Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Fritz Jurmann · 18. Aug 2015 · Musik

Musikalisch top, szenisch mittelmäßig – Das neue Festspielformat „Opernstudio“ konnte mit Mozarts „Cosi fan tutte“ nur zum Teil überzeugen

Auch wenn das Publikum am Montag im ausverkauften Landestheater noch so sehr nach Leibeskräften jubelte: Der ganz große, uneingeschränkte Erfolg war dieses neue Festspielformat „Opernstudio“ (noch) nicht, das Intendantin Elisabeth Sobotka als innovatives Lieblingsprojekt in ihr erstes Jahr in Bregenz eingebracht hat. Musikalisch erlebte man zwar eine mustergültige, über jeden Zweifel erhabene Aufführung. Szenisch jedoch blieben bei Mozarts anspruchsvoller später Oper „Cosi fan tutte“, die auch vom psychologisch fein gesponnenen Libretto Lorenzo da Pontes lebt, doch zu viele Dinge unscharf, als dass man letztlich von einer stimmigen, logisch zu Ende gedachten Inszenierung sprechen könnte.

Ergebnis kann sich hören lassen


Eigentlich würde ja ein solches Opernstudio einer Hochschule oder einem ganzjährig bespielten Opernhaus besser anstehen als einem zeitlich begrenzten Festival. Aber sei’s drum: Es hat was für sich, wie es Sobotka getan hat, sich vom Opernstudio der Berliner Staatsoper sechs bereits im Musiktheaterbetrieb stehende, ambitionierte junge Kräfte zu holen, ihnen für ihre Rollendebüts üppige sechs Wochen Vorbereitungszeit mit einem professionellen Leading Team zuzugestehen und dann zu sehen, was dabei herauskommt.

Das Ergebnis kann sich vor allem hören lassen, weil sich die sechs Protagonisten letztlich als ungemein spielfreudiges, kompakt aufeinander eingespieltes Ensemble präsentieren, das auch stimmlich die allerhöchsten Anforderungen von Mozarts später Kompositionskunst locker bewältigt. Ebenso wächst das Symphonieorchester Vorarlberg unter dem routinierten und feinnervigen Dirigat von Hartmut Keil einen Abend lang quasi über sich hinaus, der auch umsichtig die Sänger führt und für eine gute Balance zwischen Bühne und Graben sorgt. Der erste Teil der Ouvertüre wirkt bei geschlossenem Vorhang akustisch noch schockierend „trocken“, das gibt sich bei offener Bühne und wird nach Minuten des Einspielens und Einhörens der Musiker mit der Zeit zum wunderbar gerundeten, eleganten und leichtfüßigen Mozartklang, wie man ihn sich nur wünschen kann und dem man nur in Kleinigkeiten noch die Schwierigkeiten der Partiturvorgaben anmerkt.

Ausgewiesener Schauspiel-Regisseur


Die Krux dieser Geschichte liegt bei Jörg Lichtenstein. Er gehört als ausgewiesener Schauspielfachmann vermutlich nicht zu jenen Regisseuren, die - so wie sein berühmter Kollege Stefan Herheim („Hoffmanns Erzählungen“) - auch Partitur lesen können. Befürchtungen, seine Inszenierung sei deswegen gegen die Musik Mozarts gerichtet, erweisen sich dennoch als fehl am Platz. Lichtenstein geht in seiner Bewegungsregie in vielen Details sehr schön auf die musikalischen Erfordernisse ein und präsentiert insgesamt ein minutiös ausgearbeitetes musikalisches Kammerspiel um diese sechs Personen. Deren frivoles „Bäumchen-wechsle-dich-Spiel“ führt aus einer leichtsinnig abgeschlossenen Wette um die grundsätzlich angezweifelte Treue der Frauen heraus letztlich auch zur Offenlegung ungeahnter Gefühlswelten und innerer Konflikte um Liebe und Eifersucht. „So machen es alle (Frauen)“ lautet der übersetzte Haupttitel der Oper, der Untertitel heißt vielsagend „Die Schule der Liebenden“. Da lauert also unter der scheinbar heiteren Oberfläche der Opera buffa das Dramma giocoso.

Doch genau diese Doppelbödigkeit wird durch eine Rahmenhandlung verwässert, die Lichtenstein dem vorgegebenen Geschehen des Librettos hier als aktuellen Bezug glaubte aufpfropfen zu müssen, eine „Theater-im-Theater“-Situation auf einer Nebenbühne, in der die Akteure auf ihren Auftritt warten. Das ist als solches schon ein sehr stark abgegriffenes Kunstmittel auf der Bühne und findet sich als konkrete Parallele bereits 2000 in einer Inszenierung von „Cosi“ beim Festival in Glyndebourne wieder, wo Regisseur Graham Vick die Aktion in einem Probensaal ablaufen ließ. Hier bringt diese Idee durch die Umtriebe der Protagonisten mit Umkleiden, Auftritten etc. nur allzu große Unruhe während der schön gespielten Ouvertüre mit sich, auch immer wieder Unklarheiten in der Zuordnung beider Handlungsebenen, und löst sich erst nach langen drei Stunden auf, wenn die Akteure wieder wie am Beginn in Jeans und T-Shirt vor ihren Notenpulten sitzen und unter dem unpassenden musikalischen Jubelfinale Mozarts einzeln und nicht paarweise die Bühne verlassen.

Selfies, Schnee und Bade-Videos


Die unter solchen Umständen bemüht wirkende Aktualität will Lichtenstein währenddessen durch Handy-Fotos und Selfies unterstreichen, auch durch Funksignale, mittels derer Despina als Spielmacherin Bühnenteile bewegen, Schnee fallen oder eine Wasserdusche auslösen kann. Eingespielte Videosequenzen, wie das Ensemble sich bei einem Bad im nahen Bodensee vergnügt, sind mäßig originell und überflüssig und lenken nur von der Musik ab wie etwa im zweiten Akt, wo eine Arie sich an die andere reiht, ohne dass das Geschehen wirklich vorgeht. Da hätte es anderer Ideen bedurft, um den Durchhänger zu vermeiden. Gemeinsam mit Susanna Boehm und Matthias Zuggal (Bühne und Licht) gelingen Lichtenstein dank fahrbarer Treppenelemente und einfacher Versatzstücke aber immerhin oftmals reizend arrangierte Bilder. Dazu tragen im eigentlichen Spiel auch die prächtigen Kostüme aus der Entstehungszeit der Oper bei (Jutta Delorme).

Dass der Regisseur letztlich selber von seiner Arbeit wohl nicht so ganz überzeugt war, zeigt sich daran, dass er erst nach mehreren vergeblichen Versuchen im Schlussapplaus auf die Bühne gebeten werden kann. Die Angst des Tormanns vor dem Elfmeter, des Regisseurs vor seinem Publikum? Immerhin blieben ihm Buhrufe erspart, das Bregenzer Publikum reagiert in solchen Fällen freundlich.

Exzellente Sängerbesetzung


Die Hauptlast der Aufführung liegt bei den sechs Protagonisten, die sich in der engen Verflechtung zwischen Mozart und Da Ponte, zwischen Musik und Schauspiel als echte Sing-Schauspieler von großer körperlicher und emotionaler Flexibilität bewähren. Da sind die beiden Schwestern, die den Zwiespalt ihrer Gefühle mit dem Ungestüm der Jugend nach Kräften glaubhaft machen. Die farbige, in Pretoria geborene Sopranistin Kelebogile Pearl Besong gibt die Fiordiligi und damit die quirligere der beiden abenteuerlustigen Schwestern. Mit ihrer berühmten Arie „Come scoglio“ („Wie der Felsen“) legt sie imponierend ein Hasardstück sängerischer Kunst hin, das die gefürchteten Arien der „Königin der Nacht“ aus der „Zauberflöte“ an Länge, Sprüngen und Dichte der Koloraturen bei weitem übertrifft. Ihrer Schwester Dorabella gibt der deutsche Mezzo Annika Schlicht klug Gestalt und Format, eher zurückhaltend und besonnen als auch stimmlich dunkler gefärbter Kontrast.

Auch die Verlobten der beiden, die zu Verführern der jeweils anderen Schwester werden, sind von Charakter und Stimme her schön voneinander abgehoben, nur das gemeinsame Draufgängertum verbindet sie. Der aus Neuseeland stammende Tenor Stephen Chambers - vom Typ Latin Lover - bekommt nach seinen Soloauftritten natürlich besonders junge weibliche Zustimmung aus dem Auditorium – dabei ist auch seine Stimme zwar nicht immer perfekt, aber gut geführt und von schönem Timbre. Der am Bodensee aufgewachsene deutsche Bariton Maximilian Krummen als Guglielmo ist der eher ruhige Typ, der sich glaubhaft und mit strömenden Kantilenen verkauft. Eine Nummer für sich ist die blutjunge Portugiesin Sónia Grané als Kammerzofe Despina, ein kleines, quirliges Persönchen, der man niemals solche Bühnenpräsenz, solch stimmliches Format zugetraut hätte. Meist älter besetzt wird die Figur des Don Alfonso, der der russische Bass Grigory Shkarupa trotz seiner Jugend mit einem wunderbar tragenden Bass eine Mischung aus Würde und Gerissenheit verleiht.

Fernziel: Ein „Bregenzer Ensemble“


Immer wieder finden sich die Sänger in verschiedenen Gruppierungen zu Duetten, Terzetten und Ensemble wie den beiden Aktschlüssen, an die Mozart die ganze Fülle seiner genialen Einfälle verschwendet zu haben scheint. Punktgenau gearbeitet sind auch die vielen Rezitative, für deren Begleitung auch dem im Programm ungenannten Cembalisten im Graben für seine fantasievolle Auszierung ein Sonderlob gebührt. Der Prager Philharmonische Chor kommt diesmal aus Kostengründen für zwei Mini-Auftritte bloß aus der Steckdose, das ist einsichtig.

Mozarts weitere Da-Ponte-Opern sollen in den nächsten Jahren als Fortführung des „Opernstudios“ in Bregenz folgen und insgesamt einen kleinen Zyklus ergeben: 2016 „Don Giovanni“, 2017 „Die Hochzeit des Figaro“. Intendantin Sobotka schwebt in diesem Zusammenhang als Fernziel sogar so etwas wie ein „Bregenzer Ensemble“ an, also ein Pool mit Stammpersonal, das bei Bedarf auch bei den großen Produktionen Verwendung findet. Die Idee hat was.

 

Opernstudio der Bregenzer Festspiele:
W.A.Mozart: „Cosi fan tutte“, Oper in zwei Akten
Weitere Vorstellungen: 18., 20. und 22. August, jeweils 19.30 Uhr
Vorarlberger Landestheater