Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Peter Füssl · 13. Aug 2017 · Musik

Extravagante Kaninchen, ein englischer Flamenco-Barde und alles andere als blasse Gäule - fulminantes Finale der Bezau Beatz 2017

Der dritte und letzte Abend der heurigen Bezau Beatz hatte es wahrlich in sich! Mit dem helvetisch-austriakischen Trio Heavy Metal Rabbit, dem Londoner Singersongwriter Charlie Cunningham und den furiosen Norwegern Stian Westerhus & Pale Horses waren drei Acts am Start, die unterschiedlicher kaum sein könnten – und dennoch fügte sich alles zu einer genialen Dramaturgie. Und, um es gleich vorwegzunehmen: das engagierte Unternehmen hat nach zehn Jahren den Erfolg, den es wirklich verdient. Denn es ist keine Selbstverständlichkeit, dass angesichts des eher unfreundlichen Wetters, der Tatsache, dass an diesem Abend im ganzen Land hochkarätige Veranstaltungen über die Bühnen gingen, und dass das Programm in Bezau durchaus anspruchsvoll und gewagt war, sich so viele Musikinteressierte in die Remise des Wälderbähnles drängten. Das muss dem Alfred Vogel erst noch eine/r nachmachen.

Heavy Metal Rabbit

Der Auftakt des Trios wirkt – völlig im Kontrast zum Bandnamen – fast schon besinnlich. Behutsam lässt der Bieler Lucien Dubuis ein paar Töne aus der Bassklarinette fließen, der aus London stammende und in der Schweiz lebende Barry Guy antwortet mit ein paar Tupfern auf dem Kontrabass, und Alfred Vogel schickt ein paar dezente Grüße aus der Perkussionistenküche. Man ficht mit der feinen Klinge, lässt die Musik sich behutsam entwickeln, spinnt Fäden und streut Dialogangebote. Das musikalische Geschehen wird zusehends heftiger und kantiger. Dubuis lässt sein Instrument kreischen, Vogels Spiel wird explosiver und Guy hält mit seinem soliden Bass alles am Boden. Noch. Denn spätestens wenn der Kontrabassist sein Instrument mit Stäben und anderen Utensilien präpariert und zwischen wilden Zupforgien und filigraner Bogenarbeit pendelt, wird klar, dass wir es hier mit einem legendären Urgestein und ganz großen Könner des Free Jazz und der Improvisationsmusik zu tun haben. Phantasievoll peitscht Vogel das musikalische Geschehen voran, Dubuis integriert Klappen- und Atemgeräusche in sein muskulöses Spiel, bläst zwischendurch nur auf dem Mundstück, und zeigt akrobatisches Geschick, wenn er seinen Oberschenkel als Dämpfer verwendet. Das Stück kulminiert in freien Ausbrüchen aller Beteiligter, ehe es wieder in ruhigere Gewässer geht. Auch feiner Humor hat seinen Platz, etwa wenn Dubuis plötzlich eine lässig swingende Passage oder die Melodie von „Frère Jacques“ einstreut. Das Publikum zeigt sich durchaus begeistert von diesem geschickt konzipierten, abwechslungsreichen Gefüge aus hochenergetischen Passagen, äußerst sensiblem Interplay und einfallsreichen Soli und fordert begeistert eine Zugabe.

Charlie Cunningham

Ein Mann, eine Gitarre und seine ziemlich stark verhallte Stimme. Der Kontrast zum quirlig krachenden Opener könnte kaum größer sein und passt perfekt. Der junge Londoner Charlie Cunningham tourt schon seit einiger Zeit als Support-Act durch die Lande und ist nach drei EPs, einer CD und starker Spotify-Präsenz eindeutig im Aufwind. Seine Songs sind schöne Beispiele klassischen Singersongwritertums, sein gepflegtes Fingerpicking auf der akustischen Gitarre gewinnt durch die geschickte Einbeziehung von Flamenco-Spielweisen, die er bei einem längeren Aufenthalt in Sevilla gelernt hat, zusätzlich an Attraktivität. Cunningham versteht es auch perfekt, sein Spiel durch gleichzeitiges Klopfen auf den Gitarrenkorpus mit einem perkussiven Element aufzufetten. Auf sympathische Weise gelingt es ihm mühelos, in Kontakt mit dem Publikum zu treten, und seine warme Stimme klingt so einnehmend, dass man sie gerne auch einmal mit etwas weniger Hall hören würde. Aber Kenner der Materie wussten eh schon, dass solche Kinkerlitzchen angesichts dessen, was da noch kommen sollte, bald schon jegliche Bedeutung verlieren würden.

Stian Westerhus & Pale Horses

Freunde von Schubladisierungen haben wenig Freude mit Stian Westerhus, entzieht sich doch der äußerst experimentierfreudige Norweger schon lange jeglichen Kategorisierungsversuchen ­– in den Bands Puma und Jaga Jazzist ebenso, wie als wichtiger Ideenlieferant und ungemein kreativer Gitarrist bei Nils Petter Molvaer oder Sidsel Endresen. Auch in seinem Projekt Pale Horses bewegt sich Westerhus mit Drummer Erland Dahlen und Keyboarder und Elektronik-Soundtüftler Øystein Moen irgendwo im undefinierbaren Spannungsfeld von Rock, Post-Rock, Post-Jazz, Noise und Psychedelischer Musik. Eine Stunde lang taucht das Trio die Zuhörerschaft in ein hochemotionales musikalisches Wechselbad. Es bombardiert die Ohren mit ungemein lauten und harten, in ekstatischen, oft übersteuerten Exzessen gipfelnden Soundattacken, um dann unvermittelt zarte lyrische Klänge aus dem gerade noch brodelnden Hexenkessel zu zaubern, oder die Zuhörer in einer zum Raumschiff umgestalteten Echokammer auf einen kleinen Ausflug durch Zeit und Raum mitzunehmen. Westerhus traktiert die Gitarre nach allen Regeln der Kunst, lässt sie ungestüm kreischen und zarte Klangwölkchen produzieren, streichelt und schlägt sie mit dem Bogen und lässt sich auch durch eine gerissene Saite nicht im Geringsten beeindrucken. Mit seinem dringlich-dramatischen, aber auch irgendwie eigenartig unterkühlt wirkenden Gesang bringt er zusätzliche Farben ins Spiel. Der unglaublich erfahrene Drummer Erland Dahlen, in dessen reichhaltigem Arsenal ein Set Schiffsglocken wie eine nette Reminiszenz an seine norwegische Heimat wirkt, lässt die Muskeln spielen, wenn es notwendig ist, verfügt aber auch über ein großes Einfühlungsvermögen. Auch der gefinkelte Øystein Moen, der schon in den oben genannten Bands Partner von Westerhus war, kann seinen kreativen Output im musikalischen Wirbelsturm geschickt zur Wirkung bringen, und es ist stets zu spüren, dass die drei Ausnahmekönner bestens aufeinander eingespielt sind. Dass die Pale Horses manche – vielleicht auch angesichts der weit fortgeschrittenen Stunde – etwas verschreckt zum Aufbruch nach Hause animierten, darf als musikalischer Kollateralschaden abgehakt werden. Für mich war es garantiert eines der besten Konzerte des Jahres!