Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Silvia Thurner · 22. Jän 2018 · Musik

Mit ganzer Kraft und größtem Ausdruckswillen – die Chorakademie Vorarlberg feierte unter der Leitung von Markus Landerer sein 10-jähriges Jubiläum mit einer fulminanten Werkdeutung

Die h-Moll Messe von Johann Sebastian Bach ist ein Schlüsselwerk der Musikgeschichte. Das Manuskript der Messe zählt zum Unesco-Weltdokumentenerbe. Für Chöre ist diese Messe in mehrerlei Hinsicht ein Meilen-, aber auch ein Prüfstein. Das 10-jährige Bestandsjubiläum wollte die „Chorakademie Vorarlberg“ gebührend feiern und wagte sich mit ihrem musikalischen Leiter Markus Landerer an dieses Mamutwerk. Die intensive Vorbereitungszeit hat sich gelohnt, denn im Zusammenwirken aller Beteiligten gelang eine vielgestaltige und eindrückliche Werkdeutung. Das Barockorchester „Concerto Stella Matutina“ war ein guter Partner, auf den sich Markus Landerer in jeder Hinsicht verlassen konnte. Überdies harmonierten Miriam Feuersinger (Sopran), Ida Aldrian (Alt), Daniel Johannsen (Tenor) und Daniel Ochoa (Bass) hervorragend. Das klare Dirigat von Markus Landerer verströmte Sicherheit und illustrierte wie plastisch er die musikalischen Linien modellierte. Die von Robert Schneider in ausdrucksstarken Bildern formulierten und rezitierten Texte fügten sich wenig in das Werkganze ein.

Bachs h-Moll Messe ist fünfteilig angelegt und beschert den Zuhörenden in der dramaturgischen Abfolge enorm viel Abwechslung. Genau diese Vielseitigkeit der Werkanlage stellt jedoch an die Interpreten außergewöhnlich hohe Anforderungen. Die Chorakademie Vorarlberg nahm diese Herausforderungen an. Bewundernswert konzentriert und in einem positiven Geist „stürzten“ sich die Sängerinnen und Sänger ins musikalische Gestalten und hatten das Publikum im schönen Ambiente, aber in der nicht ganz unproblematischen Akustik der Kapelle des Landeskonservatoriums sogleich auf ihrer Seite.

Inspirierender Kraftakt

Bachs h-Moll Messe genießt auch deswegen eine Sonderstellung, weil der Komponist in seinem Spätwerk auf Werke aus früheren Schaffensphasen zurückgegriffen und diese so unvergleichlich zu einem großen Ganzen zusammengefügt hat. Die unterschiedlichen Wesensmerkmale des Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus und der Schlussteile kamen in dieser Werkdeutung hervorragend zum Ausdruck. Übergänge und Brüche zwischen einzelnen Teilen formten die Sängerinnen und Sänger im gemeinsamen Wirken mit den Orchestermusikerinnen und –musikern markant und teilweise sogar drastisch aus.

Atmender Duktus und gute Intonation

Es war eine gute Entscheidung von Markus Landerer, für dieses spezielle Projekt jedes einzelne Chormitglied auszuwählen. So wirkten die Stimmgruppen klanglich hervorragend aufeinander abgestimmt und es entfalteten sich zahlreiche chorische Höhepunkte. Die vier-, fünf- und sogar sechsstimmigen Fugen, doppelchörig geführte Abschnitte und halsbrecherische Koloraturen formten die Chormitglieder bewundernswert aus. Lediglich in wenigen Passagen gingen die virtuosen Stimmführungen auf Kosten einer ansonsten hervorragenden Intonation. Doch dies schmälerte den positiven Gesamteindruck nicht.

Von Beginn an waren der atmende Duktus und die Balance zwischen den Stimmregistern ein Markenzeichen der Werkdeutung. Beeindruckend wurden die Wechselspiele zwischen dem Orchester und dem Chor im Kyrie ausgestaltet und in einen schönen Gegensatz zur markant geführten Fuge im zweiten Kyrie gestellt. Rhythmisch gut phrasiert erklang der fünfstimmige Satz im „Gloria in excelsis Deo“. Nach einem etwas zögerlichen Übergang entwickelte sich im „Cum Sancto Spiritu“ ein mitreißender Aufschwung hin zum „Amen.“ Der ausgeklügelte Sprachduktus des Chores kristallisierte sich im fünfstimmigen Kontrapunkt „Et resurrexit tertia“ bewundernswert heraus, wurde in der Strahlkraft von „Confiteor“ gesteigert und mündete schließlich im bemerkenswert entfalteten Sanctus. Überdies kam die Tonsymbolik im „Credo“, im „Et incarnatus est“ sowie im „Cruzifixus“ gut zur Geltung, denn die Intervalle und Verschränkungen wurden von allen Sängerinnen und Sängern höchst konzentriert ausgeführt.

Hervorragendes Solistenquartett

Gut ausgewählt waren auch die Solisten dieser Aufführungen. Miriam Feuersinger entfaltete ihre Sopranpartien mit warmem Timbre und wunderbar homogen durch alle Stimmregister hindurch. Hervorragend dazu passte die helle Altstimme von Ida Aldrian. Insbesondere mit ihrer Deutung des „Agnus Dei“ ließ sie aufhorchen. Auch der Tenor Daniel Johannsen überzeugte mit seiner klaren Stimme  auf allen Linien und der Bassist Daniel Ochoa ergänzte das Solistenquartett mit seiner flexiblen Stimmführung. So entfalteten sich die neun Arien und Duette als fassettenreiche „Inseln“, in denen die musikalischen Affekte zur Geltung kamen.

Zuverlässige Orchesterpartner

Das „Concerto Stella Matutina“ war der Chorakademie Vorarlberg ein verlässlicher Partner. Aufhorchen ließen die Soloparts des Konzertmeisters, der Flöten, Oboen, Trompeten, Fagotte und des Cellisten. Beispielsweise entwickelte sich in der Sopranarie „Laudamus te“ im Dialog mit dem Konzermeister ein feinsinniger Dialog. Eine besondere Atmosphäre verströmten die Flöte im Duett „Domine Deus“, die Altarie „Qui sedes“ erhielt ihre Farbe vom sensiblen Spiel der Oboe. Fagott und Horn charakterisierten klanglich die Bassarie „Quoniam tu solus sanctus“. Jubelstimmung verbreitete unter anderem das „Osanna“, bei dem sich der für die barocke Musik so unvergleichliche Groove einstellte.

Exakte Darstellungskraft

Markus Landerer wusste ganz genau in welcher Art er die Charakteristika dieser Bach-Messe modellieren möchte. Freudig, in einer ausgeglichen Balance zwischen Ruhe und Aufregung, folgten ihm die Chorsängerinnen. Der elegante und gestisch bis ins Detail nachvollziehbare Bewegungsfluss in Markus Landerers Dirigat war ein Erlebnis, nicht nur für die Chormitglieder und die Orchestermusiker, sondern auch für die Zuhörenden.

Texte zur Musik

Der Schriftsteller Robert Schneider ist ein ausgewiesener Kenner der Musik von Bach. Wohl wissend, dass es keine leichte Aufgabe ist, diesem Meisterwerk Texte hinzuzufügen, ließ er sich von einzelnen Verszeilen leiten und verfasste darüber sogenannte Tropen. In lyrischen Sinnbildern lenkte er den Blick auf gegenwärtige Tragödien wie den Jungen Aylan Kurdi, der an den Strand von Bodrum gespült wurde und führte Metaebenen über Geburt, zum Kindsein und zur Erwachsenenwelt ein. Obwohl die Texte vom Autor in Form von Ruhepolen schön rezitiert wurden, fügten sie sich nicht ohne Weiteres in das musikalische Gesamtgeschehen ein. Denn innerhalb des überaus dichten musikalischen Flusses blieb meinem Empfinden nach kein Raum für das gesprochene Wort.

Das Publikum bei der Sonntagsmatinee dankte mit Standing Ovations für die mutige und vielschichtige Werkdeutung.