Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Fritz Jurmann · 20. Nov 2012 · Musik

Der Berg ruft! In St. Gallen erklimmt „La Wally“ in Catalanis Verismo-Oper schmuckbehangen die höchsten Gipfel

Das Theater St. Gallen bietet derzeit als Erstaufführung an diesem einzigen Dreispartentheater der Region eine interessante Version von Alfredo Catalanis Oper „La Wally“ nach dem Roman „Die Geierwally“ von Wilhelmine von Hillern. Dem anständig besetzten und musikalisch routiniert umgesetzten Werk steht freilich ein etwas eigenwilliges Regiekonzept im Weg, das Opernfreunde aus der Gegend aber nicht von einem Besuch abhalten sollte.

Zunächst sind zahlreiche Parallelen zu den Bregenzer Festspielen zu erwähnen. Die 1892 entstandene Oper „La Wally“ ist ein exemplarisches Beispiel für den sogenannten Verismo, ein dem Naturalismus in der Literatur verwandter Bereich einer möglichst wahrhaften, lebensnahen Darstellung auf der Bühne. Damit trifft sie stilistisch genau auf die bekanntermaßen von der Kritik bejubelte, von den Zuschauern aber eher mit Zurückhaltung aufgenommene Seeproduktion von Umberto Giordanos „André Chénier“. Auch der Librettist beider Werke ist identisch, Luigi Illica, der die Vorlagen auch zu zahlreichen Meisterwerken Puccinis lieferte.

Der Erfinder des „Tosca“-Auges in St. Gallen

Bühnenbildner Johannes Leiacker, dem man in Bregenz das auch bei James Bond verewigte tolle „Auge“ der „Tosca“ verdankte, sorgt nun in St. Gallen für eine einfache, gut variable und absolut stimmige Kulisse mit einem dominanten Gletscherbild und hübschen Kostümen. Schließlich wurde „La Wally“ bereits 1990 im Rahmen von Alfred Wopmanns Raritätenpflege als Hausoper auch in Bregenz aufgeführt, mit der unvergleichlichen Mara Zampieri in der Titelrolle, dazu Ildiko Raimondi in der Hosenrolle des Walter.

Da kann nun St. Gallen leider nicht in allem mit. Nicht zuletzt deshalb, weil „La Wally“ seit Bregenz keine Rarität mehr auf unseren Opernbühnen ist (Innsbruck spielt das Werk derzeit parallel) und auch nicht mehr als jener schwer spielbare Schmachtfetzen gilt wie einst. Das eng verflochtene Blut- und Bodendrama um Liebe, Eifersucht und Leidenschaft inmitten der Tiroler Bergwelt des Ötztales gäbe an sich viel her, auch an psychologischen Deutungen. So verlässt Wally, die unangepasste Bauerntochter, den reichen Vater, der sie zwangsverheiraten will, um nach vielen Irrungen und Wirrungen ihren Geliebten schließlich in einer Lawine wieder zu verlieren. Heidemarie Hatheyer hat das in einem legendären Heimatfilm  1940 unnachahmlich verkörpert.

Doch die Opern-Inszenierung in St. Gallen krankt vor allem am reichlich überzogenen Regiekonzept des Flamen Guy Joosten, das man zuerst im Abendprogramm gelesen haben muss, um es überhaupt zu verstehen. Und das ist immer verdächtig. Bei ihm ist Wally eine Frau, die nicht Gletscherregionen, sondern den einsamen Gipfel einer Opernkarriere anstrebt. Aha: Unzufriedenheit mit dem eigenen Dasein also als Motto, größere Ansprüche an das Leben und Träume, die man partout verwirklichen will.

Verbeugung vor Publikum statt Tod unter der Lawine

Entsprechend singt Wally ihre berühmte Arie „Ebben, ne andrò lontana“ („Nun denn, so lass mich ziehen“) – ein Opern-Ohrwurm, den man auch von der Callas kennt – bereits am Beginn solo vor einem als barockes Opernhaus gestalteten Zwischenvorhang und verbeugt sich am Ende wieder vor eben diesem, anstatt laut Opernlibretto in der Lawine umzukommen. Zuvor erlebt man sie noch im zweiten Akt in einer ironisch zeitgeistigen Après-Ski-Party mit einer Misswahl von Models in knappen Bikinis, moderiert von einem verdächtig mit Gabalier-Tolle ausgestatteten Disc-Jockey. Oder später, wenn doch der Berg ruft, schmuckbehangen im Nerz inmitten von Eis und Schnee, wie sie ihr Make-up richtet. Doch ihre Träume enden im Nichts, alles bleibt offen. Auch eine Lösung, wenn auch nicht eben die beste und logischste.

Dafür entschädigt ein gut, wenn auch nicht so perfekt wie bei der hoch gelobten Premiere besetztes Ensemble. Es knistert nicht, weder auf der Bühne noch im Zuschauerraum und auch jene gewisse Inspiration fehlt, die einer Aufführung den Hauch des Besonderen verleiht. Wohl deshalb, weil wir das Pech haben, in einer Sonntagnachmittags-Vorstellung für Senioren großteils die Zweitbesetzung zu erleben, bemüht und routiniert, aber eben nicht viel mehr.

Fehlendes Charisma kaum zu ersetzen

Anstelle der sensationellen amerikanischen Diva Mary Elizabeth Williams wird die Titelrolle hier von der jungen, stimmlich zu hochdramatischen Ausflügen durchaus fähigen Sopranistin Katrin Adel verkörpert, die aber eben noch nicht über jene Bühnenpräsenz, jenes Charisma verfügt, das man einer solchen Figur einfach abverlangen muss. Auch Derek Taylor, als ihr Geliebter Hagenbach, ist Zweitbesetzung, passt mit seinen grauen Schläfen rein altersmäßig nicht zu ihr, steigert sich aber im Finale mit seinem hellen Tenor zu ansehnlicher Größe. Der Bass David Maze als alter Vater Stromminger, Bariton Paolo Rumetz als abgeblitzter Liebhaber Gellner, Sopran Alison Trainer in der Hosenrolle als (lustigerweise schwangerer) Knabe Walter und Mezzo Theresa Holzhauser als Wirtin Afra bilden ein spielfreudiges, gut aufeinander abgestimmtes Ensemble.

Erfreuliches gibt es auch aus dem Orchestergraben zu berichten, wo der aus Litauen stammende Dirigent Modestas Pitrenas dem Sinfonieorchester St. Gallen elegant die vielen Farben von Catalanis Musik entlockt, angesiedelt im reizvollen Miteinander von emotionsgeladener Italianità und alpenländischer Folklore mit einem Quäntchen Wagner. Wenn diese Klänge allzu schwülstig, bedrohlich oder komplex zu werden drohen, tritt der Dirigent auch korrigierend auf und sorgt damit für eine gleichbleibend gesunde Balance mit der Bühne. Nur die im Finale sehr vorsichtig eingesetzte Windmaschine hat keine Chance gegen die aus vollen Rohren blasende Nebelmaschine. Dafür klingt der Opernchor St. Gallen prächtig, ausgewogen und gut verständlich.

Weitere Vorstellungen von Catalanis Oper „La Wally“ am Theater St. Gallen: Sonntag, 25. November, 14.30 Uhr; Freitag, 30. November, 19.30 Uhr; Dienstag, 4. Dezember, 19.30; Dienstag, 11. Dezember, 19.30 Uhr; Sonntag, 16. Dezember, 19.30 Uhr – Dauer 2 Stunden 30 Minuten inklusive Pause