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Fritz Jurmann · 06. Mai 2014 · Musik

Bruno Oberhammers zweite Orgelreihe in Höchst gestartet – „Bachs Wege“ führen in neue Klangabenteuer

So spannend kann ein Orgelkonzert sein, wenn nur ein attraktives Thema vorgegeben ist, das auch der Normalverbraucher versteht. Und ein Organist am Werk, der diese Vorgabe auch mit sprühendem Leben zu erfüllen vermag. Beides war am Montagabend in der Pfarrkirche Höchst gegeben, wo Bruno Oberhammer seine neue, wieder vom Kulturreferat der Gemeinde getragene Reihe „Bachs Wege“ mit fulminanten Darbietungen eröffnete. Vor einer kleinen, aber höchst interessierten Anzahl von Zuhörern, die sich im riesigen Kirchenschiff fast verloren, entwickelte sich rasch eine intensive meditative Stimmung im Geiste des großen Thomaskantors und seiner Nachschöpfer.

Bruno Oberhammer kann’s nicht lassen. Erst im Herbst hat der als Professor für Orgel und Tonsatz am Landeskonservatorium vor zwei Jahren pensionierte 67-jährige Musiker das Mammutunternehmen eines über vier Jahre dauernden 19-teiligen Zyklus mit Johann Sebastian Bachs Gesamtwerk für Orgel abgeschlossen. Nun will er in einer neuen, offenen Reihe mit zwei Konzerten jährlich quasi die Folgewirkungen zeigen, die Bach mit seiner genialen Kompositionsweise bei den nachfolgenden Generationen bis in unsere Tage hinein ausgelöst hat. In der aktuell aufliegenden Mai-Ausgabe der KULTUR hat Oberhammer seine Gedanken dazu ausführlich formuliert.

Das B-A-C-H-Motiv als Ausgangspunkt


Zentraler Ausgangspunkt der ersten Konzerte ist das Vierton-Motiv „B-A-C-H“, also der in Töne gesetzte Name Bachs, das über Jahrhunderte bis heute zur meist verwendeten Grundlage für Kompositionen geworden ist, vor allem aus einem Geist besonderer Verehrung für den großen Thomaskantor heraus. So sind mittlerweile weltweit mehr als eintausend Kompositionen entstanden, die sich auf diese Weise mit der überragenden Persönlichkeit und dem einzigartigen Schaffen Bachs in der abendländischen Musikgeschichte auseinandersetzen. Stoff genug also für Oberhammer, der sich als Musikwissenschaftler über ein halbes Jahrhundert mit der Faszination dieser Thematik befasst und sich damit den nötigen geistigen Hintergrund angeeignet hat, um aus dieser Fülle eine gezielte und logische Auswahl für den Zuhörer zu treffen und diese auch kompetent vorzuführen.

Das erlebt man gleich am ersten Abend, der originellerweise weit vor Johann Sebastian Bach beginnt. Bereits um 1600, 85 Jahre vor Bachs Geburt, ist die Fantasia über das rein musikalisch empfundene Thema a-g-b-a-c-h-b-a des Niederländers Jan Pieterszoon Sweelinck entstanden, die in geschickt eingebauten Echomotiven kontrapunktisch den ausgeprägten Personalstil ihres Schöpfers offenbart. Johann Christoph Bach war ein Onkel Johann Sebastians, sein Präludium mit Fuge Es-Dur beeindruckt durch reichliche Chromatik.

Der Meister selbst mit seiner „Kunst der Fuge“


Dann kommt, bewusst ins Zentrum des Programms gerückt, Meister Johann Sebastian auch selbst zu Wort, mit der Schlussfuge aus seiner „Kunst der Fuge“, BWV 1080. Auch er hat zum Abschluss dieses epochalen Spätwerks seinen Namen B-A-C-H wie mit einem Signet in mächtige Pedaltöne gemeißelt und kontrapunktisch verarbeitet. Kurz danach bricht die Komposition unvermittelt ab – ein erschütterndes Signal für den Zuhörer, dass dieses Werk unvollendet geblieben ist. Eine geplante Quadrupel-Fuge, die alle bisher bekannten Grenzen der Musik gesprengt hätte, blieb somit bloß ein Plan. Hier ist Oberhammer nun voll in seinem Element, gibt Bach in seiner ganz persönlichen Ausdeutung und technischen Überlegenheit die Sporen in Phrasierung und Artikulation und lässt die prächtige Rieger-Orgel in ihrer barocken Schönheit und Klarheit der Register aufrauschen.

Eher den originellen Charakter eines Intermezzos hat nach solcher Mächtigkeit der Architektur ein kleines Capriccio in c-Moll von Johann Andreas Bach, eines inzwischen in der Versenkung verschwundenen Neffen Bachs. Immerhin erkennt man auch hier deutlich das Motiv „B-A-C-H“, denn Oberhammer spielt das Stückchen in heller Registrierung und mit spürbarem Augenzwinkern.

Schumanns Fugen – ein Standardwerk der Orgelliteratur


Das Hauptwerk des Abends ist an den Schluss des Programms gestellt und wird zum Höhepunkt. Es sind die sechs Fugen über den Namen B-A-C-H von Robert Schumann, komponiert 1845. Diese Auseinandersetzung mit Bach aus einem romantisch geprägten Geist ist laut Max Reger eine der bedeutendsten Kompositionen des 19. Jahrhunderts. Die sechs Werke sind spiegelbildlich angeordnet, das sich stets steigernde Werk I entspricht Werk VI, die lebhafte Nummer II ist analog zu Nummer V zu sehen, in der Mitte sanft und gemäßigt die Werke III und IV. Vermutlich wegen seiner enormen spieltechnischen Anforderungen und seines eminenten geistigen Gehaltes ist dieses über 30-minütige Standardwerk der Orgelliteratur hierzulande kaum einmal auf einem Konzertprogramm zu finden.

Bruno Oberhammer wagt sich gleich zum Start seiner neuen Reihe ohne Umschweife in dieses Klangabenteuer, ist auch in der völlig neuen, typisch weichen und aussagekräftigen Klangwelt Schumanns zuhause und erfüllt die sechs Fugen sehr differenziert mit Leben: sanft verhalten, bittend oder mächtig aufbrausend – immer ist der Respekt Schumanns vor Bach spürbar, ebenso der Respekt Oberhammers vor beiden Heroen der Musik. Zum Ende der 6. Fuge mit ihrer Verbindung von symphonischer Form und epischer Aussagebreite zieht er wörtlich alle Register und spielt sich zum pompösen Finale in einen wahren Klangrausch.

Die Zuhörer reagieren begeistert mit Standing Ovations und sind gespannt auf den weiteren Fortgang dieser musikalischen Auseinandersetzung. Auch bei seiner zweiten Konzertreihe verzichtet Bruno Oberhammer auf jedes Honorar. Bereits der Bach-Zyklus erbrachte Spenden von rund 12.000 Euro für ein Sozialprojekt in Afrika, diesmal wird die heimische Aktion „Tischlein deck dich“ berücksichtigt. Das rückt das Projekt auf eine wunderbar idealistische Ebene.

 

Zweites Konzert der Reihe „Bachs Wege“:
Montag, 13. Oktober, 20.15 Uhr, Pfarrkirche Höchst
Bruno Oberhammer an der großen Rieger-Orgel