Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Silvia Thurner · 17. Mai 2019 · Musik

Die Hingabe mit jeder Faser gespürt – Die Darbietung von Mahlers achter Symphonie verströmte eine euphorische Kraft

Zum Saisonsabschluss des Symphonieorchesters Vorarlberg und als großes Finale des Mahler-Zyklus mit Kirill Petrenko am Pult des Orchesters waren sich die gut 300 Mitwirkenden sowie die Konzertbesucherinnen und -besucher bewusst, dass sie ein einzigartiges Konzertereignis miterleben. Diese freudvolle Spannung sowie die mitreißende positive Energie, die vom Dirigenten Kirill Petrenko ausging, erfüllte den Saal im Bregenzer Festspielhaus bei der Aufführung der gigantischen achten Symphonie von Gustav Mahler.

Gustav Mahler selbst war überzeugt, dass er mit der achten Symphonie auch sein persönliches „Opus Magnum“ komponiert hatte. Er vereinigte darin die musikalischen Gattungen der Symphonie, des Oratoriums, der Oper sowie des Orchesterliedes. Mit der zweiteilig angelegten Komposition schuf er eine Vokal-Symphonie, mit der er auf individuelle Weise sein Credo als weltumfassendes Ganzes von Geist, Seele, Liebe und gemeinsamem Atem zelebrierte.
Kirill Petrenko weiß sehr genau Bescheid über die Intention und Inspiration, die Gustav Mahlers Achte zusammenhält. Als Mahler zu seinem Bekenntnis befragt wurde, antwortete er: „Ich bin Musiker. Darin ist alles andere enthalten.” Genau dies beschreibt auch die Quintessenz der künstlerischen Aussagekraft des Dirigenten Kirill Petrenko. 
Darüber hinaus hat er eine freundschaftlich bescheidene Art der Kommunikation und die höchst seltene Gabe, seine musikalischen Vorstellungen den Musikerinnen und Musikern so plastisch zu vermitteln, dass sie diese auch umsetzen können. Vom ersten Ton an waren diese Qualitäten auch bei der Werkdeutung im Bregenzer Festspielhaus nachvollziehbar.
Die beiden konträren Teile der Symphonie erklangen kontrastreich ausgedeutet und mit einem guten Gespür für Tempoänderungen und plastisch modellierten Rhythmuswechseln, die die musikalischen Gestalten in jeweils anderem Licht erscheinen ließen. Die harmonischen Farben und die charakteristische Chromatik der Musik leuchteten nuanciert. Während der gesamten Darbietung brach die Spannung nie ab, denn sie lebte auch von einem musikalisch tiefgründigen Schwanken zwischen Extremen.
Auf der einen Seite wirkte die Kraft des Fortissimoklanges mit dem riesigen Chor- und Orchesterklang. Der Energiefluss der Musik war physisch spürbar und ließ niemanden im Saal unberührt. Auf der anderen Seite zelebrierten die Musiker und Sänger die Stille und eine in sich kreisende Ruhe, die weite Klangflächen öffnete. Besonders der Beginn des zweiten Teiles hatte es in sich. Hier strömten die sphärischen Harmonien der einfachen Schwingungsverhältnisse in einem atemberaubenden Pianissimo, wunderbar entfaltet von den hervorragenden Solistinnen und Solisten in den Orchesterreihen. Durch die geistreiche Musizierhaltung von allen, die jeder Stimmgruppe ihren spezifischen Gestaltungsraum verlieh, kamen die musikalischen Verbindungslinien, mit denen Mahler seine Achte verwoben hat, gut zur Geltung.
Selbstverständlich gäbe es unzählige Einzelheiten hervorzuheben, die den musikalisch kommunikativen und fulminant sich aufbäumenden Fluss auszeichneten, doch das würde viel zu weit führen. Alle Chor- und Orchestermitglieder verdienen höchste Anerkennung und auch die Solisten. Zuerst die überragende Sopranistin Sarah Wegener, die als „Einspringerin“ mit eindrücklicher Stimme und Musikalität ihre Gesangspartien ausfüllte. Ihr zur Seite sang die feinsinnige Elza van den Heever. Die Mezzosopranistin Claudia Mahnke gestaltete die Musik mit warmem Timbre, auch Diana Haller (die ebenfalls als Einspringerin agierte) füllte ihre Rolle gut aus. Norbert Ernst verkörperte den Doctor Marianus enthusiastisch und der Bariton Daniel Boaz kehrte als Pater Ecstaticus seine Qualitäten hervor. Kraftvoll bebend gestaltete der Bassist Kwangchul Youn seinen Part als Pater Profundus.
Variantenreich und ausdrucksstark formten der Salzburger Bachchor (Einstudierung Alois Glassner) und der Bregenzer Festspielchor (Einstudierung Benjamin Lack) sowie der Kinderchor der Musikmittelschule Bregenz-Stadt (Einstudierung Wolfgang Schwendinger) die Chorparts aus. Mit gut ausgeloteter Stimmenbalance kristallisierten sie die Charaktere der sehr unterschiedlich angelegten Chorpassagen eindrucksvoll heraus.
Eindringlich wirkte überdies das Blechbläserensemble und das ausdrucksstarke Sopransolo von Letizia Scherer, die von der Galerie aus agierten und auf diese Weise das Publikum in die Mitte nahmen.
Klar, dass es nach diesem grandiosen Musikerlebnis niemanden mehr auf dem Sessel hielt. Der Jubel, die Begeisterung und die Dankbarkeit für das eindringliche Konzerterlebnis zeigte sich im euphorischen Applaus mit Standing Ovations. Dieses Ereignis geht als Kraftakt gebündelter Energien in die Kulturgeschichte des Landes ein.
Dank und Lob gebührt auch den Veranstaltern hinter den Kulissen. Michael Löbl hat seinerzeit als Geschäftsführer des Symphonieorchesters mit Kirill Petrenko die Idee entwickelt und den „Mahlerzyklus 9x9“ konzipiert. Es spricht für das freundschaftliche Verhältnis des Dirigenten zu vielen Musikerinnen und Musikern im Land und seinen Charakter, dass Kirill Petrenko trotz seiner Weltkarriere sein Versprechen gehalten und dieses große Vorhaben in die Tat umgesetzt hat. Thomas Heißbauer und nun Sebastian Hazod sowie Ruth Wohlgenannt und Carina Samitz haben im Hintergrund den enormen organisatorischen Aufwand hervorragend bewältigt.