Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Fritz Jurmann · 05. Jul 2018 · Musik

Bregenzer Festspiele vor dem Start: „Carmen“ am See erneut ein Volltreffer, Hochspannung vor der Premiere im Haus

Auch in ihrer vierten Saison in Bregenz wird die Arbeit für Festspiel-Intendantin Elisabeth Sobotka nicht zur Routine, wie sie zu Beginn des traditionellen Pressetages Donnerstagvormittag in der Seegalerie des Festspielhauses vor zahlreichen in- und ausländischer Medienvertretern erklärte: „Alle Beteiligten sind derzeit vor allem gespannt auf den letzten Entstehungsprozess unserer Hausoper ‚Beatrice Cenci‘, aber auch die Seeproduktion ‚Carmen‘, die eine besondere Magie entwickelt hat, erlebt eine Wiedererweckung mit nur kleinen Änderungen. Das ist das Wunder am Theater, das immer neu entsteht.“ Leading-Teams und Mitwirkende beider Aufführungen gaben dabei in der locker-routinierten Moderation von Pressesprecher Axel Renner Einblicke in ihre Arbeit.

Zu 90 Prozent ausgebucht

So klar war eine Sache selten wie die Auslastung der Reprise der Bizet-Oper „Carmen“ auf der Seebühne, die 14 Tage vor Beginn der 73. Bregenzer Festspiele bereits zu 90 Prozent ausverkauft ist, und das bei einer zusätzlichen Erweiterung auf insgesamt 29 Vorstellungen. Der kaufmännische Direktor Michael Diem neigt dennoch von Haus aus zur Vorsicht: „Das heißt aber auch, dass wir noch zehn Prozent der insgesamt 210.000 Karten für den See nicht verkauft haben. Das sind immerhin rund 20.000 Plätze, die vor allem gegen Ende der Festspiele noch zu haben sind, damit wir die hoch gelegte Latte von 98, 99 Prozent erreichen.“

Es gibt nach solchem Erfolg absolut keinen Grund zu wesentlichen Änderungen dieser Erfolgsinszenierung, dennoch ist der dänische Regisseur Kasper Holten seit Wochen eifrig um kleine „Veränderungen und Vertiefungen“ bemüht. Auch diesmal soll seine Mischung aus Show und starker psychologischer Deutung von Carmens Schicksal in der Vergrößerung in dieser einmaligen Kulisse die Massen begeistern, dieser selbstbestimmten, starken Frau, die mit sich selbst und um ihre Freiheit kämpft. Holten legt sogar eine Art Plädoyer für diesen Open-Air-Spielplatz ab: „In Bregenz zu arbeiten ist einfach traumhaft. Nicht nur, weil die Natur hier so schön ist und man mit Wasser, mit Regen, mit Sonne zu tun hat. Oper muss sich öffnen, und wir machen hier Oper für alle. 400.000 Leute sehen in zwei Jahren ‚Carmen‘ – das finde ich geil!“

Hauptpartien dreifach besetzt

Dabei ist es für Holten, wie er gesteht, auch im zweiten Jahr nicht einfach, seine Dreifachbesetzung der Hauptpartien wieder auf ihre Aufgabe einzuschwören, auch wenn sich personell kaum etwas verändert hat. Vor allem die drei „Carmens“ sind wieder dabei, herausragend die im Vorjahr von Publikum und Presse geliebte und gelobte Französin Gaëlle Arquez, die vor den Presseleuten ihre Sicht der Persönlichkeit Carmens, ihre Rolle als Frau darlegt. Und offen gesteht, der Moment ihres Todes durch scheinbares Ertränktwerden sei ihre Lieblingsstelle bei dieser Inszenierung.

Ihr Kollege Wolfgang Stefan Schwaiger, der heuer gleich in beiden Opern beschäftigt ist, stimmt ihr bei, was die idealen Arbeitsbedingungen in Bregenz und die Chancen betrifft, die sich daraus gerade für junge Sänger ergeben. Als idealer „Don Giovanni“ vom Vorjahr stammt er aus dem Opernstudio, das sich, so die Wunschvorstellung von Intendantin Sobotka, mit der Zeit zu einem „Bregenzer Ensemble“ mit einer wirklichen Heimat hier entwickeln könnte.

Unbekannte Belcanto-Oper im Haus        

Eröffnet werden die Bregenzer Festspiele mit der Oper im Festspielhaus, „Beatrice Cenci“ des deutschen Komponisten Berthold Goldschmidt als österreichische Erstaufführung. Die 1950 komponierte und 1988 in London uraufgeführte Oper um menschliche Gewalt und kirchliche Korruption wird erstmals in der vom Komponisten selbst stammenden deutschen Textfassung gezeigt. Goldschmidt gewann mit der Oper einen Wettbewerb, die versprochene Aufführung kam aber aus politischen Gründen nicht zustande. Der 1903 in Hamburg geborene und in der Zwischenkriegszeit höchst erfolgreiche Komponist galt danach als verfemt und floh 1935 vor den Nationalsozialisten aus Deutschland nach London, wo er 1996 starb.

Erste Probeneindrücke im Großen Saal zeigen ein monumentales Bühnenbild (Katrin Connan), das von einer kreisrunden, unten zu einem „Omega“ abgeschnittenen Öffnung dominiert wird und einen dreidimensionalen Raum schafft. Unzählige brennende Kerzen wie auf einer riesigen Geburtstagstorte symbolisieren einen mächtigen Kirchenraum, nach hinten abgeschlossen durch einen Papst aus Gips. Es gehe ihm jedoch nicht vor allem um Kirchenkritik, erläutert der deutsche Regisseur Johannes Erath, den man in Bregenz von „Make no noise“ 2016 kennt. „Es geht um Machtmissbrauch generell und die Tatsache, dass in einer Welt, in der wir niemandem mehr trauen können, unter Umständen der Glaube wieder ein großes Thema wird.“ Elisabeth Sobotka ergänzt: „Es ist eine große, dramatische Oper, ein tragisches, gewalttätiges Stück, für Sänger geschrieben und irgendwie auch ein Denkmal für eine der großen Frauen, wie sie ja in unserem diesjährigen Programm eine besondere Rolle spielen. Und es passt gerade deshalb ganz besonders auch in  dieses Haus mit seiner großartigen Akustik.“

Handgeschriebene Partitur

Am Dirigentenpult wird Johannes Debus stehen, der auch die Hausoper „Hoffmanns Erzählungen“ 2015 musikalisch geleitet hat. Der als Spezialist für Zeitgenössisches geltende deutsche Musiker hat sich in die einzig vorhandene handgeschriebene Partitur des Werkes vertieft und bereits erste Proben in Wien mit den Wiener Symphonikern hinter sich: „Man spricht zurecht von einer sängerfreundlichen Belcanto-Oper. Es herrscht ein lyrischer Ton vor, freilich auch ein dunkles Timbre zum düsteren Geschehen. Goldschmidt hat rückwärtsgewandt auch auf frühbarocke Formtypen wie eine Chaconne und typisch instrumentierte Tanzformen des frühen 17. Jahrhunderts zurückgegriffen, in dem die Handlung spielt. Für mich ist die Musik anrührend und zerbrechlich wie jene in den ‚Wunderhorn-Liedern‘ von Mahler, das ist typisch für diese Oper. In Ausbrüchen wird aber auch der innere Widerstand, die Verzweiflung dieser Figuren deutlich.“

Und Debus stellt noch einen Zeitbezug zum Umfeld des Komponisten während der Entstehung seiner Oper her: „Eine Musik, so harmonisch und melodiös – das war den Leuten absolut suspekt in den 50-er Jahren, wo Moderne fast nur aus serieller Musik bestand. Goldschmidt hatte trotzdem den Mut dazu, und es wird Zeit, dass wir das heute völlig undogmatisch hören.“               

Bregenzer Festspiele vom 18. Juli bis 20. August 2018

Berthold Goldschmidt: „Beatrice Cenci“ – Mi, 18. Juli, 19.30 Uhr, Festspielhaus
Georges Bizet: „Carmen“ – Do, 19. Juli, 21.15 Uhr, Seebühne

www.bregenzerfestspiele.com