Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Fritz Jurmann · 19. Jul 2018 · Musik

Festspielpremiere im Haus: Goldschmidts Oper „Beatrice Cenci“ macht das schleichende Grauen greifbar

Das ist der Stoff, aus dem die Angstträume sind. Der wie aus dem Nichts aufgetauchte Thriller „Beatrice Cenci“ des jüdischen Komponisten Berthold Goldschmidt von 1950 wurde am Mittwoch bei seiner österreichischen Erstaufführung als Hausoper zur Eröffnung der 73. Bregenzer Festspiele vom Publikum sehr positiv aufgenommen.

Parallelen zu Puccinis „Tosca“

In der inneren Kraft und Stringenz des beklemmenden historischen Stoffes aus heutiger Deutung, in der Originalität seiner Musik gibt es Parallelen zu Puccinis Opernhit „Tosca“. Wie sich die Bilder gleichen: Hier wie dort geht es um familiäre Gewalt, politischen Machtmissbrauch und kirchliche Korruption. Musik aus „Tosca“ erhält man, wohl als Anspielung auf den Tatort Rom, über ein quäkendes Trichter-Grammophon in einer Zwischenszene. Die Qualität der Aufführung mit subtil durchdachtem Regiekonzept und gesanglich wie schauspielerisch blendender Besetzung stellt diese opulente Opernshow in eine Reihe mit Wiederentdeckungen und wenig bekannten Belcanto-Opern der letzten Jahre. Ob „Beatrice Cenci“ nach dieser Produktion den erhofften Einzug ins internationale Opernrepertoire schafft, mag man eher bezweifeln. Jedenfalls hat sich bis jetzt noch kein Co-Produktionspartner dafür gefunden.

Die Vorgeschichte ist mittlerweile bekannt. Die erfolgreiche Laufbahn des als großes Operntalent der Zwischenkriegszeit geltenden Komponisten Berthold Goldschmidt endete jäh, als er vor den Nazis 1935 nach England fliehen musste, wo er 1996 starb. Obwohl er mit „Beatrice Cenci“ 1950 einen Opernwettbewerb gewann, kam es nie zu der in Aussicht gestellten Aufführung. In einer Zeit, in der die Moderne fast nur aus serieller Musik bestand, waren seine „schönen“ Klänge den Leuten suspekt. Man schickte ihn lieber in die Verbannung der unzeitgemäßen Retros und Epigonen.

Längst fällige Anerkennung       

Posthumes Glück für ihn, dass es heute die Bregenzer Festspiele gibt mit so aufgeschlossenen Leuten wie Dramaturg Olaf A. Schmitt und Intendantin Elisabeth Sobotka, die die Qualität dieser Oper erkannten, alles für deren erste szenische Verwirklichung in Österreich unternahmen und dem Werk in der oft etwas holprigen deutschsprachigen Version des Komponisten damit zur längst fälligen Anerkennung verhalfen.  

Die großen Bühnenumrisse im Festspielhaus (Gestaltung: Katrin Connan) werden dominiert von einem Omega-Zeichen, dem letzten Buchstaben im griechischen Alphabet und Symbol für das Ende. Und dieses, und zwar ein schlechtes, lastet von Anfang an über diesem wahren Kriminalfall aus dem Rom zum Ende des 16. Jahrhunderts. Es ist eine latente Bedrohung, die auch bald greifbar wird durch Graf Francesco Cenci, das narzisstisch Böse in Person, einen aufgeblasenen, machtgeilen Tyrannen und Wüstling, der in seinem Glitzergewand und Gehabe bewusst in die Nähe so manchen Popstars und Machthabers unserer Zeit gerückt wird und auch den Umgang mit kirchlichen Symbolen liebt. Mit reichlich Schweigegeld an den Vatikan kann er sich von jeder Schuld freikaufen, der Papst persönlich billigt seine Gräueltaten.  

Ein schiefes Licht auf die Kirche

Die riesigen, mit Goldstücken gefüllten Glaskästen scheinen dafür unerschöpflich.  Cenci dienen sie als Bühne, auf der er sich in einer Selbstinszenierung als eitler Pfau vor seinen Untertanen in Renaissance-Kostümen mit aktuellen Anspielungen (Katharina Tasch) produziert. Wenn ihm danach ist, vergreift er sich als „Maßregelung“ auch gern an der eigenen Tochter, Beatrice, die in ihrer Verzweiflung zusammen mit ihrer Stiefmutter Lucretia Pläne schmiedet, den Vater zu ermorden.  

Johannes Erath inszeniert den Plot vielschichtig, mit großer Fantasie, kompakt und in einem Fluss, mit Doubles, oft zeitverzögert, wie in Zeitlupe und mit bedeutungsvollen Anspielungen. Es bedarf bei ihm dazu keiner Gewalt auf offener Bühne, vieles spielt sich im Kopf ab, auch in dem des Zuschauers. Dieses schleichende, unendliche Grauen über eine Vergewaltigung stellt sich auch durch drohende Ankündigungen und das anschließende Spiel des Opfers mit einer Puppe symbolhaft ein, ebenso beim späteren Mord und den Hinrichtungen. Wohltuend deutlich ist Eraths intensive Bindung an die musikalischen Vorgaben.     

Ohne den Mief des Altbackenen

Berthold Goldschmidts Musik ist stilistisch schwer einzuordnen, jedenfalls aber voller  Schönheit und Wärme, knallhart und von dramatischer Kraft bei den Schockszenen, zerbrechlich dunkel und leise in ihrer Lyrik. Jedenfalls atmet sie nicht den von seinen Zeitgenossen konstatierten Mief des Altbackenen, nimmt sich auch keine Anleihen, sondern changiert in großer Eigenständigkeit brillant und intelligent zwischen den Polen des 20. Jahrhunderts: Alban Bergs atonaler Kargheit, Elementen der verrückten 20-er Jahre, Gustav Mahlers zwiespältiger Klanglichkeit und einer oft üppigen Melodienfreude, mit der sie auch fast die Grenze zum Kitsch anrührt. Die Barockzitate sind bewusst gesetzte Verweise auf die Entstehungszeit der Handlung.

Dennoch ist diese Musik auf eine faszinierende Art modern und heutig, so wie sie auch Johannes Debus am Pult in frischer Lesart und ohne alle Weinerlichkeit von den glänzend disponierten Wiener Symphonikern einfordert. In einem großen gemeinsamen Atem und mit spürbarem Enthusiasmus bringen sie Goldschmidts farbenreiche Partitur schillernd und in vielen schönen Details zum Leuchten. 

Fordernde „Belcanto-Oper“

Vor allem aber ist diese Musik enorm sängerfreundlich. Goldschmidt hat zu Recht von einer modernen „Belcanto-Oper“ gesprochen, die die Protagonisten zwar oft mit scheinbar fremden Tönen und kraftraubenden Ausbrüchen vor Probleme stellt, ihnen aber auch traumhaft melodiöse Momente schenkt. Die Titelrolle der Beatrice ist ausgestattet mit allen Erfordernissen eines hoch dramatischen Soprans mit exponierten Spitzentönen, die die Israelin Gal James im berechtigten Zorn mit aller Strahlkraft imponierend einsetzt, im volksliedhaft schlichten „Wiegenlied“ als Abschied von dieser Welt aber auch für berührende lyrische Momente sorgt. Mit ihrer umwerfenden Bühnenpräsenz ist sie die eigentliche Entdeckung für Bregenz, die im Schlussvorhang auch mit einem Jubelsturm des Publikums belohnt wird. Nur ihre unpassend knallig rote Perücke hat sie sich nicht verdient.

Ihre Verbündete, die Deutsche Dshamilja Kaiser als Stiefmutter, bringt weich berückende Mezzotöne ins Geschehen, Sohn Bernardo, in einer Hosenrolle besetzt mit Christina Bock, bewährt sich schon beim einleitenden „Familien-Terzett“. Eine Idealbesetzung für die extreme Partie des Grafen Francesco wurde mit dem quicken, in jeder Phase herausfordernd wirkenden deutschen Bariton Christoph Pohl gefunden. Sein Kraftstrotzen, seine lauernde Verschlagenheit mit gleichzeitigem Auftrumpfen in einer gesanglich wahrlich nicht leichten Partie sind große Klasse. Als würdiger Kardinal Camillo stellt der Däne Per Bach Nissen mit volltönendem Bass die Verbindung zum Heiligen Stuhl her, der als Priester in Bianca verliebte Orsino des Deutschen Michael Laurent bietet mit beeindruckend hellstimmigem Tenor eine  Charakterstudie aus quälenden Gewissensbissen und religiösem Gehorsam.       

Die verstörende Moral von der Geschicht‘

Als der Vatermord fast unmerklich über die Bühne gegangen ist und Tochter und Gattin als Täterinnen vom Gericht zur Rechenschaft gezogen und mit Billigung des Papstes auch gefoltert und öffentlich hingerichtet werden sollen, verdichtet sich die Handlung und kommt zum eigentlichen Kern der Sache. Da meldet sich nun die Stimme des Volkes mit dem klangschönen und durchschlagskräftigen Prager Philharmonischen Chor (Einstudierung Lukas Vasilek). Nach der „öffentlichen Meinung“ in einem Schauprozess war diese Verzweiflungstat nur die gerechte Strafe für Francescos psychische Gewalt, die beiden Frauen wären freizusprechen. Vergebens. Das Stück mündet in ein ergreifendes Requiem. Das geht unter die Haut, bleibt hängen von dieser Geschichte.

Ebenso aber auch offene Fragen, die für das Publikum von ungeahntem Verstörungspotenzial sind. Wo liegen hier die Grenzen für das Recht, für wen gibt es Gerechtigkeit und welche Moral findet Anwendung? Fragen über Fragen nach Schuld und Sühne, dieweil die einst mit Gold gefüllten Glaskästen zu Särgen mit nackten Leichen geworden sind, die von Cencis Untaten zeugen. Beatrices  „Wiegenlied“ aber will einem noch auf dem Heimweg nicht aus dem Kopf.

Weitere Vorstellungen im Festspielhaus:
So, 22. Juli, 11.00 Uhr
Mo, 30. Juli, 19.30 Uhr
Dauer ca. zwei Stunden inklusive Pause
www.bregenzerfestspiele.com