Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Fritz Jurmann · 28. Jän 2015 · Musik

Ein Jahrmarkt der Einfälle ergibt noch lange keine gute Opernregie – Warum Bizets „Carmen“ am Landestheater trotzdem zum Publikumserfolg wurde

Aller guten Dinge sind drei. So oft hat sich Landestheater-Intendant Alexander Kubelka in den vergangenen Jahren in Bregenz als Neuling im Bereich der Opernregie mit viel Fantasie und unkonventionellen Einfällen ein Terrain geschaffen und bewährt. Seine vierte Inszenierung mit Bizets Oper „Carmen“, die am Dienstag vor viel Prominenz und Insidern im ausgebuchten Bregenzer Kornmarkttheater Premiere hatte, kann an diese Erfolgsserie nicht anschließen. Zu aufgesetzt, oft unlogisch oder auch jenseits des guten Geschmacks ist sein bunter „Jahrmarkt der Einfälle“, als dass dieser ein wirklich sinnvolles Ganzes ergeben würde.

Der musikalische Bereich wieder mit Alexander Drcar am Pult glich das so weit aus, dass es im Gesamten immerhin noch zu einem deutlichen Publikumserfolg dieser Produktion reichte. Doch auch hier lief mit der im Vorfeld so sehr gerühmten Top-Besetzung nicht alles wie erwartet. Als Riesenüberraschung erwies sich die junge Mara Mastalir von der Wiener Volksoper, die in der kleineren Rolle als Micaela ihrer Kollegin, der weit prominenteren Nadine Weissmann als Carmen, glatt die Show stahl und statt ihrer zum Publikumsliebling avancierte. Die beiden männlichen Hauptrollen kamen über solides Format nicht hinaus. Das sind eben die Unwägbarkeiten eines Opernbetriebes, die nie ins Letzte planbar und so unsicher sind wie der Wetterbericht.

Am Beginn geht’s bald zur Sache


Die Tendenz mit den Opernambitionen des Intendanten hat sich ja eigentlich schon im Vorjahr abgezeichnet, bei Verdis „Rigoletto“. Eine Nackte, kaum dass der Vorhang offen war, der Herzog im Feinripp und Gilda in Unterwäsche in der Badewanne – das waren Dinge, die heute selbst im konservativen Vorarlberg wohl die meisten Zuseher mehr amüsierten als provozierten und die viele einfach als ziemlich lächerlich empfanden. Heuer prolongiert Kubelka dieses Genre und stellt gleich am Beginn die Arbeiterinnen der Zigarettenfabrik als zeigefreudige Prostituierte in knappen Outfits dar, die mit den biederen männlichen Voyeuren in weißen Beamtenhemden rasch zur Sache kommen. Auch eine Art von Gesellschafts- und Sozialkritik, bei der die an den Oberschenkeln tätowierte Carmen ein Wort mitzureden hat.

Immerhin gelingt es der Regie, die Situierung des Spiels an der umkämpften Grenze zwischen Mexico und den USA glaubhaft zu machen, wo es bei Menschenschmuggel zu harten Auseinandersetzungen kommt. Deswegen sind die Dialoge dort auch in Englisch, sonst in der auch gesungenen Originalsprache Französisch mit deutschen Übertiteln. Die weiße Mauer der Trennung, die Kubelka als sein eigener Bühnenbildner da geschaffen hat, zerfällt mit der Zeit, die Elemente daraus markieren zwar etwas klobig, aber praktikabel die weiteren Schauplätze. Carmen wird in diesem Umfeld zur selbstbestimmten Grenzgängerin, die sich mit List und Liebe und notfalls auch mit Gewalt holt, was sie als Frau begehrt.

Eine Carmen, die keine ist


Doch da hakt es bereits. Nadine Weissmann ist zwar eine Bayreuth-gestählte Künstlerin, die in dem von Kirill Petrenko dirigierten „Ring“ sicher hervorragend ihre vergleichsweise statischen Wagnerpartien ausfüllt. „Carmen“ dagegen ist sie dezidiert keine. Dazu fehlen ihr die laszive Erotik, die körperliche Beweglichkeit und das Temperament. Dagegen bewundert man dankbar ihre tadellose, ausgereifte gesangliche Leistung, an der es nichts zu rütteln gibt.

Bei ihrem Geliebten, dem Sergeanten Don José, verhält es sich genau umgekehrt. Der Waliser Adriano Graziani spielt seine Rolle sehr glaubhaft, doch als Tenor ist er oft erschreckend überfordert. Seine berühmte „Blumenarie“ führt er zwar zum strahlenden Höhepunkt, aber mit vielen unsauberen Tönen auf dem Weg dorthin und einer flachen Mittellage. Dem anglo-französischen Bariton Charles Rice als Stierkämpfer Escamillo fehlt zwar etwas das kühne Draufgängertum, dessentwegen er laut Libretto von der Masse verehrt wird, aber er verhält sich klug im Rahmen seiner Möglichkeiten.

Micaela wird zur Entdeckung des Abends


Mara Mastalir als Carmens bürgerlich-jugendliche Gegenspielerin Micaela, die heimlich Don José verehrt, ist die Entdeckung des Abends. Schon in den ersten Szenen lässt sie aufhorchen, nach ihrer großen Arie im dritten Akt mit berührendem Ausdruck und strahlender Höhe ist das Publikum nicht mehr zu halten. Keine Überraschung mehr, aber in den gebotenen Möglichkeiten rollendeckend präsent sind die beiden jungen Vorarlberger Gesangssolisten im Ensemble. Susanne Grosssteiner als Frasquita ist optisch quick und stimmlich mühelos eine erfreulich schlanke Erscheinung, Johannes Schwendinger als locker junger Offizier Zuniqa gefällt sich und den Damen als Frauenbetörer.

Nicht auf dem gewohnten hohen musikalischen Niveau der vergangenen Jahre agiert heuer der wie gewohnt von Benjamin Lack einstudierte Bregenzer Festspielchor. Vor allem die schwach besetzte Riege der Herren klingt angestrengt, unsauber und unrhythmisch, zusammen mit den Damen ergibt das dann einen gerade noch akzeptablen Chorklang. Für Begeisterung sorgen dagegen die intensive Spielfreude und hohe Musikalität der Kinder des Chors der Musikmittelschule Bregenz-Stadt unter Wolfgang Schwendinger.

Alexander Drcar erweist sich gerade bei diesem Sujet als absoluter Kenner der fassettenreichen, teils fast operettenhaften Musik Bizets mit ihren unvermeidlichen Ohrwürmern, die er mit dem Symphonieorchester Vorarlberg feinnervig ausziseliert. Vor allem die Zwischenspiele besitzen viel an südlichem Flair, schwülen Farben und Temperament. Manches gerät allerdings etwas zu aufdringlich, sodass Feinheiten auf der Bühne verloren gehen.

Ziele nie ins Publikum!


Zurück nochmals zur Regie, die, wie zu vernehmen war, neben diesem Grundkonzept zu einem großen Teil als „Work in Progress“ während der Probenarbeiten entstand. Und da flossen dann die Einfälle offenbar so spontan und oft unkontrolliert, dass manche im Ensemble nicht mehr recht mitkonnten oder -wollten. Am Premierenabend sind solche Grabenkämpfe natürlich längst vergessen und alle liegen sich unter dem Eindruck des Erfolges in den Armen.

Was auf der Bühne aber bleibt, sind so unbedachte Dinge wie ein Torero, der mit flammenden Hörnern als sein eigener Stier auftritt. Das widerspricht diametral dem tradierten spanischen Rollenspiel, das Carmen als „Stier“ vorsehen würde. Es ist auch ein Unding, in eine Gruppe von körperlich Beeinträchtigten ausgerechnet einen Spastiker zu setzen. Und: Man zielt niemals mit Pistolen, auch ungeladenen, ins Publikum. Das geht gar nicht. So viel ins Regiebuch. Für’s nächste Mal.

Dreiecksgeschichten interessieren den Intendanten seit jeher, sie sind auch das Motto dieser Saison. Bei „Carmen“ ist diese labile Situation einer Frau zwischen zwei Männern besonders ausgeprägt und steuert auch drei Stunden lang unaufhaltsam auf das unvermeidlich letale Ende zu, bei der Carmen von ihrem Geliebten Don José erstochen wird, weil sie sich dem strahlenden Torero Escamillo zuwendet. Diese letzten beiden Akte nach der Pause entfalten eine Stringenz, die einen packt und mitreißt, auch weil die Personenführung hier sehr klar und konsequent funktioniert und die Gags sich inzwischen erschöpft haben. Der Beifall ist lange und herzlich.

 

Weitere Vorstellungen von „Carmen“ im Theater am Kornmarkt, Bregenz:
29.1., 31.1., 2.2., 4.2., 6.2., 15.2., 22.2., 3.3. – jeweils 19.30 Uhr
8.2. und 1.3. – jeweils 16.00 Uhr
Dauer 3 Stunden 15 Minuten inklusive Pause
Es sind nur noch Restkarten verfügbar.
Karten unter 0 55 74 / 42 870-600 oder ticket@landestheater.org