Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Fritz Jurmann · 01. Apr 2012 · Musik

Purcells Barockoper „Dido und Aeneas“ wird zum Osterwunder: Wie Benjamin Lack aus Konse-Studenten ein hochprofessionelles Ensemble formte

Das Landeskonservatorium Feldkirch unter Direktor Jörg Maria Ortwein wollte, erstmals in seiner Geschichte und in österreichweiter Einmaligkeit, nichts weniger, als in Kooperation mit dem Landestheater allein mit seinen Studenten eine einstündige Barockoper auf die Bühne des Kornmarkttheaters bringen, Purcells „Dido und Aeneas“. Das traf sich gut mit den Intentionen des Landestheaters, dessen Direktor Alexander Kubelka schon lange eine Jugendschiene vorschwebte. Der Mut der beiden Institutionen war groß, das Risiko enorm, der Premierenjubel am Samstag über das Gelingen dieses Kooperations-Projektes dafür umso größer. Ein kleines Osterwunder.

Die Begeisterung des Publikums konzentrierte sich dabei vor allem auf den musikalischen Leiter Benjamin Lack, den „Mann der Stunde“, der Chor und Orchester auf absolut professionelles, stilistisch exzellentes Barock-Niveau gehievt hatte und damit nie auch nur im Entferntesten in die Nähe eines Studententheaters oder eines Werkstatt-Charakters kam. Aber auch Regisseur Paul Lerchbaumer fand berückende optische Lösungen für eine der ältesten Liebesgeschichten im Opernbereich. Allein manchen Solisten fehlte noch etwas die Abgebrühtheit für solch große Aufgaben.

Premiere im Doppelpack

So war es eine salomonische Lösung, das kurze Stück am Premierenabend im Doppelpack zweimal hintereinander zu spielen. Damit gab man jeder der zur Verfügung stehenden Besetzungen der Hauptpartien die Chance für eine Premiere und dem Publikum die Möglichkeit, das Werk näher kennen zu lernen und die Solisten zu vergleichen. Nach unserem Eindruck wurde dieser insgesamt zweistündige strapaziöse Opern-Marathon von allen Mitwirkenden ohne merkbare konditionelle Schwächen optimal bewältigt.

Der englische Barockmeister Henry Purcell schrieb seine einzige durchkomponierte Oper „Dido und Aeneas“ 1689 für ein Mädchenpensionat in Chelsea. Die Handlung spielt im sagenhaften Altertum: Dido, die mythische Königin von Karthago, verliebt sich in den trojanischen Helden Aeneas. Doch böse Mächte wollen dieses Glück verhindern. Auf einer Jagd lassen sie Aeneas einen Geist in der Gestalt des Gottes Merkur erscheinen. Er mahnt den Prinzen, Troja auf italienischem Boden neu erstehen zu lassen. Aeneas glaubt, sich seiner Pflicht nicht entziehen zu können und verlässt, eigentlich unfähig zu einer tiefen Bindung, damit auch die geliebte Dido, die vor Gram den klassischen Liebestod stirbt.

Mit Einsatz und Begeisterung bei der Sache

Eine schlichte, scheinbar banale Geschichte, die aber sehr viel Spielraum für die Entfaltung von Emotionen, für den Widerstreit der Gefühle lässt und allein durch Purcells geniale musikalische Charakterisierungskunst überhöht wird. Im Stil der italienischen Barockoper, im steten Wechsel zwischen Arien und Rezitativen, entspannt sich rasch ein dichtes Handlungsgeflecht, das durch eingeblendete deutsche Übersetzungen der Gesangstexte deutlich wird und durch die kundige Hand von Regisseur Paul Lerchbaumer straffe Konturen und einen natürlichen Bewegungsablauf erhält.

Auf der von ihm gestalteten einfachen, offenen Bühne mit einem variablen hellen Hintergrund und einer Anzahl von Stühlen im Halbkreis wird der Chor zum wichtigsten Handlungsträger. Binnen Sekunden verwandelt er sich durch kleine Accessoires wie Handschuhe oder Kappen von Soldaten in Hexen oder Seeleute, verharrt nach dem Vorbild des Regisseurs Bob Wilson oft minutenlang bewegungslos in „gefrorenen Bildern“, ist aber auch ebenso glaubhaft in einem anmutigen barocken Schreittanz oder actionreichen Szenen. Es ist eine Freude, diesen jungen Leuten zuzusehen, mit welcher Begeisterung, mit welchem Einsatz sie bei der Sache sind und unter professioneller Anleitung über sich selbst hinauswachsen.

Benjamin Lack, der „Mann der Stunde“

Und da ist an allererster Stelle Benjamin Lack zu nennen, seit einiger Zeit als Dozent für Chorsingen und Ensembleleitung am Konservatorium tätig. Mit ihm steht und fällt der gesamte musikalische Teil dieser Produktion. Er schafft das Umfeld und die Atmosphäre, aus der heraus sich diese altenglische Musik mit all ihren typischen Merkmalen, in ihrer ganzen Eleganz und Schönheit entwickeln kann. Sein körperbetonter Einsatz als Dirigent ohne Stab kann nach intensiven Proben seit Februar das Erarbeitete in höchster Perfektion von Bühne und Orchestergraben abrufen, die er auch in optimaler Balance zueinander in der Schwebe hält, dabei die noch nicht voll ausgebildeten Stimmen der Solisten niemals zudeckt. Und dabei Wert legt auf alle guten Eigenschaften einer historisch informierten Spielweise nach heutigen Gepflogenheiten im Umgang mit der Alten Musik.

Das heißt im fast durchwegs mit jungen Damen besetzten Orchester vibratoloses Spiel auf neuen Instrumenten, Betonung des tänzerischen Elementes, schlanke, geschärfte Tongebung. Das gelingt mit einer Sicherheit und Kompaktheit, die nur Staunen macht. Dozentin Editha Fetz, seit vielen Jahren im „Concentus Musicus“ von Alte-Musik-Guru Nikolaus Harnoncourt gestählt, steht ihm als Konzertmeisterin zur Seite, Johannes Hämmerle sorgt an Cembalo und Orgel für die fachgerecht fantasievolle Auszierung der Rezitative.

Auswahlchor mit jugendlich-heller Leuchtkraft

Und der bloß knapp 20-köpfige Auswahlchor aus Hauptfachsängern und Musikgymnasiasten entfaltet eine unglaubliche, jugendlich-helle Leuchtkraft, ein klangliches Volumen und differenzierte Abstufungen, wie man sie so niemals für möglich gehalten hätte. Ein Exempel polyphoner Chorarbeit ist der berühmte Spottchor der Hexen mit den „Ho, ho!“-Rufen, den sie von der Rampe mitreißend ins Publikum schleudern. Auch mit den Solisten hat Benjamin Lack hörbar an der Deutlichkeit der Sprache im Altenglischen mit seinen Vokalfärbungen, an Fragen der Verzierungen und des Einsatzes von Vibrato gearbeitet. Alle Sängerinnen und Sänger stammen aus den Klassen von Clemens Morgenthaler, Judith Bechter und Dora Kutschi-Doceva am Konservatorium.

Auch bei den Solisten erstaunt durchwegs die hohe Einsatzbereitschaft, mit der sie sich mutig in ein für sie neues Terrain vorgewagt haben, die durchwegs spürbare Begeisterung für die Sache, aber auch ein hoher Grad an Ernsthaftigkeit in der Befassung mit den für manche ungewohnten Anforderungen der Barockmusik. Dennoch sind die erbrachten Leistungen naturgemäß unterschiedlich, wobei grundsätzlich die beteiligten jungen Damen einen höheren Level aufweisen als die Herren. Ein direkter Vergleich zwischen den beiden Besetzungen ergibt da und dort Highlights wie Schwachstellen und damit einen ausgeglichenen Endstand.

Junge Solisten von großer Ernsthaftigkeit

Die Liechtensteinerin Nadja Nigg und die Schweizerin Bettina Herrmann verkörpern die Titelpartie der Queen Dido mit so großer Würde, aber auch mit angemessener Trauer, Wut und Liebe, wie es eben ihrem Alter entspricht. Stimmlich sind sie den hohen Anforderungen der Partie beide weitgehend gewachsen, jede für sich bringt auch unterschiedliche Farben ins Spiel. Herrmann gibt ihrer Rolle noch mehr Emotionalität, hat nach ihrem berührenden Lamento „When I laid in earth“ wirklich Tränen in den Augen, bevor sie den Bühnentod stirbt. Als Schwester Belinda erlebt man zunächst Julia Großsteiner, die im ersten Teil mit eindrucksvollen Leistungen und Bühnenpräsenz die Darstellerin der Dido etwas an die Wand zu spielen droht, und dann Flora Rundel mit ihrer durchaus solide erarbeiteten Partie.

Nicht leicht in diesem charmanten Umfeld haben es die beiden Aeneas-Darsteller. Martin Summer und Hubert Dobl sind beide zwar keine Idealbesetzung für einen (auch stimmlich) strahlenden Prinzen, versuchen aber ihr Möglichstes mit schönen Ansätzen im baritonalen Bereich. Am unterschiedlichsten gerät die Gestaltung der Zauberin: Während Lea Müller mit großem Bewegungspotenzial und Stimmpräsenz punktet, besticht Monique Vauti durch körperbetonte Laszivität und einen ausdrucksvollen Alt. Victoria Türtscher ist die temperamentvolle „Zweite Dame“, Veronika Vetter und Verena Fischer geben die beiden Hexen, Lukas Diblik einen flotten, überzeugenden Seemann sowie Elke Wörndle und Stefanie Büchel die beiden geflügelten Liebesgötter.

Diese Produktion dürfte wohl als Markstein in die Geschichte des Landeskonservatoriums eingehen. Und sie hat sich viel Publikum verdient, auch junges Publikum in Entsprechung zu den Akteuren auf der Bühne und im Graben.

Weitere Vorstellungen am 3., 13., 19. und 22. April sowie am 5. und 16. Mai, jeweils 19.30 Uhr, Theater am Kornmarkt, Bregenz – Dauer ca. eine Stunde
Karten über www.v-ticket.at