und politischem Engagement, unter anderem gegen Faschismus und Nationalismus, den Status einer ernstzunehmenden intellektuellen Stimme erarbeitet. Die Musiker wissen um diese Rolle – und nehmen auch sie hier und da augenzwinkernd wahr. „Wie so oft spielen wir einen Protestsong“, sagt von Lowtzow nach zwanzig Minuten des Konzerts mit einem Lächeln und stimmt die ersten Takte von „Abschaffen“ an. Dieser neue Song ist nicht der einzige dieses Abends, der in diese Kategorie passt: „Aber hier leben, nein danke“ und in gewisser Weise auch „Kapitulation“ tun es ebenso.

Handfester Rock


Das unübersehbare Positive an diesem Konzert: Live kommen die Künstler überhaupt nicht als vergeistige Avantgardisten rüber, sondern ganz im Gegenteil als handfeste Indie-Rock-Band. Diskurs hin oder her – ihre Qualitäten als mitreißende Musiker auf der Bühne stehen klar im Vordergrund. Sie wissen, wie sie ihr Publikum kriegen, nicht zuletzt mit alten Hits wie „Let there be rock“ oder „This boy is Tocotronic“, die sie gleich zu Beginn des Konzerts spielen. Besonders Dirk von Lowtzow steht von Anfang an unter Strom, wirbelt über die Bühne und lässt seine ergraute Mähne fliegen. So geschliffen die Texte sind – musikalische Raffinesse ist nie das gewesen, was dieses Quartett auszeichnet. Dafür haben ihre Songs häufig hymnische Qualität und hohen Wiedererkennungswert, beispielsweise „Drüben auf dem Hügel“, „Hi Freaks“ oder „Freiburg“.

Etwas erstaunlich ist lediglich, dass „Auf dem Pfad der Dämmerung“, die erste Auskopplung des neuen Albums, nicht unter den rund zwanzig Stücken des Konzerts zu finden ist. Eine nennenswerte Lücke hinterlässt sie indes nicht. Nach insgesamt vier Zugaben, zuletzt „Kapitulation“, geht ein schweißtreibender poolbar-Abend zu Ende.