Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Silvia Thurner · 24. Jul 2012 · Musik

Epische Breite und wirkungsvolle Klangsäulen – Die Wiener Symphoniker setzten beim ersten Orchesterkonzert im Rahmen der Bregenzer Festspiele auf Kontraste

Im Rahmen des ersten Orchesterkonzertes kombinierten die Wiener Symphoniker die Ballade „Einsamkeit“ von Franz Schubert in einer Bearbeitung von Detlev Glanert mit Anton Bruckners fünfter Symphonie. Am Dirigentenpult stand Markus Stenz, der auch die Oper Solaris des diesjährigen „composers in residence“, Detlev Glanert, dirigiert hatte. Als Solistin stellte sich Gisela Stille vor. Trotz einiger herausragender musikalischer Momente hinterließ das Konzert einen zwiespältigen Gesamteindruck.

Franz Schuberts Musik übte und übt auf zahlreiche Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts eine inspirierende Strahlkraft aus. Auch Detlev Glanert begeisterte sich für Schubert und instrumentierte den Klavierpart der Ballade „Einsamkeit“ (D620) nach einem Text von Johann Mayrhofer für Orchester. Differenziert drang er in die kompositorischen Grundstrukturen des Werkes ein. Er formte vielgestaltige Klangfarbenmuster, die den emotionalen Grundgehalt des Werkes unterstrichen und inhaltliche Verbindungslinien nachzeichneten. Zweifellos ist Detlev Glanert ein hervorragender Instrumentator und er malt fantasievoll mit den Klangfarben, die ihm ein Orchester bietet. Jedoch veränderte die Orchestrierung des Klavierparts den Ausdrucksgehalt der Komposition auf eine Art, die mich nicht begeistert hat.

Genau in dem eher „spröden“ Moment des Klavierpartes sowie im Zusammenwirken mit der Singstimme liegen meiner Ansicht nach der Reiz und die Aussagekraft des Liedes „Einsamkeit". In die Klavierstimme hinein komponierte Schubert eine musikalisch dicht ausformulierte, textdeutende Ebene, die vor allem im harmonischen Aufbau zum Tragen kommt. Doch die epische Breite und Farbigkeit der Orchesterfassung relativierten ebendiesen konzentriert wirkenden Aspekt.

Vorfreude geweckt

Die Wiener Symphoniker stellten sich in den Dienst der Sopranistin, spielten den Orchesterpart mit einem transparenten Gesamtklang und umsichtig ausgeloteten Phrasierungsbögen.

Mit einer in sich abgerundeten und facettenreichen Stimme zelebrierte die schwedische Sopranistin Gisela Stille das Werk. Sie hat eine theatralische Ausstrahlung, die mit einer ausgeprägten Körpersprache und Mimik unmittelbar auf das Publikum wirkte. Allerdings sang Gisela Stille den Vokalpart der „Einsamkeit“ wenig textdeutlich. Dennoch weckte die Sopranistin Vorfreude auf Mozarts „Zauberflöte“, die im kommenden Jahr auf der Seebühne neuinszeniert wird. 2013 wird Gisela Stille die Rolle der Pamina singen.

Kontrastreiche Vielfalt

Die Wiener Symphoniker und die Tradition der musikalischen Rezeption der Symphonien von Anton Bruckner bilden eine Einheit, die hohe Erwartungen an die Werkdeutungen aufkommen lässt. Markus Stenz leitete die Wiener Symphoniker mit großen und ausladenden Gesten. Vor allem in den ersten beiden Sätzen war er ganz bei den MusikerInnen und es entwickelte sich ein organisches Ganzes. Die thematischen Hauptlinien erklangen prägnant ausformuliert. Transparente Linienführung ermöglichten gut nachvollziehbare perspektivische Themenfelder im musikalischen Vorder- und im Hintergrund. Kontrastierende Klangblöcke und zurückhaltend ruhige Passagen wurden gut ausgelotet zueinander in Beziehung gestellt. In den Einleitungspassagen entfaltete das Orchester jene für Bruckner so typische Aura. So wirkte das Adagio als Kern der Werkdeutung, mit zahlreichen herausragenden Soli, dynamischen Schattierungen und glänzenden Klangkronen der Blechbläser. Die Linienführungen durch die Instrumentalfarben erklangen differenziert und wurden mit einem atmenden Duktus ausgebreitet.

Abnehmende Stringenz

Dem Scherzo fehlte teilweise ein abgerundeter Duktus, so dass der musikalische Satz fast zu zerklüftet und etwas undifferenziert wirkte. Die Stimmen im Finalsatz wurden vor allem in den kontrapunktisch angelegten Passagen kantig ausformuliert und hymnisch gesteigert. Auf diese Weise kamen die unterschiedlichen emotionalen Charaktere in kraftvollen gesteigerten sowie sakralen Passagen zur Geltung. Allerdings fehlte diesem Satz meiner Wahrnehmung nach das Einheit stiftende Moment, quasi das, was die Musik im Inneren zusammenfügt und ein in sich stimmiges, abgerundetes Ganzes schafft.